Abschiebung ohne Grundlage: Erst Luxusknast, dann obdachlos

Der Landkreis Hildesheim lässt einen Flüchtling widerrechtlich verhaften. Der landet dann ohne einen Cent in Italien.

Auf dem Weg vom Gefängnis in Langenhagen zum Frankfurter Flughafen: In diesem Wagen vermuten Unterstützer Saleh Abdullah. Bild: Jonas Nolden

HANNOVER taz | Die für ihre harte Haltung in Flüchtlingsfragen bekannten Beamten des niedersächsischen Landkreises Hildesheim haben einem Asylsuchenden 18 Tage lang widerrechtlich die Freiheit geraubt – mit Unterstützung des lokalen Amtsgerichts. Das geht aus einem Urteil des übergeordneten Landgerichts Hildesheim hervor, das Unterstützer des ursprünglich aus dem Sudan stammenden Saleh Abdullah am gestrigen Dienstag im Flüchtlingscamp Hannover bekanntgemacht haben.

Der Landkreis hatte argumentiert, nach Ablehnung seines Asylgesuchs bestehe bei dem 31-Jährigen Fluchtgefahr. Um sich seiner drohenden Abschiebung zu entziehen, könne er untertauchen. Verhaftet wurde der Hilfesuchende allerdings in einer Behörde: Am 26. Mai hatte Abdullah noch versucht, „Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz“ zu erhalten, hielt das Landgericht in seiner Urteilsbegründung fest. Deshalb sei klar, dass er „nicht die Absicht gehabt habe, sich dem Zugriff der Ausländerbehörde zu entziehen“. Die Verhaftung sei damit unrechtmäßig.

Für Abdullah aber hatte sie gravierende Folgen: Am 12. Juni, zwei Tage vor dem Urteil des Landgerichts, wurde er aus Niedersachsens Abschiebeknast Hannover-Langenhagen nach Italien geschafft. Als Mensch, der in einem kleinen Boot über das Mittelmeer geflüchtet ist und der zuerst in Italien europäischen Boden betreten hat, sind formal die italienischen Behörden für seinen Asylantrag zuständig.

Doch eine Chance auf ein menschenwürdiges Leben hat er dort kaum: „Bei unserem letzten Telefonat war mein Mandant obdachlos in Rom“, sagt sein Anwalt Paulo Dias. „Abdullah verfügt über keinerlei Geld, hat keine Arbeit.“ Nennenswerte Hilfe gewähre der italienische Staat Flüchtlingen nicht. Dänemark, die Niederlande und Belgien verzichteten deshalb auf Abschiebungen nach Italien, sagt Dias. Seinem Mandanten sei die Chance genommen worden, noch vor Verwaltungsgerichten gegen seine Abschiebung vorzugehen, klagt der Jurist.

Seit zwei Monaten sind sie sichtbar mitten in der Stadt: Auf dem Weißekreuzplatz, nur wenige Meter vom Nordausgang des Hauptbahnhofs entfernt, haben Flüchtlinge am 24. Mai ein "Refugee-Camp" errichtet.

Die Hilfesuchenden, von denen viele aus dem vom Bürgerkrieg zerstörten Sudan stammen, protestieren damit gegen die "Residenzpflicht", also die von Behörden auch in Niedersachsen noch immer verhängte Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit.

Kritisiert werden "Arbeitsverbote" und "schlechte Gesundheitsversorgung". Auch "menschenwürdiger Wohnraum" fehle.

Erneut demonstrieren wollen die Hilfesuchenden am Samstag, 26. Juli, ab 15 Uhr: Der Protest richtet sich gegen die drohende Abschiebung in Länder mit katastrophalen Aufnahmebedingungen, darunter Italien und Bulgarien.

Zur Diskussion laden die Flüchtlinge am Donnerstag, 31. Juli, ein - gemeinsam mit Vertretern von Amnesty International.

Dabei ist Abdullah kein Einzelfall: Die migrationspolitische Sprecherin der Grünen im niedersächsischen Landtag, Filiz Polat, verweist auf die Erfahrungen des auf Ausweisungen spezialisierten Anwalts Peter Fahlbusch aus Hannover. Der habe seit 2002 bundesweit 868 Menschen in Fragen der Abschiebehaft vertreten. In knapp der Hälfte der Verfahren sei entschieden worden, dass die Haft unrechtmäßig war – im Schnitt saßen Fahlbuschs Mandanten 28 Tage zu Unrecht im Knast.

Die seit Anfang 2013 amtierende rot-grüne Landesregierung Niedersachsens hat sich zwar eine menschlichere Flüchtlingspolitik zum Ziel gesetzt, noch aber argumentiert das von der Grünen Antje Niewisch-Lennartz geführte Justizministerium zynisch mit einer Verbesserung der Bedingungen im Abschiebeknast Hannover-Langenhagen: Dort seien die „Hafträume mit Holzmöbeln ausgestattet worden“ und wirkten dadurch „wohnlicher“.

Verwiesen wird auch auf „neue Fernseher“, ein „Biotop“ im Außenbereich – und die „Einrichtung einer Grillhütte“. Eine Fortbildung für Amtsrichter zur Vermeidung unrechtmäßiger Abschiebehaft hat erst ein einziges Mal stattgefunden.

Der niedersächsische Flüchtlingsrat fordert deshalb das Aus für den Abschiebeknast. Hätten dort vor zehn Jahren noch mehr als 150 Menschen eingesessen, seien aktuell nur fünf Flüchtlinge inhaftiert. „Dafür lohnt der Aufwand längst nicht mehr“, sagt Flüchtlingsrats-Geschäftsführer Kai Weber.

Überfällig sei dagegen ein seit langem versprochener Erlass von SPD-Innenminister Boris Pistorius: Der solle, sagt Weber, den Landkreisen klarmachen, dass „die Landesregierung keine rechtswidrigen Abschiebungen und überfallartigen Festsetzungen wünscht“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.