ARD-Film über Kundus-Affäre: Kein Platz im Kopf

Die ARD das versucht Dilemma von Afghanistan-Kommandeur Oberst Klein nachzuzeichnen. Sie verheddert sich zwischen Doku und Fiktion.

Was macht der Krieg aus Vincent (Ludwig Trepte)? Bild: NDR/Cinecentrum

Krieg in der Primetime geht eigentlich gar nicht. Das weiß NDR-Spielfilmchef Christian Granderath: „zu dunkel“ die Stoffe, „zu düster, zu gewalttätig“ und vor allem: „nicht wirklich frauenaffin“. Umso mehr lobt Granderath die Ausnahme von der Regel: das Doku-Drama mit dem klingenden Titel „Eine mörderische Entscheidung“ über den Bundeswehreinsatz in Afghanistan 2009, das letzte Woche schon auf Arte lief und am Mittwoch in der ARD gesendet wird.

Die eine Hälfte des Films von Raymond Ley spielt in der Nacht zum 4. September, als US-Kampfjets nahe Kundus zwei Tanklaster bombardierten, deren Explosion bis zu 140 Menschenleben forderte. Der Befehl zum Abwurf kam vom Stabschef der 13. Panzergrenadierdevision der Bundeswehr, Oberst Georg Klein. Ein deutscher Kriegsverbrecher?

Der Rest des Films beschäftigt sich mit der Geschichte des ersten gefallenen deutschen Soldaten seit 1945, Sergej Motz, dessen Vater makabererweise auch schon in Afghanistan gekämpft hatte – aufseiten der UdSSR. Und es geht um David, den afghanischen Jungen, der auf dem Video zu sehen ist, das die Taliban gefilmt haben. Er kann nicht älter als 14 sein. Grübchen hat er, wenn er lacht. Er hält ein Gewehr hoch und singt irgendein radikal-islamisches Lied. Er wird sich später als Attentäter mit einem Auto in die Luft sprengen.

Das allein wäre mehr als genug Stoff für neunzig Minuten. Eine ganze Armee hervorragender Darsteller müht sich hier ab. Matthias Brandt mimt den Oberst Klein viel ambivalenter, als die Dokumente es hergeben. An seiner Seite wispert Axel Milberg als BND-Agent ihm mephistophelisch ins Ohr. Und trotzdem geht der Film nicht auf.

Der Film will viel zu viel

Das liegt schlichtweg daran, dass die „mörderische Entscheidung“ keinerlei dramaturgische Entscheidungen trifft. Der Film will nicht nur Dokumentar- und Spielfilm sein, sondern auch emotional und objektiv, analytisch und authentisch und unparteiisch irgendwie auch. Deshalb kommen im Dokuteil nicht nur die Angehörigen von Menschen zu Wort, die bei dem Desaster ums Leben gekommen sind, sondern auch Leute wie der im Zuge der Affäre gefeuerte Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, der wiederum ob seiner Prominenz Deutungshoheit einfordert, die der Film ihm auch gewährt.

Die Emotionalität, die dabei erzeugt werden soll, bleibt bei so viel Stimmengewirr schnell auf der Strecke. Ständig wird das Spiel der Darsteller durch O-Töne kommentiert und richtiggestellt, ständig wird der Erzählfluss unterbrochen, um die Geschichte zu verifizieren. Die eigentliche Tragödie spielt sich immer im Kopf des Zuschauers ab, doch dort bleibt zwischen Doku und Fiktion einfach kein Platz mehr. Es ist wie bei einer Krankenschwester, die ihre Patienten alle zwei Stunden weckt, um ihnen Schlaftabletten zu verabreichen.

Wirklich ergreifend ist eigentlich nur die Geschichte von David, die ohne direkte Betroffene erzählt wird. Wir sehen einen weinenden Vater, der seinen Sohn auf Knien im Staub anfleht, nicht mit den Taliban mitzugehen. Wir sehen, wie der Sohn, ebenfalls weinend, dem Vater die Stirn küsst und in das Auto einsteigt. Wir sehen, wie der Vater dem Auto nachschaut und sich vor Kummer vor- und zurückwiegt.

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