Angeln in der Stadt: Die Kapuze über den Kopf

In Hamburg wird viel geangelt. An den Ufern der Alster, aber auch am Hafen, stehen am frühen Morgen Männer am Wasser und warten, dass etwas beißt. Bitte nicht stören!

Mal sehen, ob einer anbeißt: Angler an den Hamburger Landungsbrücken. Bild: dpa

HAMBURG taz | Der Wind steht schlecht. Vor dem Fischmarkt stehen Container mit dem, was vom Fisch nicht verkauft werden kann. Riecht, wie es aussieht. Es ist sechs Uhr morgens. Graue Wolken sitzen auf den Kränen des Containerhafens. Der Angler, der immer hier angelt, wenn’s das Wetter irgendwie zulässt, kommt. Rotgrüne Jacke, Stiefel, Basecap, Camouflage-Hose. Er kniet auf dem Ponton und packt seine Sachen aus. Angeln ist Ordnung.

Das Containerschiff „Tetis D“ schippert vorbei. Ein Radfahrer, kurze Hose, blaue Jacke, braune Beine, rollt auf den Ponton. Vor dem Altonaer Cruise Center liegt das Kreuzfahrtschiff „Crystal Symphony“. Kräne hieven Container an Bord. Noch ein Radler auf dem Ponton. Der Angler kniet und sortiert seine Utensilien. Der Ponton quietscht.

Ganz weit den Fluss hinauf scheint die „Hapag Lloyd“ im Wasser zu stehen.

Der Wind zerrt an der Nassauischen Fahne auf der „Crystal Symphony“. Die Fähre 61, Richtung Neuhof, mit Werbung fürs Musical „Tarzan“, legt an. „Lüllüllüllü“ macht die Fähre, und eine Automatenstimme warnt die Ein- und Aussteigenden. Der Radler mit der blauen Jacke rollt auf das Schiff. Der Wind frischt auf. Der Angler knöpft seine Jacke zu. Er bringt seinen Müll zum roten Eimer und schüttet den Rest, der noch in seinen Taschen krümelt, in die Elbe.

Eine Angel hängt er stationär flussaufwärts ins Wasser, mit der anderen probiert er es mal hier, mal da. Wir haben abnehmendes Hochwasser. Die nächste Fähre legt an, diesmal die Richtung Finkenwerder. Wieder: „Lüllüllüllü“. Der andere Radfahrer steigt ein. An Bord der Fähre schlafen Leute, Kopf auf dem Arm, Arm auf dem Tisch. Ein Containerschiff fährt elbabwärts, ein mit Kohle beladene Frachter.

Die „Hapag Lloyd“ ist ein bisschen näher gekommen.

Der Angel holt Schnur ein und wischt das Geländer des Pontons zum Docklands hin mit einem Lappen ab. Den Lappen steckt er in die Tasche.

In Hamburg wird viel geangelt. An der Alster sitzen sie, auf der Uhlenhorster Seite, am Ostufer, kurz vor der Brücke, die Alster und Feenteich trennt; im Norden unter der Krugkoppelbrücke; auf der Harvestehuder Seite, am Westufer, auf Höhe der Milchstraße; vor der Kennedybrücke, wo es zur Binnenalster geht. Manche gehen auf Karpfen und übernachten im Zelt. Es gibt Leute, die behaupten, diese Angler seien alle aus Südosteuropa und lebten davon.

Unser Angler hat seinen Käscher vor sich auf den Ponton gelegt und steht nun, die Arme aufs Geländer gelegt, und angelt. Ganz still.

Die „Hapag Lloyd“ schiebt sich ein bisschen näher. Der Lotse ist längst von Bord gegangen.

Die Fähre „Oortkaten“, Richtung Landungsbrücken, legt an. Nochmal: „Lüllüllüllü“. In den Hochhäusern am Elbufer ist alles dunkel. Der Wachmann des Docklands, Dienstbeginn 6.15 Uhr, steht auf dem ersten Treppenabsatz und raucht. Es wird nicht hell. Der Angler wandert mit seiner Angel über den Ponton. Von der Köhlbrandbrücke leuchtet der Scheinwerfer eines Autos herüber. Die „Tarzan“-Fähre kommt zurück. Einer steigt aus und wartet: blaue Hose, Hände in den Taschen. Er geht zum Angler. Schnacken. Kurz. Leute kommen, Schiffe fahren, der Angler steht am Geländer.

Vor dem Restaurant „Au Quai“ ein Jogger. Vor dem Tor zum Cruise Center ein Lastwagen. Hupen. Ein paar Möwen, satt von den Fischabfällen, fliegen einige Meter. Der Wachmann fotografiert vom ersten Treppenabsatz aus, etwas Zartes, irgendwo im Osten am Horizont. Der Angler zieht die Kapuze seiner Jacke über den Kopf. Der Wind frischt auf. Der Angler guckt ins Wasser. Der Fahrer des Lastwagens hupt noch mal, der Mann in der blauen Hose, der auf die Fähre wartet, sagt „Mannmannmann“. Ein Mann in leuchtend grüner Jacke und leuchtend grüner Hose macht dem Laster auf: Nachschub für die „Crystal Symphony“. Ein Zimmermädchen huscht übers dritte Deck, vielleicht ist es auch das vierte.

Der Mann in der blauen Hose steigt in die Fähre „Oostkaten“, Richtung Finkenwerder. Spatzen inspizieren unsere Rucksäcke. Die „Hapag Lloyd“ bewegt sich weiter. Der Angler holt seine bewegliche Angel ein. Nichts gefangen. Auch an der stationären tut sich nichts. Er wandert den Ponton hoch und fängt am anderen Ende neu an. Es ist jetzt kurz nach sieben. Der Ponton quietscht.

Das Kreuzfahrtschiff „MSC Lirica“, panamaische Flagge, macht Wellen. Acht Bars und Salons, eine Disco. Auf dem Oberdeck stehen Passagiere. Fahren irgendwo hin, tragen Windjacken und fotografieren irgendwas.

Zwei Radler mit weißen Styroporkisten auf den Gepäckträgern rollen auf den Ponton. Reden mit dem Angler. Übers Angeln. Die „Hapag Lloyd“ schafft es nicht bis zu uns, sondern legt an und wartet aufs Löschen.

Die ersten Büroarbeiter betreten das Dockland-Gebäude. Kurz nach sieben holpert ein schwarzer Golf übers Kopfsteinpflaster davor. Hat’s eilig, die Spatzen gehen in Deckung. Eine Blonde, ganz in schwarz, Kaffeebecher, Ballerinas, wirft ihre Zigarette weg, trippelt ins Gebäude. Der Angler lehnt auf dem Geländer des Pontons, Rücken zu uns, und guckt ins Wasser. Der Ponton quietscht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.