68er-Roman „Rebellen“: Die Drogen fehlen

Alexander ist Fabrikantensohn, Paul ist Proletarier und hört Beatmusik. Wolfgang Schorlau erzählt die Geschichte einer 68er-Männerfreundschaft.

Zeiten des Aufruhrs: Proteste vor der Frankfurter „Bild“-Druckerei im April 1968. Bild: dpa

„Was bleibt von der Rebellion und den Idealen der Jugend?“, heißt es im Klappentext des Romans „Rebellen“ von Wolfgang Schorlau. Eine irgendwie komische, konservative Frage, 45 Jahre danach.

Für Alexander, den Sohn aus gutem Hause, war die Rebellion eine episodische, gefühlvolle Phase seiner Jugend, an die er manchmal denkt, wenn er ein Konzert seiner Lieblingsband Rolling Stones besucht. Längst ist er als erfolgreicher Unternehmer in der Herstellung von Airbags tätig.

In einer Szene des Romans, der von „den gesellschaftlichen Umwälzungen der sechziger und siebziger Jahre“ in Freiburg erzählt und in der ungefähren Gegenwart endet, wird er auf einem Empfang von einem Banker angesprochen. Er habe doch früher Steine in sein Institut geworfen. Alexander antwortet: „War es nicht Churchill, der einmal gesagt hat, dass man kein Herz hat, wenn man mit zwanzig nicht Kommunist ist, und keinen Verstand, wenn man es mit dreißig immer noch ist?“

Das Engagement in einer maoistischen Partei hat ihm sogar genützt bei der Restrukturierung der Firma seines Vaters. Im Grunde genommen hat er seine früheren Ideale verraten. Beziehungsweie in die Unternehmertätigkeit transformiert. Konkret wird er auch später seinen Freund verraten.

Der andere, Paul, sein bester Freund von früher, ist seinen Vorstellungen treu geblieben. Genügsam wohnt er immer noch in der gleichen Wohnung, in die er als junger Mann einzog, hat die Arbeitsstelle nicht gewechselt, in einem Satz wird auch erwähnt, dass er die Grünen mit gründete.

Klassische Paarkonstellation

Die beiden Freunde, aus deren wechselseitiger Perspektive der Roman zumeist erzählt wird, kommen aus gegensätzlichen Verhältnissen; Paul wohnt im Kinderheim; Alexander ist der Sohn eines Fabrikanten. Der eine geht aufs Gymnasium, der andere auf die Volksschule. (Eine im Umfeld von 68 häufig auftretende Männerpaarkonstellation, die Klaus Theweleit in seinem „Buch der Könige“ analysiert hat.)

Als Jugendliche lernen sie einander kennen. Die unterschiedlichen Verhältnisse, in denen sie leben, macht sie attraktiv füreinander. Die Schilderung der Kindheit und frühen Jugend der beiden, die Bedrängungen im Kinderheim, die Verhältnisse im gut situierten Elternhaus von Alexander, die ersten Liebesbeziehungen, gehören zu den Stärken des Buchs.

Alexander, bei dem zu Haus nur ernsthafte Musik gehört wird, lernt bei Paul die Beatmusik kennen. Paul wird wiederum von Alexander politisiert, wie man damals so sagte. Während im Gymnasium und im Elternhaus von Alexander, „der gute Stall“ zählt, sind die Verhältnisse im politisierten Umfeld umgekehrt: Paul wird als Vertreter der unteren Klassen, denen die Revolution aufgegeben ist, (mit einem Zug zum Paternalismus) hofiert; Frauen interessieren sich dafür, wie ein echter Proletarier im Bett ist.

Unterschiedliche Aspekte von 68 werden abgehandelt: Beatmusik, sexuelle Revolution, Demonstrationen gegen eine Fahrpreiserhöhung als Erfahrung der Verbindung mit den normalen Mitbürgern; die eher lustfeindlichen K-Gruppen versus die Spontis, die lange schlafen und versuchen, sich einen schönen Tag zu machen.

Der Traum von der Ehe zu dritt

Toni, Alexanders spätere Frau, steht zwischen den beiden Freunden und träumt von einer Ehe zu dritt. Ihr Mann wird der Psychotherapeutin später eine Praxis einrichten, in der sie magersüchtige Mädchen behandelt. Magersüchtige rebellieren nicht, weil sie die Machtverhältnisse internalisiert haben, heißt es.

Alles ist nachvollziehbar, man liest das Buch wie einen Film, wie einen zweiteiligen „Tatort“ ohne richtiges Verbrechen; nur manchmal hat man das Gefühl, dass allzu modellhaft die unterschiedlichen Aspekte von 68 pp. abgehandelt werden, wobei interessanterweise die Drogen fehlen.

Manche Passagen wirken etwas gespreizt und politisch korrekt, wenn Toni denkt: „Ich glaube, in meinem aufkeimenden Feminismus mochte ich das deutlich spürbare Mackertum von Baader nicht. Vor allem lehnte ich Gewalt ab. Es war so unglaublich vermessen, sich herauszunehmen, über Leben und Tod zu entscheiden. Schleyer war ein alter Nazi. Sicher. […] Aber wenn die RAF alle alten Nazis hätte killen wollen – 1977 hätte das Massenmord bedeutet.“

Viel Zeit ist seit 1968 vergangen; viele Bücher über 68 sind geschrieben worden, viele Filme gedreht. Schorlau hat viel recherchiert – Ältere, die sich in Freiburg auskennen, werden Vorbilder einiger Protagonisten identifizieren können –, er hat sich darum bemüht, ein differenziertes Bild dieser Zeit zu zeichnen, in der die Einführung der Popmusik im konservativen Deutschland und ein politisches Aufbegehren Hand in Hand gehen. Alles ist mehr oder weniger nachvollziehbar; trotzdem ist der Roman etwas zwiespältig, schlicht, weil das 68er-Thema schon so häufig abgehandelt wurde.

Was bleibt? – Was soll schon bleiben? Die Rudi-Dutschke-Straße, Stadtführungen zu den Schlachten von damals, linke Baugruppen, die sich zerstreiten und gegeneinander prozessieren. Was bleibt ist eine klassische Frage, die Hölderlin bekanntlich so beantwortete „Was bleibet aber, stiften die Dichter.

Wolfgang Schorlau: „Rebellen“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013, 336 Seiten, 19,99 Euro

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.