20 Jahre Raster Noton: Drei Männer und ein Baby

Das Elektroniklabel Raster Noton arbeitet an der Schnittstelle von Club und Kunst. Ein Ständchen zum 20-jährigen Bestehen.

Drei Männer

Drei Dickköpfe, ein gemeinsames Label: Olaf Bender, Frank Bretschneider und Carsten Nicolai (v.l.n.r.) Foto: Pere Virgili

„Das macht man doch mit dem Smartphone“, sagt Olaf Bender beim Betätigen des MP-3-Player-Aufnahmeknopfs. In dem Scherz steckt ein Teil dessen, wovon nun erzählt wird: von drei Künstlern, die seit 20 Jahren unprätentiös, aber auch konzeptuell ein Label führen, das als renommierte Plattform für elektronische Musik und audiovisuelle Kunst gilt.

Es geht auch um die Diskurse, die es seit jeher begleitet: die Beziehung von Mensch und Maschine und die kritische Haltung zu ihr. Raster Noton wurde 1996 in Chemnitz von Bender, Carsten Nicolai und Frank Bretschneider gegründet. Der Untertitel „Archiv für Ton und Nichtton“ steht für seine avantgardistische Ausrichtung. Das unterscheidet Raster Noton auch von zeitgleich entstandenen Labels wie Ninja Tune.

Denn als Künstlerkollektiv und kreative Plattform an der Schnittstelle von Pop, Kunst und Wissenschaft laufen das längst ikonisch gewordene minimalistische Design, aber auch die Zusammenarbeit mit Galerien und Museen in seiner Arbeit zusammen.

Hang zu Polyrhythmik

Vor allem ist Raster Noton ein Zuhause für einige der radikalsten Musiker und Soundkünstler der letzten Dekade. Etwa für den japanischen Komponisten Ryūichi Sakamoto (Yellow Magic Orchestra) oder den Briten Mark Fell, einem Vertreter der algorithmischen Musik. Auch die drei Gründer veröffentlichen eigenes Material: So hat der für seine Videokunst bekannte Bretschneider maßgeblich die Entwicklung von Minimal Techno geprägt und sich in eigenwilligen Tracks mit Hang zu ausgefeilter Polyrhythmik einen Namen gemacht. Olaf Bender alias Byetone und Carsten Nicolai alias Alva Noto werden vor allem für ihre unterkühlte und dennoch druckvolle, zwischen Soundkunst und Club pendelnde elektronische Musik geschätzt. Die hat ihnen große internationale Aufmerksamkeit beschert.

2013 tourten sie mit ihrem Duoprojekt Diamond Version mit Depeche Mode durch Osteuropa. Letztes Jahr produzierte Nicolai zusammen mit Sakamoto den Soundtrack für das Hollywood-Epos „The Revenant“, der bei den Golden Globes für die Sparte „Beste Filmmusik“ nominiert wurde.

All das merkt man den dreien nicht an, als sie im Hinterhof von Nicolais Atelier in Berlin sitzen, vor ihnen ein Stillleben aus Grünteeschalen, Kaffeebechern und Zigarettenschachteln. Im Hintergrund vermischen sich Kinderstimmen mit dem euphorischen Gesang der Vögel. Ob sie kurz zusammenfassen könnten, was seit 1996 passiert ist? Ausgelassenes Gelächter. Unmöglich! Und dann versuchen sie es doch.

„Wir sind froh, dass es uns noch gibt“, sagt Nicolai, lehnt sich zurück und zieht an seiner Zigarette. „Und dass wir es geschafft haben, uns treu zu bleiben.“ Immerhin hätten sie nie funktionale Musik gemacht, sondern waren stets an Randbereichen interessiert. Einer japanischen Kollegin zufolge spreche heute kaum jemand von elektronischer Musik. Wenn der Begriff verwendet würde, dann nur im Zusammenhang mit Raster Noton. Angesichts des grassierenden Kategorisierungswahns ein großes Lob. Es beweist, dass die Drei ihre Kompromisslosigkeit gegenüber verkaufsfördernden Hypes bewahrt haben. Vielleicht hängt das mit unserer Herkunft aus Sachsen zusammen, wir sind ein bisschen stoisch“, sagt Bretschneider.

29.4, ab 20 Uhr im Berghain, Berlin: 20 Jahre "Raster Noton": unter anderem mit Atom Heart, Dasha Rush und Grischa Lichtenberger

Ihre Dickköpfigkeit hat sich ausgezahlt, ist es doch gerade stilistische Offenheit, mit der Raster Noton erfolgreich wurde. So bewegen sich alle 53 Label-Acts in den Zwischenräumen von Techno, Noise oder Ambient. „Zeitlosigkeit war uns immer wichtig“, sagt Bretschneider, bevor Bender ausführt, er fände es ungerecht, dass Musik stets unter diesem Aspekt verwoben wird. „In der Literatur und im Film ist Zeit nicht so wichtig.“ Der Anspruch, sich nicht von schnellen Effekten verführen zu lassen, sondern Musik eine Chance zu geben, zu atmen, zu reifen, wenn nötig über mehrere Jahre, ist ein Leitmotiv des Labels.

„Wir veröffentlichen keine formelhafte Musik“, betont Bender. Alle nicken synchron. Klar ist, ihre gemeinsame Leidenschaft beschränkt sich nicht nur auf eine bestimmte Art von Musik und Nikotin, sondern auch auf eine bestimmte Vorstellung von Kunst. Das hängt auch mit ihren Biografien zusammen. Ihr distanziertes Verhältnis zum Pop stammt aus ihrer Verankerung in der DDR-Kunstszene. Bender, Ende vierzig, und Bretschneider, Ende fünfzig, forderten mit ihrer dadaistischen Elektroband A. G Geige in den späten Achtzigern in Chemnitz die Grenzen der Kunstfreiheit in einem totalitären System heraus. Nicolai, Jahrgang 1965, wurde kurz nach der Wende mit raumgreifenden audiovisuellen Installationen auch im Ausland bekannt. In diesen Arbeiten setzte er sich mit Themen wie der Wahrnehmung des Zusammenspiels bestimmter Klang- und Lichtfrequenzen auseinander.

Trotz ihres Hangs zu bildender Kunst verspüren sie zuletzt wieder Lust auf den Club. Dass das Labeljubiläum nun im Berliner Berghain stattfindet, ist da nur konsequent. Dort spielt neben Youngsters wie Grischa Lichtenberger mit seinem hybriden Sound aus Noise und dubstepaffinen Subbässen, der Russin Dasha Rush, die abstrakten Techno mit Gesang verbindet auch Kangding Ray, der mit seinen angerauten Techno-Entwürfen amtlichen Sound repräsentiert. Zudem wird die audiovisuelle Installation „White Circle“ gezeigt.

Überraschen, herausfordern

Blind gegenüber dem Zeitgeist waren die drei freilich nie. Bretschneider begeistert sich etwa für die Musik des Londoner Dubstep-Produzenten Burial. Nicolai schätzt das Label PAN, das in seinem Konzeptualismus an Raster Noton erinnert. Generell gehe es ihnen um Musik, die etwas aussagt, meint Bretschneider; die überrascht und herausfordert. Raster Noton steht für Musik, die man zwar auch zum Vergnügen hört, aber die anregt, aufregt, die Gedanken kreisen lässt, sie aus dem Gleichgewicht bringt. So ist das Hören der genauso minimalistischen wie komplexen Rhythmik Alva Notos oder der hypnotischen Loops von William Basinski immer auch eine Erforschung der eigenen Wahrnehmung, aus der Neues entstehen kann. Ein neues Gefühl, eine andere Erkenntnis, eine verblüffende Sicht auf Dinge.

Ähnlich gilt das auch für die Produktion der eigenen Musik. Trotz aller Routine gebe es immer ein neues Geheimnis, das gelüftet werden müsse, erklärt Nicolai. „Manchmal passiert es spontan im Studio. Manchmal dauert es Jahre.“ Besonders der Zufall sei wichtig. Auch hier zeigen sich Parallelen zur Avantgarde der Sechziger, etwa zum Komponisten Iannis Xenakis. Nicht nur wegen seiner zufallsbasierten wie mathematischen Kompositionsmethoden, sondern vor allem wegen seiner multimedialen Rauminszenierungen. Dass Werke, wie die an diese Prinzipien anknüpfende „White Circle“-Installation nun nicht nur in Museen, sondern auch in Clubs gezeigt werden, ist das Verdienst von Raster Noton.

Ihnen ist eine Übersetzungsleistung gelungen: von abstrakten Ideen in populäre Umgebungen – sowie von Erfahrungen aus der Vergangenheit in eine Gegenwart, in der die Bezeichnung radikal ein Buzzword unter vielen ist. Zurück will hier niemand. Denn auch darüber, dass die Zukunft unausweichlich ist, sind sich die drei Künstler einig. Sie haben Verständnis für die gegenwärtige Renaissance analoger Musikmaschinen, doch böten die digitalen Möglichkeiten zu viel Komfort, um dahinter zurückzufallen. Beste Voraussetzungen für die nächsten zwanzig Jahre.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.