ADFC-Sprecher über neue Fahrradpolitik: „Aggression rausnehmen“

Das Radeln auf der Straße, das die SPD jetzt forcieren will, sei sicherer als das auf Bürgersteigen, sagt Dirk Lau vom ADFC.

Darf endlich aus dem Schatten treten: Radfahrer. Bild: dpa

taz: Herr Lau, kippt durch die neuen Radstreifen, die die SPD auf den Straßen einrichten will, endlich die Radwegpflicht?

Dirk Lau: Es gibt keine generelle Radweg-Benutzungspflicht. Es gibt aber Ausnahmeregelungen für bestimmte Straßen, bei denen die Polizei eine besondere Gefährlichkeit für Radler nachweisen kann.

Und wenn Radler mal kurz auf den Gehweg straucheln, machen sie sich strafbar.

Es ist eine Ordnungswidrigkeit …

während der Fußgänger den Radweg straffrei blockieren darf.

Nein. Wenn er dadurch den Radverkehr behindert, begeht auch er eine Ordnungswidrigkeit, die man der Polizei melden kann. Dieses Szenario ist natürlich utopisch, aber genau darin liegt die Krux: dass man Fußgänger und Radfahrer in den letzten Jahrzehnten auf den engen Bürgersteigen zusammengepresst hat.

Warum eigentlich?

Das sind Stadtentwicklungskonzepte der 1950er-, 1960er-Jahre, in denen es darum ging, viel Autoverkehr schnell durch die Stadt zu leiten. Da störten die anderen Verkehrsarten. Fußgänger und Radler wurden also an den Rand der Straße, an die Häuserfront gedrängt und durften sich um den knappen Raum prügeln.

49, Journalist, ist seit 2008 stellvertretender Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) Hamburg.

Die 1960er-Jahre sind ja eine Weile her. Wann begann das Umdenken?

Bei Hamburgs SPD offensichtlich letzten Monat, als sie ihren Antrag beschloss, der den Radlern mehr Platz auf den Straßen einräumen will. Insgesamt geht der Trend aber schon seit einem knappen Jahrzehnt weg vom „Autostadt“-Konzept. Das zeigen verschiedene Gerichtsurteile, die besagen, dass der Autoverkehr nicht derart bevorzugt werden darf wie in Hamburg.

Hamburgs Bürgerschaft hat den von der regierenden SPD eingebrachten Antrag (Drucksache 20/9679) zum Radverkehr am Donnerstag beschlossen.

Hintergrund des Papiers sind das stetig steigende Radverkehrsaufkommen sowie nicht normgerechte, das heißt zu schmale, nachweislich unfallträchtige Radwege.

Ziel ist es, eine gut sichtbare Radverkehrsinfrastruktur zu bilden und zum Radfahren zu animieren. Auch will man Konflikte mit Fußgängern auf den Gehsteigen, die durch die Radwege stark verengt sind, lindern und so die Unfallzahlen reduzieren.

Maßnahmen sollen - vor allem im Zuge von Straßensanierungen - der verstärkte Ausbau von Radstreifen, von Fahrradstraßen am stark befahrenen West- und Ostufer der Außenalster sowie der Rückbau der auf Gehwegen angelegten Radwege sein.

Aber sind Radstreifen nicht gefährlicher als Radwege auf dem Gehsteig?

Das ist ein Vorurteil, das den Radfahrern jahrelang eingeimpft wurde. Aber inzwischen sagt selbst der ADAC: Alle Unfallstudien zeigen, dass der Radverkehr auf der Straße am sichersten ist.

Warum?

Wegen des Prinzips „Sehen und Gesehenwerden“. Sie werden als Radler vor allem dann angefahren, wenn die Autofahrer Sie nicht rechtzeitig sehen – etwa, weil Sie plötzlich vom Fußweg her in eine Kreuzung einbiegen.

Und ein Radstreifen löst all diese Probleme?

Das genügt natürlich nicht, sondern man braucht ein Maßnahmenbündel: Geschwindigkeitsreduzierung zum Beispiel. Denn die Tempo-Unterschiede zwischen Rad und Auto führen zu Unsicherheiten und Unfällen, auch das zeigen Statistiken.

Aber die Straße wird durch den Radstreifen schmaler. Das Gedränge wird also nur verlagert.

Da muss die Polizei natürlich Aufklärungsarbeit leisten und für Rücksichtnahme werben. Denn der Platz ist begrenzt und muss gerechter verteilt werden. Es kann nicht sein, dass die Autos 80 Prozent bekommen und die anderen den kargen Rest. Diese Vorstellung steckt aber noch in vielen Autofahrer-Köpfen.

Aber bis das Feindbild „Radler“ verschwindet, wird es Jahrzehnte dauern.

Das glaube ich nicht. Das Bild vom Rüpelradler wird teils von den Medien, teils von der Politik forciert und spiegelt nicht die Realität wider. Die Realität ist, dass ein Verteilungskampf stattfindet, da muss die Aggressivität rausgenommen werden. Politik und Polizei sind gefordert, auf die Verkehrsteilnehmer besänftigend einzuwirken. Und eine Verkehrspolitik zu machen, die den Straßenverkehr ganz konkret entschleunigt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.