40 Jahre nach Ende des Vietnamkriegs: Ein unvorstellbar langes Leiden

Am 10. August begeht Vietnam den Tag des ersten US-Herbizideinsatzes im Land. Erstmals klagt ein Opfer in Frankreich auf Entschädigung.

Fünf vietnamesische Jungs schauen direkt in die Kamera.

Geistig und physisch beeinträchtigte Kinder: Die Spätfolgen der Agent-Orange-Angriffe sind immer noch präsent. Foto: imago/Sommer

PARIS taz | Zehn Jahre nach dem Scheitern einer Sammelklage vietnamesischer Agent-Orange-Opfer in den USA hat vor Kurzem in Frankreich Europas erster Agent-Orange-Prozess begonnen. Tran To Nga, eine Französin vietnamesischer Herkunft, hatte im Juni 2014 eine Klage gegen 26 US-Chemiekonzerne beim Landgericht der Pariser Vorstadt Évry eingereicht. Die Firmen hatten in den 1960er Jahren das dioxinhaltige Agent Orange zur Wald- und Erntevernichtung für das US-Militär produziert. Im April begann in Évry der Prozess.

Tran To Nga war 1966/67 mehrfach direkt mit dem krebserregenden Gift besprüht worden, bestätigen Augenzeugen in der Klageschrift. Damals hielt sie sich in der Provinz Binh Duong auf, die mit am stärksten besprüht wurde. Ein Bluttest ergab bei der heute 73-Jährigen hohe Dioxinwerte.

Ihr Krankheitsbild – Diabetes und eine Erkrankung roter Blutkörperchen – entspricht wie das ihrer zwei Kinder und zwei Enkel typischen Auswirkungen des Herbizidkontakts, der bis heute Schäden verursacht, die über Generationen weitergegeben werden. Ihr erstes Kind verlor die frühere Berichterstatterin der Befreiungsarmee („Vietcong“) 17 Monate nach der Geburt. Tran To Nga lebt seit 1992 in Frankreich, seit 2004 ist sie Französin.

„Ich habe die Klage viele Jahren vorbereitet“, sagt sie der taz. Sie fordert mehrere hunderttausend Euro Schadensersatz. Die Konzerne versuchen das Verfahren durch wiederholte Beweisanträge zu verzögern und spielen angesichts des Alters und der Erkrankung der Klägerin auf Zeit.

Weitere Klage in den USA

Doch ihr Anwalt Bertrand Repolt ist optimistisch. Er erwartet bis Ende 2016 ein Urteil. Gegenüber der taz betont er die Bedeutung der Klage für einen zweiten Verfahrensanlauf in den USA. Dort spiele das Fallrecht, also die Orientierung an in der Sache ähnlich gelagerten Fällen, eine übergeordnete Rolle.

Doch ist dort mit einem neuen Verfahren so bald nicht zu rechnen. Eine Vertreterin des Verbandes der Vietnamesischen Agent-Orange-Opfer (Vava), die nicht namentlich genannt werden möchte, sagte der taz, zuletzt seien mehrere Versuche in dieser Richtung gescheitert. Für eine solche Klage seien in den USA keine Anwälte mehr zu finden.

Wegen des Scheiterns der Verfahren in allen Instanzen zwischen 2005 und 2009 könnte eine neue Klage schnell abgewiesen werden. Auch seien noch fast dieselben Richter im Amt. So amtiert der heute 93-jährige Richter Jack Weinstein vom Eastern District Court in New York auf Lebenszeit, das heißt, er entscheidet über seine Pensionierung selbst. Der Ex-Marine kann es nach eigenen Angaben jeden Tag kaum erwarten, zur Arbeit zu gehen.

Weinstein hatte 1984 einen Vergleich zwischen US-Konzernen und -Veteranen erwirkt. Doch im März 2005 wies er die Klage der vietnamesischen Opfer erstinstanzlich ab. Sie hätten nicht nachweisen können, dass ihre Krankheiten auf Agent Orange zurückgingen.

„Als würden wir nicht existieren“

40 Jahre nach Kriegsende sind viele Gebiete im Süden noch verseucht. Deshalb kommt es zu Neuerkrankungen auch jenseits der Erbgutschädigungen in der inzwischen dritten Generation. Millionen Vietnamesen leiden an teilweise schweren Folgen. Die meisten bekommen keine Hilfe vom Staat Vietnam. Der hilft nur Opfern, die oder deren Eltern im Süden für den Umsturz gekämpft hatten. Für die Opfer wurde 2009 der 10. August zum „Agent-Orange-Tag“ erklärt. Am 10. August 1961 hatte die US-Armee erstmals Herbizide in Vietnam versprüht.

In den USA haben betroffene Veteranen zwar Zugang zu medizinischer Versorgung, erkrankte Kinder männlicher Veteranen jedoch meist nicht. Heather Bowser, Mitbegründerin der Children of Vietnam Veterans Health Alliance, sagte kürzlich auf einer Agent-Orange-Tagung im bayerischen Tutzing: „Unsere Regierung behandelt uns Betroffene, als würden wir nicht existieren. Wir wissen nicht einmal, wie viele wir sind.“

Laut der Forscherin Jeanne Stellman von der Columbia Universität versuchten die verantwortlichen Chemiekonzerne und Behörden bis heute, Studien zu Agent Orange in den USA zu blockieren. So wüssten große Teile der Öffentlichkeit nicht, dass die Problematik weiterbestehe, sagt Charles Bailey vom Programm „Agent Orange in Vietnam“ des Aspen Institutes.

Das Institut mobilisierte 115 Millionen Dollar von der US-Regierung für Bodenreinigungs- und Unterstützungsprojekte in Vietnam. Einerseits ist das lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein. Zudem fehlt weiterhin eine Gesamtlösung für alle Dioxingebiete. Auch war der Begriff „Agent Orange“ für US-Diplomaten noch bis vor zehn Jahren tabu.

Der Chemiker Frank Karg fordert auch einen Beitrag von Staaten, die wie Deutschland den chemischen Krieg der USA mitgetragen haben. Unterschiedliche Quellen behaupten bis heute, dass Boehringer Ingelheim einen dioxinhaltigen Bestandteil von Agent Orange hergestellt hat. Das Unternehmen bestreitet das, räumte aber 1992 ein, dass es dazu bereit gewesen wäre.

So verhandelte Boehringer 1967 nach eigenen Angaben mit dem US-Chemiekonzern DOW über den Verkauf seines Know-hows zur Herstellung des Bestandteils T-Säure auch für militärische Nutzungen. Doch kam der Vertrag nicht zustande, weil DOW den entsprechenden Auftrag des Pentagons nicht bekam. 1992 erklärte Boehringer dazu, es „bleibt aus heutiger Sicht die moralische Last, daß Boehringer Ingelheim sein Know-how für die Produktionn von Agent Orange zur Verfügung gestellt hätte.“

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