Angeblicher Angriff auf Linken in Wismar: Nicht gestochen, sondern geritzt

Neonazis hätten ihn attackiert, behauptete ein Linke-Politiker. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihn, weil die Geschichte wohl erfunden war.

Ein Richter hält ein Messer in der Hand

Frage für die Ermittler: Wie war das mit dem Messer? Hier: ein Richter in einem anderen Fall, Recklinghausen 2007. Foto: ap

BERLIN taz | „Auf die Unschuldsvermutung wird ausdrücklich hingewiesen.“ Das ist der letzte Satz einer Pressemitteilung, die von der Staatsanwaltschaft Schwerin am Montagnachmittag versendet wurde. Der Satz ist wichtig, weil alles andere in dieser Pressemitteilung Sprengkraft hat: Demnach soll der Nachwuchspolitiker der Linkspartei, der am Montag angeblich von Rechtsextremen überfallen und mit 17 Messerstichen attackiert worden war, den Übergriff frei erfunden haben.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun gegen den Linkenpolitiker Julian K. wegen Vortäuschung einer Straftat. Wenn sich der Verdacht erhärtet und bewiesen werden kann, droht dem Sprecher der Linksjugend Solid in Schwerin laut Strafgesetzbuch eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren.

In der vergangenen Woche hatten zunächst Julian K. und dann der Kreisverband der Linkspartei öffentlich behauptet, K. sei am Montag von drei Rechtsextremen in der Nähe des Wismarer Bahnhofs überfallen und mit einem Messer attackiert worden. Demnach hätten Ärzte 17 Messereinstiche an seinem Körper gezählt. Das Neue Deutschland schrieb daraufhin von einem Mordversuch. Politiker wie Dietmar Bartsch (Linkspartei) und Volker Beck (Grüne) warnten daraufhin vor der neuen Dimension rechter Gewalt.

Allerdings hatte es von Anfang an gewisse Besonderheiten bei dem Fall gegeben. So war auffällig, wie schnell, lautstark und selbstbewusst sich das vermeintliche Opfer des Mordangriffes kurz nach der Tat wieder geäußert hatte. In einer schon kurz nach der Tat verschickten Mitteilung schrieb K.: „Ich werde mich von diesem feigen Angriff nicht einschüchtern lassen“, schrieb K. Auffällig war auch, dass sich K. erst einen Tag nach der Tat an die Polizei wandte – und dann auch nur über ein Internetportal.

Offenbar komplett erfunden

Andererseits: Muss das, nur weil es außergewöhnlich ist, auf eine erfundene Geschichte hindeuten? Nicht unbedingt. Als K. dann aber auch am Folgetag für die Polizei kaum erreichbar war, während aus Reihen der Linkspartei schon scharfe Forderungen nach konsequenten Ermittlungen laut wurden, begann die Geschichte denkwürdig zu werden.

Nun deutet vieles darauf hin, dass die Geschichte komplett erfunden war. Das meint zumindest die Staatsanwaltschaft Schwerin. Demnach hat ein Rechtsmediziner in seinem Gutachten festgestellt, dass die Schnittwunden, die K. am Arm hat, kaum von massiven Messerangriffen stammen könnten, sondern wahrscheinlich eher aus Selbstverletzungen stammen.

Auch habe K. bei einer Tatortbegehung Zweifel an seiner Version aufkommen lassen. Zudem sei angeblich die Jacke verschwunden, die als Beleg für die Schnittwunden dienen könnte. Und so ergibt sich das – vorläufige – Gesamtbild: K. soll gelogen haben.

Wenn dies stimmt: Wieso tut jemand so etwas? Aus Geltungsdrang? Aus falsch verstandenem Politisierungsbedürfnis? Sprechen die Zahlen über täglich neue Angriffe von Rechtsextremen auf Flüchtlinge und Büros der Linkspartei nicht für sich?

Für die taz war K. trotz mehrfacher Nachfragen in der vergangenen Woche nicht zu erreichen, auch am Montag nicht. Auch der Kreisverbandsvorsitzende der Linkspartei in Schwerin, Peter Brill, der mit seiner Pressemitteilung das Thema auf die Agenda gesetzt hatte, will plötzlich nichts mehr sagen. Auch auf mehrmalige Nachfrage gab sich Brill am Montag zu keiner Einschätzung bereit. Er sagte lediglich, er habe die Umstände zur Kenntnis genommen, aus seiner Sicht sei alles gesagt. Ob die von ihm dargestellte Faktenlage nun bestand habe oder nicht, wollte Brill ebenfalls nicht kommentieren.

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