Aktion zum Reformationstag: Bei Luther! Jugend hat Reformbedarf

Autoritär und humorlos: Die Landeskirchenjugend schlägt zu 500 Jahren Reformation ein kritisches Thesenpapier an 300 Kirchentüren.

Das Original: Die Thesentür an der Schlosskirche zu Wittenberg Foto: dpa/picture alliance

Die evangelische Jugend geht zum Luther-Jubiläum hart ins Gericht mit ihrer Kirche: „Die evangelische Kirche ist ohne Visionen. Sie ist in ihren Strukturen gefangen, ohne sich mit den wirklich wichtigen Fragen zu beschäftigen“, heißt es in einem Thesenpapier, das die Jugendorganisation EJBO der Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz in der Nacht zum Reformationstag an 300 Berliner Kirchentüren nagelte.

Man erinnert sich: Vor 500 Jahren tat Martin Luther in Wittenberg das Gleiche – mit dem Ergebnis, dass dank seiner 95 Thesen zur Reformation einer dekadenten mittelalterlichen Papstkirche der Katholizismus im Ostteil der heutigen Republik bald (beinahe) Geschichte war.

Eine neue Kirche will die christliche Jugend nun zwar nicht gleich gründen, und es sind auch nur 15 Thesen, die nach Auskunft von Landesjugendpfarrerin Sarah Oltmanns etwa 100 Jugendliche in der Nacht zu Dienstag an die Kirchentüren pinnten. Aber natürlich wollten sie schon „einen Mangel verdeutlichen“.

Viele Gemeinden täten sich etwa sowohl mit Humor als auch mit Zweifeln am Glauben oft sehr schwer, sagt Oltmanns. „Für Lachen oder Applaudieren im Gottesdienst, selbst wenn man ein schönes Konzert gehört hat, erntet man häufig noch schiefe Blicke. Da ist oft eine Atmosphäre, die wenig erlösend ist.“ Diese doch eigentlich zentrale Botschaft des Christentums werde gerade für junge Leute so aber „sehr wenig spürbar“.

Der 31. Oktober ist Feiertag für Protestanten: Kurfürst Johann Georg II. von Sachsen setzte ab 1667 den 31. Oktober als Gedenktag fest. Gesetzlicher Feiertag ist der Reformationstag in den neuen Ländern, aber nicht in Berlin. Anlässlich 500 Jahre Thesenanschlag durch Luther galt der Feiertag 2017 einmalig bundesweit.

Halloween, der von irischen Migranten in den USA groß gemachte Brauch mit katholischen wie vorchristlichen Wurzeln, wird in der Nacht zum 1. November (katholisch: Allerheiligen) in Form von Grusel-Partys ausgelebt.

Horrorclowns seien dieses Jahr in dem Zusammenhang bisher kein Phänomen, teilte die Berliner Polizei mit. 2016 hatten grotesk geschminkte Clowns Menschen erschreckt und bedroht. Laut der Antwort der Senatsverwaltung für Inneres auf eine FDP-Anfrage kam es zu neun Ermittlungsverfahren. (taz, dpa)

Kritik übt die EJBO, die laut Oltmanns zwei Jahre lang mit der Aktion beschäftigt war, auch an hierarchischen Strukturen: Man fühle sich „häufig unerwünscht“ mit eigenen Ideen, schreiben die Jugendlichen. Zum Beispiel müssten Jugendgruppen oft um Räume in den Gemeindehäusern kämpfen.

12.000 Kirchenaustritte pro Jahr

Mit dem Thesenanschlag wollen sie nun eine Diskussion in den Gemeinden anstoßen. Tatsächlich wird die Kirche angesichts ihres Mitgliederschwunds den Unmut der Jungen wohl ernst nehmen müssen: Seit Jahren treten laut Kirchenstatistik rund 12.000 Menschen pro Jahr aus der Berliner Landeskirche aus – und auf 100 Austritte kommen nur sieben Neumitglieder.

Gerade in Berlin sei es für christliche Jugendliche zudem nicht leicht: „Sie machen oft Mobbingerfahrungen, insbesondere in den östlichen Stadtbezirken wie Lichtenberg oder Marzahn-Hellersdorf“, sagt Oltmanns. Dort, genau wie in den vielen ausgedünnten Kirchengemeinden in Brandenburg, wirkt noch nach, dass das SED-Regime in der DDR die Kirche ganz bestimmt nicht stärkte. Ganz im Gegenteil.

Aber auch in Teilen von Neukölln würden bekennende ChristInnen von MitschülerInnen angegangen, sagt die Pfarrerin. Ob das nun muslimische Jugendliche seien, spiele aus ihrer Sicht aber keine Rolle. Tatsächlich hatte im Sommer allerdings auch eine stichprobenhafte Befragung des American Jewish Committee an 20 Schulen ergeben, dass Diskriminierung von Andersgläubigen durch muslimische SchülerInnen von Lehrkräften als ein zunehmendes Problem wahrgenommen werde.

Landesbischof Markus Dröge sagte beim zentralen Festgottesdienst in der Spandauer Nikolaikirche am Dienstag, ChristInnen seien „zu vornehm-zurückhaltend, wenn es darum gehe, zu zeigen, wozu sie stehen“. Dröges Predigttext las sich in der Hinsicht allerdings vor allem als Abrechnung mit einem Rechtspopulismus à la AfD: Wer Angst um „unsere Kultur“ habe, möge sich doch in der Kirche engagieren, statt Hass und Wut zu verbreiten.

Am Mittwoch wollen die Jugendlichen Bischof Dröge ihre Thesen überreichen – mitsamt einer Holztür der Charlottenburger Trinitatiskirche, an der das Papier ebenfalls hängt. Eine recht massive Form des Protests: Einfach zu den Akten legen kann der Landesbischof das kritische Papier so jedenfalls tatsächlich nicht.

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