Aktivist über katalanische Kooperative: „Revolution als Antwort”

Er gilt als Robin Hood der Banken: Enric Durán. Mit seiner Genossenschaft will er neue wirtschaftliche Strukturen aufbauen.

Robin Hood, mit Pfleil und Bogen

Enric Durán trägt zwar keine Strumpfhosen, verfolgt aber ähnliche Ziele wie der Held aus dem Sherwood Forest. Foto: imago / Hollywood Photo Archive

Enric Durán wurde am Vorabend der Finanzkrise 2008 durch die öffentliche Bekanntmachung berühmt, 500.000 Euro von 39 Banken durch nicht zurückgezahlte Kredite „enteignet“ und an verschiedene postkapitalistische soziale Bewegungen verteilt zu haben.

Diese Aktion des zivilen Ungehorsams brachte ihm neben der Verfolgung durch die Justiz den Beinamen „Banken-Robin” ein. Den Impuls seines „Banküberfalls” nutzte er, um die Cooperativa Integral Catalana (CIC) zu organisieren. Seit 2013 ist Durán untergetaucht.

taz.zum wandel: Wie ist es im dezentralen Modell der CIC möglich, für das Gemeinwohl zu sorgen? Ist das ohne den Staat zu schaffen?

Enric Durán: In der CIC entwickeln sich öffentliche Strukturen des Gemeinwohls. Wir haben Wohnungsgenossenschaften, freie Schulen und selbst verwaltete Gesundheitszentren. Dieser Prozess stützt sich auf die Werte der Selbstverwaltung, der Ganzheitlichkeit und der Selbstermächtigung. Ich bin überzeugt, dass Selbstorganisation ohne Staat vollständig möglich ist. Das ist ein langer Prozess, die wirtschaftlichen Mittel dafür zu generieren.

Wie werden eure Entscheidungen in der CIC getroffen?

Die CIC ähnelt mehr einer sozialen Bewegung als einer traditionellen Genossenschaft. Entscheidungen werden auf offenen Versammlungen im Konsens getroffen, was nicht immer einfach ist. Der CIC ist es jedoch gelungen, sich über die Jahre hin gut zu verwalten. Zusammen entscheiden alle lediglich, was auch alle betrifft. Unterbereiche und lokale Betreffe werden von den Betroffenen vorangebracht, was die Dezentralisierung fördert.

Die Cooperativa Integral Catalana (CIC) ist ein Netz von Genossenschaften, das in ganz Katalonien operiert und sich auf weitere Regionen in Spanien, Frankreich und Italien ausgeweitet hat. Beteiligt sind etwa 300 produzierende Projekte, 30 lokale Knotenpunkte der Öko-Netze, 15 Kommunen, ein Gesundheitssystem und autonome Bildungsnetzwerke. Die CIC hat eine eigene Währung (EcoCoop).

Der Appell zur ganzheitlichen Revolution wurde 2014 in Katalonien veröffentlicht. Es handelt sich um eine theoretische Grundlage für die Praxen von sozialen Bewegungen und nichtkapitalistischen Aktivisten, die den radikalen Wandel der Gesellschaft verfolgen. Hauptziel ist der Aufbau einer selbst verwalteten Gesellschaft in allen Lebensbereichen.

Was bedeutet „ganzheitlich“ im Namen der Genossenschaft?

Mit dem ganzheitlichen Konzept ist einerseits die Gesamtheit der Aspekte des Lebens und speziell der Grundbedürfnisse gemeint. Daneben umfasst der Begriff auch die verschiedenen Aspekte wirtschaftlicher Aktivität: Produktion, Konsum, Finanzierung, Austausch etc.

Wie versteht die CIC ihre politische Rolle?

Die CIC folgt einem Plan des Übergangs, bei dem sie nicht mit dem Staat rechnet. Das neue politische und wirtschaftliche Modell wird von der Basis aufgebaut und dezentral und autonom verwaltet. Auf lange Sicht sehe ich ein Ziel darin, von den Nationalstaaten anerkannt zu werden, sowohl was die Selbstregierung von unten als auch deren rechtliche Legitimation angeht. So wie sich die Zapatisten über die Jahre ihre Legitimation erkämpft haben.

Der Katalane ist antikapitalistischer Aktivist. Der 39-Jährige ist Mitorganisator der Cooperativa Integral Catalana (CIC). Gegenwärtig arbeitet er an der elektronischen Währung FairCoin, die Grundlage eines neuen globalen Wirtschaftssystems werden soll.

Welche Rolle spielt das Projekt der ganzheitlichen Revolution?

Wie man in Griechenland an der Billigung des dritten Memorandums sehen konnte, hat nicht einmal die neue Linke einen Plan für eine Überwindung der neoliberalen Herrschaft in der öffentlichen Politik Europas. Die ganzheitliche Revolution sehe ich daher als die Antwort, die sich ausbreiten und an Stärke gewinnen kann – gerade weil die Bürger erkennen, dass keine politische Kraft eine Praxis verwirklichen kann, die die Menschen ins Zentrum der öffentlichen Politik rückt.

Ich hoffe, dass die Besetzung verantwortungsvoller Regierungsposten durch Aktivisten wie in Barcelona auf lange Sicht zu einer größeren gesellschaftlichen und politischen Unterstützung der Bewegungen des zivilen Ungehorsams und der Selbstverwaltung führt – und nicht umgekehrt zu ihrer Demobilisierung. Die Regierungserfahrung sollte die politische Machtlosigkeit enthüllen und so dazu beitragen, die Selbstermächtigung sozialer Bewegungen als große ausstehende Möglichkeit zu legitimieren.

Übersetzung: Camilla Elle

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.