20 Jahre Windkraft: Eine Branche im Aufwind

Im August 1987 ging der erste kommerzielle Windpark ans Netz. Was von vielen belächelt wurde, hat sich bis heute zu einer leistungsfähigen Industrie entwickelt.

Einst ein Fall für Ökoenthusiasten, heute Konkurrenz für AKW. Bild: ap

Ein Windkraftwerk erzeugt elektrischen Strom durch die Drehung des Rotors, der einen Generator antreibt. Durch Luftverwirbelungen an den Turbinenblättern und Verluste bei der Übertragung der Kräfte sowie der Umwandlung in Elektrizität beträgt der Wirkungsgrad etwa 40 Prozent. Die Leistung einer Windkraftanlage ist nicht nur vom Rotordurchmesser abhängig, sondern auch von der Masthöhe, da über dem Boden der Wind von Häusern und anderen Hindernissen gebremst wird. Im Vergleich zur konventionellen Stromerzeugung ersparen Windkraftanlagen der Umwelt pro erzeugter Kilowattstunde durchschnittlich 1,1 Kilogramm Kohlendioxid, 7,1 Gramm Schwefeldioxid, 2,8 Gramm Stickoxid,0,9 Gramm Kohlenmonoxid und knapp 0,2 Gramm Staub. Im Vergleich zu einem Atomkraftwerk entfallen 3,1 Milligramm Atommüll.

Die Windenergie verhilft so zu erheblich mehr Unabhängigkeit von Energierohstoffen und von den komplizierten Gewinnungs-, Verarbeitungs-, Lager- und Transportprozessen. Damit ist die Energieversorgung mit Windkraftanlagen weniger risikoanfällig. Windkraftanlagen erreichen pro Jahr durchschnittlich 2.000 Volllaststunden an Land, an der Küste sind es 3.000. Bei Offshoreanlagen erwarten Techniker 4.000 Volllaststunden.

Deutschland ist Weltmeister beim Windstrom: Jede dritte Windkraftanlage steht hier. Die Windenergiebranche hat sich in Deutschland nach den Automobilherstellern zum zweitgrößten Stahlabnehmer entwickelt. Rund 70.000 Menschen sind in der Branche beschäftigt. DPA

Noch diesen August werden Windräder in Deutschland eine höhere Leistung haben als Atomkraftwerke. AKWs, so der Informationskreis Kernenergie, wiesen Anfang dieses Jahres eine Nennleistung von 21.366 Megawatt aus. Nach einer Erhebung des Deutschen Windenergie-Instituts waren Ende Juni Windräder mit einer Leistung von 21.283 Megawatt am Netz. Seitdem sind noch mal 100 Megawatt, so der Bundesverband Windenergie, hinzugekommen, sodass jetzt die Gesamtleistung der Windenergie mit 21.383 Megawatt die der Atomstromer übertrifft.

Allerdings ist nicht allein die installierte Leistung von Bedeutung, sondern die produzierte Strommenge. Wind bläst unregelmäßig, weshalb nicht jedes installierte Megawatt auch tatsächlich und jederzeit abrufbar Strom produziert. "Atomkraftwerke liefern ja aber auch nicht immer zuverlässig Strom, wie wir jüngst wieder bestätigt bekamen", kontert Ralf Bischof, Geschäftsführer des Bundesverbandes Windenergie (BWE).

Nach Berechnungen des Instituts für Solare Energieversorgungstechnik speisten Windräder in Deutschland am 30. Juli 226 Millionen Kilowattstunden Strom ins Netz ein. Den Angaben nach standen dem 270 Millionen Kilowattstunden Atomstrom gegenüber. Konkurrieren die Windmüller also auf Augenhöhe mit den Atomstromern?

Ganz so weit ist es noch nicht: Erstens bescherte jener Julitag den Windmüllern eine ungeahnt starke Brise. Zweitens standen fünf der 17 deutschen Atomkraftwerke wegen Pannen oder Revisionen still. Aber dennoch: Wer hätte vor 20 Jahren gedacht, dass aus einzelnen Windmüllern der prosperierendste Wirtschaftszweig Deutschlands wird?

Am 24. August 1987 ging der erste Windpark Deutschlands ans Netz. An der Nordseeküste im Ditmarschen Kreis (Schleswig-Holstein) drehten sich 32 Windräder. Windkraftanlagen konnte man diese noch nicht nennen: Ihre Leistung betrug zwischen 10 und 25 Kilowatt. Heute sind moderne Anlagen 200-mal so leistungsfähig.

Enthusiasten am Werk

"Es waren Enthusiasten, die vor 20 Jahren die Erfolgsgeschichte der Windenergie begründeten", sagt Peter Ahmels - selbst ein solcher Enthusiast. Anfang der 90er-Jahre stellte er zwei Windräder auf seinem friesischen Bauernhof auf - eine 200-Kilowatt- und eine 300-Kilowatt-Maschine. "Wir sind damals ein sehr hohes ökonomisches Risiko eingegangen", sagt der Landwirt. Und natürlich musste man "Geld übrig" haben - keine Bank der Welt sei damals auf die Idee gekommen, Windkraftanlagen finanzieren zu wollen.

"Die Zeit arbeitet für die Windmühlen." Diese Aussage stammt von Heinz Riesenhuber, der Ende der 80er-Jahre Bundesforschungsminister war. Der CDU-Politiker warnte damals schon vor der Klimakatastrophe, weshalb er auch die Atomenergie deutlich auszubauen gedachte. Aber eben nicht nur: Unter Riesenhuber wurde ein 250-Megawatt-Programm aufgelegt. Technisch war die Windkraftbranche so weit, 250-Kilowatt-Anlagen bauen zu können. Das Programm Riesenhubers sah vor, dass 1.000 solcher Anlagen gefördert werden sollten.

"Ein enorm wichtiger Meilenstein", urteilt Peter Ahmels. Das Programm entpuppte sich nämlich für den Mittelstand als Initialzündung: Fortan lohnte es sich, die Windradfertigung zu industrialisieren. Ahmels: "Die Faustregel lautet: Eine Verdopplung der Produktion bringt über Automatisierung und technologische Lerneffekte eine Kostenersparnis von 20 Prozent." Riesenhubers Programm sorgte für deutlich mehr als eine Verdopplung der Produktion. Windräder wurden schlagartig deutlich billiger. Und dann erließ das Kabinett Kohl 1991 das Einspeisegesetz: Fortan waren die Energieversorgungsunternehmen verpflichtet, regenerativ erzeugten Windstrom in ihre Netze aufzunehmen und zu einem Preis von 16,5 Pfennig je Kilowattstunde zu vergüten - "der nächste wichtige Meilenstein", wie Ahmels urteilt.

Mitte der 90er-Jahre wurde Ahmels zum Gründungspräsidenten des Bundesverbandes Windenergie berufen, dem er dann auch zehn Jahre lang vorstand. Und in diesen zehn Jahren erlebte er eine beispiellose Erfolgsgeschichte. 1997 änderte die Regierung Kohl das Baurecht und erleichterte den Bau von Windanlagen im Außenbereich. Die Hersteller entwickelten rasend schnell immer größere Anlagen. Pro Höhenmeter steigt die Stromernte um ein Prozent wegen der höheren Windgeschwindigkeiten. Außerdem entwickelten sich rund um die Windkraft Finanzdienstleister, wie etwa die Bremer Firma WPD: Über Fonds sammelten sie Geld ein, um größere Projekte zu finanzieren. Das steigerte wiederum die Nachfrage nach Windkraftanlagen, was dann die Kosten reduzierte. Dann verabschiedete die rot-grüne Bundesregierung auch noch das Erneuerbare-Energien-Gesetz: Ab sofort wurde der Ausbau der Windkraft über eine Umlage finanziert. Zwei Prozent des Strompreises flossen direkt den Betreibern zu - aktuell mindestens 5,5 Cent je Kilowattstunde Windstrom.

"Binnen 15 Jahren hat sich das Wachstum der Branche verfünfzehnfacht", sagt Ralf Bischof vom Bundesverband Windenergie. Die Windradproduktion trug 2006 mit 6 Milliarden Euro zum Umsatz des deutschen Maschinenbaus bei. Ein solches Wachstum ist in der neueren deutschen Wirtschaftsgeschichte einzigartig. "70.000 Menschen leben von der Windkraft-Industrie", sagt Thorsten Herdan vom "Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau". Neben 28.000 Jobs im Maschinenbau seien auch das Arbeitsplätze in Planungsbüros, bei Finanzdienstleistern und Wartungspersonal.

Doch der Boom hat seinen Zenit in Deutschland erreicht. Zwar ist Deutschland immer noch Weltmeister bei der installierten Leistung. Bilanziert man aber die Zahl der neu aufgestellten Windräder, landet die Bundesrepublik nur noch unter "ferner liefen". Märkte wie die USA, Spanien, Indien oder China hingegen explodieren gerade.

Der Windkraftanlagenbauer Nordex aus Norderstedt im Süden Schleswig-Holsteins, ein im Öko-DAX-notierter Konzern, vermeldete gestern einen Gewinnsprung von 28 Prozent. Grund dafür ist das Auslandsgeschäft, das bei Nordex mittlerweile 82 Prozent ausmacht. Der Weltmarktführer Vestas aus Dänemark prognostiziert, dass der deutsche Markt im nächsten Jahr nur noch 3 Prozent ausmachen wird. Statt sich mit Deutschland aufzuhalten, exportieren die Dänen lieber massiv in die USA. Ein Auftrag über 182 Windräder mit 300 Megawatt Leistung, wie ihn gerade BP Alternative Energy erteilte, ist in Deutschland völlig undenkbar. Oder RePower aus Hamburg: Deutschlands zweitgrößter Windradhersteller wurde im Frühjahr kurzerhand geschluckt - vom indischen Konkurrenten Suzlon.

"Verkehrte Welt", nennt BWE-Geschäftsführer Bischof diese Entwicklung und warnt: "Deutschland muss aufpassen, dass es den Anschluss nicht verpasst." Denn nicht die Standorte - wie immer behauptet - würden knapp, sondern der politische Wille, den Ausbau der Windkraft zu forcieren. "Brandenburg hat beispielsweise 1,3 Prozent seiner Landesfläche als potenzielle Windrad-Standorte ausgewiesen, in Mecklenburg-Vorpommern sind es nur 0,5 Prozent." Einen vernünftigen Grund, warum die Nordostdeutschen fast dreimal weniger ausweisen, gebe es nicht. Allenfalls einen politischen: "Hessen hat deutlich unter 0,1 Prozent seiner Fläche der Windkraft zugewiesen", sagt Bischof. Ergo sei dort in den vergangenen acht Monaten kein einziges Windrad aufgestellt worden.

Dabei trägt die Branche einen Großteil der Verantwortung für diese Entwicklung: Zum ersten Mal nämlich hat sie Ziele formuliert, die nicht erreichbar waren. So sollte in diesem Jahr der Offshore-Boom kommen - riesige Windparks in Nord- und Ostsee. Viele Firmen entwickelten für dieses Geschäft große 5-Megawatt-Windräder. Aber die technischen und planungsrechtlichen Herausforderungen waren größer als erwartet. "Wir brauchen allein zwei Jahre, um den Fisch- und Vogelzug für unser Nordsee-Projekt zu untersuchen", sagt Christian Schnibbe von der Firma WPD. Er hofft, dass jetzt 2009 mit dem Ostsee-Offshore-Park Baltik 1 - 13 Kilometer vor dem Darß - begonnen werden kann.

Größter Windpark Dänemark

Tatsächlich sind die Genehmigungshürden in anderen Ländern niedriger als in Deutschland. Von Finnland über Schweden, Großbritannien und Frankreich ist die Einsicht gewachsen, dass ohne Offshore die europäischen Klimaziele - unter anderem 20 Prozent regenerativer Strom bis 2020 - nicht zu schaffen sind. So ist nicht verwunderlich, dass - während in Deutschland noch geplant wird - 2006 in Dänemark der größte Windpark der Welt ans Netz ging. Dass die Branche stark im Wandel ist, kann man auch am Branchenverband sehen. Viele Jahre hat sich der Präsident Peter Ahmels dafür eingesetzt, dass jedes Mitglied im Bundesverband Windenergie das gleiche Stimmrecht hat, "egal, ob es sich um einen kleinen Windparkbetreiber oder einen großen Windradkonzern handelt". Ahmels versuchte so den Pioniergeist von einst im Verband zu verankern - gegen die Widerstände der Großen, die mehr Stimmrecht forderten. Seit April ist Ahmels Privatier, und die Großen haben jetzt mehr Einfluss.

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