Ankommen in Deutschland: „Habt ein bisschen Geduld mit uns“

Was macht es mit einem Syrer, wenn die deutsche Politik Abschiebungen diskutiert? Mohammed Kahled aus Aleppo hält das für Unrecht – er sieht hier seine Zukunft.

Aleppo in Trümmern: Die syrische Stadt bietet keine Zukunft, von der Sicherheitslage ganz zu schweigen Foto: dpa

taz: Herr Kahled, was würde es für Sie bedeuten, wenn Sie nach dem Dezember 2018 in Ihre Heimatstadt Aleppo abgeschoben würden?

Mohammed Kahled*: Alles, was ich bisher in Deutschland gemacht habe, wäre verloren. Ich möchte Arzt werden und mache gerade ein Studienkolleg, damit ich in Deutschland Humanmedizin studieren kann. Ich lerne jeden Tag acht oder neun Stunden, gerade viel Physik. Das wäre umsonst.

Und die Aussicht auf Syrien?

Natürlich habe ich Angst davor, zurück zu müssen. Jeder Mann hat Angst.

23, heißt eigentlich anders, kommt aus Aleppo in Syrien und macht derzeit ein Studienkolleg in Leipzig. Eigentlich wohnt er mit seiner Familie in Hamburg. Er will wie sein Bruder Medizin studieren.

Haben Sie mitbekommen, dass in der deutschen Politik darüber diskutiert wurde, ob und wann man Syrer abschieben darf?

Ich habe es nicht in den deutschen Medien mitbekommen, aber ein Kumpel hat mir davon erzählt. So etwas spricht sich herum.

Was denken Sie darüber?

Deutschland schiebt seit 2012 nicht mehr nach Syrien ab, der Abschiebestopp wurde seitdem immer wieder ausgeweitet.

Sachsen und Bayern hatten in einem zwischen den Unions-Innenministern abgestimmten Antrag gefordert, Abschiebungen nach Syrien wieder aufzunehmen, sobald es die Sicherheitslage im Land erlaube. Von Unionsseite hatte es einen Vorstoß gegeben, den Abschiebestopp lediglich bis 30. Juni 2018 zu verlängern.

Boris Pistorius (SPD), niedersächsischer Innenminister, hielt dagegen: „Syrien ist nach wie vor Kriegsgebiet.“ Jetzt Abschiebungen durchzuführen, wäre weder mit dem Grundgesetz noch mit der europäischen Menschenrechtskonvention zu vereinbaren.

Geeinigt haben sich die Innenminister nun auf einen Abschiebestopp bis 31. Dezember 2018.

Die Hamburger und Lübecker Bischöfin Kirsten Fehrs hat sich zu Weihnachten gegen Abschiebungen in unsichere Herkunftsländer ausgesprochen. Zugleich forderte sie, den Nachzug von Familienangehörigen zu ermöglichen.

Ich halte das für Unrecht. Das Leben in Aleppo ist immer noch sehr schwer. Der Krieg ist nicht vorbei. Die Familie meines Vaters ist immer noch dort. Sie haben keine Arbeit. Der Sohn meiner Tante lebt in Deutschland, der schickt ihnen Geld. In Aleppo wurde ihr Haus zerstört. Zum Glück wurden sie nicht verletzt. Meine Tante lebt jetzt in einer kleinen Wohnung.

Skypen Sie oft mit ihr?

Nicht jeden Tag, aber ein bis zwei Mal pro Woche. Manchmal sagt sie mir, dass es etwas besser geworden ist. Vor einem Jahr war der Krieg schlimmer. Jetzt gibt es in Aleppo nicht mehr so viele Bomben.

Trotzdem wollen Sie nicht zurück?

Nein, jetzt noch nicht. Vielleicht später, wenn ich mein Studium beendet und ein bisschen gearbeitet habe. Das Studium will ich auf jeden Fall fertig machen.

Demotiviert es Sie, wenn Sie hören, dass Politiker über Abschiebungen diskutieren?

Mehr Motivation bekomme ich auf jeden Fall nicht. Die Politiker haben wenig Ahnung von Syrien. Sie haben den Krieg nicht erlebt, sondern nur in den Nachrichten gesehen. Viele junge Männer wie ich können gar nicht zurück gehen, weil wir gesucht werden.

Vom wem?

Ich habe an einem Aufstand teilgenommen. Es waren friedliche Proteste von Studenten. Manchmal 200 Leute, manchmal 3.000. Wir haben gesagt, dass wir Baschar al-Assad nicht mehr wollen. So lange er an der Macht ist und Syrien eine Diktatur ist, kann ich nicht zurück.

Wurden Sie auch als Soldat eingezogen?

Ich stand auf der Liste, konnte das aber verhindern, weil ich Student war. Ich habe in Syrien schon ein Semester Informatik studiert. Dann bin ich nach Deutschland gegangen.

Wie sind Sie hergekommen?

Ich wollte zu meinem Bruder nach Hamburg. Meine Eltern sind in der Türkei geblieben. Wir hatten nicht genug Geld, um alle gleichzeitig zu reisen. Ich bin deshalb allein über Griechenland, Mazedonien, Serbien und Österreich bis nach Deutschland gereist. Oft zu Fuß, manchmal hat mich jemand im Auto mitgenommen.

Fühlen Sie sich hier mittlerweile zu Hause?

Ja. Weil ich meine Eltern und meine Brüder hier habe. Sie sind über den Familiennachzug gekommen. Aber ich vermisse Syrien und den Teil meiner Familie, der noch dort ist. Jeder vermisst sein Heimatland.

Bis Ende 2018 gibt es laut den Innenministern keine Abschiebung nach Syrien. Danach soll es eine neue Bewertung der Sicherheitslage geben. Die CDU/CSU-Minister würden gerne beginnen, Straftäter und sogenannte Gefährder abzuschieben. Was sagen Sie dazu?

Ich finde es richtig, dass Straftäter zurück gehen müssen, wenn der Krieg in Syrien vorbei ist. Das Gleiche gilt für Menschen, die kein Deutsch lernen wollen. Man muss die Sprache beherrschen und eine Arbeit finden, wenn man bleiben will.

Aber für Ihre Eltern ist es doch viel schwieriger, Deutsch zu lernen und eine Arbeit zu finden, als für Sie. Sollten die dann gehen müssen, wenn sie sich schwer tun?

Nein. Für die Älteren ist es schwer. Man könnte es am Alter festmachen. Zum Beispiel Leute zwischen 18 und 40 Jahren. Wenn die sich nicht integrieren, müssen sie gehen.

Haben Sie nicht auch Angst, dass es Sie selbst treffen könnte, wenn Deutschland erst einmal damit anfängt, nach Syrien abzuschieben?

Natürlich habe ich das. Wenn man sich integrieren möchte, muss man bleiben dürfen und hier eine Zukunft haben.

Wenn Sie den deutschen Politikern etwas sagen könnten, was wäre das?

Dass sie ein bisschen Geduld mit uns haben müssen. Syrien wird nicht in einem Jahr wieder sicher sein. Mit den Abschiebungen müssen sie warten, bis der Krieg vorbei ist. Sie müssen auch Geduld mit uns haben, damit wir uns integrieren können. Alles in Deutschland braucht Zeit. Zum Beispiel muss ich warten, bis ich mit dem Studium beginnen kann. Es dauert auch, bis man Deutsch spricht und eine Arbeit hat.

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