Angela Merkel bei der IG Metall: Die große Harmonie

Auf dem Gewerkschaftstag streiten sich die Delegierten weder untereinander noch mit der Kanzlerin. Konfliktthemen gibt es trotzdem.

Angela Merkel beim Gewerkschaftstag der IG Metall

„Es ist stiller als bei Verdi.“ Foto: reuters

FRANKFURT AM MAIN taz | Für Angela Merkel ist es beinahe schon ein Heimspiel. Als die Bundeskanzlerin am Mittwochmittag auf dem Frankfurter Gewerkschaftstag der IG Metall das Podium betritt, brandet ihr ein Applaus entgegen, wie sie ihn in diesen Tagen nicht allerorten erhält.

„Seien Sie willkommen in der Welt der Mitbestimmung“, begrüßt der neu gewählte erste Vorsitzende Jörg Hofmann die Christdemokratin. Die revanchiert sich mit einem Dank „gerade für die Unterstützung im Bereich der Flüchtlinge“. Es sei sehr wichtig, den ankommenden Menschen in Not zu zeigen, dass der Grundgesetzartikel 1, „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, auch real gelebt werde, sagt Merkel unter großem Beifall.

Doch nicht nur in der Flüchtlingspolitik beschwört sie die Gemeinsamkeiten mit der größten Einzelgewerkschaft Europas. Sie wünsche sich eine „starke Mitbestimmung“, ruft sie den rund 480 Delegierten entgegen. „Es ist ein gemeinsames Anliegen, die Tarifbindung wieder auf stärkere Füße zu stellen.“ Das hören die GewerkschafterInnen gerne.

Selbst als Merkel für das umstrittene Freihandelsabkommen mit den USA wirbt, gibt es nur leises Murren. „Es ist stiller als bei Verdi“, frotzelte sie. Da sei sie „schon ganz beruhigt“. Sie könne die kritische Haltung der IG Metall, die die große Berliner Demonstration mitorganisiert hatte, zu TTIP nicht nachvollziehen, hielt Merkel den Delegierten vor. Schließlich habe sie in der Vergangenheit noch nie etwas von gewerkschaftlichen Protesten gegen entsprechende Abkommen mit anderen Ländern gehört. Nur bei den Vereinigten Staaten würde so getan, als müsste man das Schlimmste befürchten.

VW als Spitze

Auch wenn sie „nicht in Wunden wühlen“ wolle, bemerkte die Kanzlerin süffisant, zeige doch der VW-Abgasskandal, dass auch die USA Umweltstandards hätten. Das war eine wohl gesetzte Spitze. Denn die Krise von Volkswagen tangiert die IG Metall ganz erheblich. Auf den Fluren und Gängen der Frankfurter Messe ist das Thema ein großes Thema. Denn in keinem anderen Industrieunternehmen ist die Gewerkschaft so stark.

Mehr als 90 Prozent der Stammbelegschaft des Wolfsburger Konzerns sind gewerkschaftlich organisiert. Wie auch das Land Niedersachsen spielt die IG Metall dank des VW-Gesetzes im Aufsichtsrat eine gewichtige Rolle. Nun befürchtet sie, dass die ArbeitnehmerInnen die Zeche für das betrügerische Treiben der Konzernführung zahlen müssen. „Es war nicht die Putzfrau, die dort irgendetwas veranstaltet hat, und es war auch nicht die Mitbestimmung“, hielt der bisherige IG-Metall-Chef Detlef Wetzel auf dem Kongress dagegen. Die gehe nämlich nicht so weit, dass der Betriebsrat mitentscheiden könne, welche Komponenten an einen Motor angebaut würden. „Wir haben also allen Grund dazu, die Reihen an dieser Stelle geschlossen zu halten.“

Sein Nachfolger Hofmann bezeichnete den Fall VW als „Musterbeispiel, wie Eigentum sich der Verantwortung entzieht“ und „kurzfristiges Profitdenken zum Betrug am Kunden und der Gesellschaft führt“. Deswegen sei „mehr Mitbestimmung, nicht weniger“ gefragt. Ohnehin ärgere ihn „zutiefst, dass auch jenseits der Manipulation von Fahrzeugen bei VW die Fahrzeughersteller vor Bräsigkeit triefen“.

Diplomatie bei Kriegswaffen

Die ungewohnt scharfen Töne finden großen Beifall. Es ist ein Kongress großer Harmonie. Was nicht daran liegt, dass es keine Konfliktthemen gäbe. Aber die wurden mit Formelkompromissen bereits im Vorfeld entschärft. Bestes Beispiel ist der militärisch-industrielle Komplex. In seinem Grundsatzreferat verlor Jörg Hofmann kein Wort darüber. Dabei ist das Thema hochaktuell: Am Mittwoch hat das Bundeskabinett den Zwischenbericht über die Rüstungsexporte im ersten Halbjahr 2015 beschlossen. Danach genehmigte die deutsche Regierung in den ersten sechs Monaten dieses Jahres Ausfuhren im Wert von insgesamt 6,35 Milliarden Euro – so viel wie im gesamten Jahr 2014. Grüne und Linkspartei empören sich kräftig. Und die IG Metall? Die schweigt. Denn worüber man nicht spricht, darüber braucht man auch nicht streiten.

Das Thema ist heikel für die Gewerkschaft. Die Brisanz offenbart ein Blick in die Tagungsunterlagen. Dort findet sich der Antrag 1.144 „Rüstungskonversion“ der Verwaltungsstelle Duisburg-Dinslaken. Darin heißt es, die IG Metall sei „Teil der Friedensbewegung“ und Rüstungsproduktion „menschenverachtend und zugleich eine ungeheure Verschwendung von gesellschaftlichen Ressourcen“. Die klare Ansage: „Wir lehnen es ab, dass für den Profit mit Rüstungsprodukten aus der BRD in aller Welt Kriege geführt werden können.“ Beschlossen wird der Antrag nicht. Aber auch nicht abgelehnt. Die diplomatische Antragskommission sieht ihn stattdessen „erledigt durch Antrag Nr. 1.136“.

Dessen Botschaft ist allerdings eine - vorsichtig formuliert - etwas andere. Was sich schon an der Überschrift ablesen lässt: „Beschäftigungssicherheit in der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Deutschland“. Statt ein Ende der Rüstungsproduktion zu fordern, beschränkt sich die IG Metall in der von der Kommission zur Annahme empfohlenen Version auf einen völlig nichtssagenden „Vorschlag eines institutionalisierten, industriepolitischen Dialogs von Regierung, Unternehmen, Wissenschaft, Gewerkschaft und Betriebsräten, um zukunftsorientiert die äußerst komplexen Themen der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie zu bearbeiten“.

Dagegen kann noch nicht mal Thomas Pretzl, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Eurofighter-Schmiede Airbus Defence and Space, etwas haben. „Wir sollten unsere Mitglieder nicht wegen der Produkte, die sie produzieren, spalten“, findet er. „Die Beschäftigten der Verteidigungsindustrie leisten eine sehr gute Gewerkschaftsarbeit, und wir lassen uns nicht in die Schmuddelecke drängen.“

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