100 Jahre Dada: Von Gaga Dada und Floridada

Stop Making Sense: Wieviel Dada steckt in „My Baby Baby Balla Balla“? Über Einflüsse und Fortleben des (Un)Sinns in der Popkultur.

Auf einer Tafel steht auf Französisch: "Die Kunst ist tot. Es lebe Dada!"

Kunst, Musik – Dada hat verschiede Formen. Foto: dpa

Dada wird überschätzt. The Holy Sisters Of The Gaga Dada waren in den Achtzigern eine kurzlebige Band im kurzlebigen Genre Cow Punk. Dadajugend Polyform heißt eine zu Recht kaum bekannte Band aus dem Fränkischen.

Wenigstens für einen Skandal sorgt 1964 „Black Dada Nihilismus“, vom New York Art Quartet & Amiri Baraka. Mit seinem Text habe der Beat Poet Baraka „schwarze Revolutionäre zu Mord und Vergewaltigung im Namen der Befreiung aufgerufen“ schrieb die New York Times: „Come up, black dada nihilismus. Rape the white girls. Rape their fathers.“ Unter seinem – wie er es nannte – Sklavennamen LeRoi Jones hat Baraka 1963 „Blues People: Negro Music in White America“ verfasst, ein Standardwerk afroamerikanischer Kulturgeschichte, mit Malcolm X propagierte er den militanten schwarzen Nationalismus. Was hat das mit Dada zu tun?

Sven Beckstette, Kurator der Stuttgarter Ausstellung „I got rhythm – Kunst und Jazz seit 1920“ glaubt, dass Baraka den „Dada-Begriff nutzt, weil er Anfang der Sechziger in Mode war. Frühe Pop-Art-Künstler wie Jasper Johns und Robert Rauschenberg wurden zunächst als Neo- Dada klassifiziert, in der amerikanischen Kunst wurde Dada stark rezipiert. Ob die dadaistischen Wortverdrehungen auch mit dem Bop Talk zu tun haben, also mit der wortspielreichen Sprache von Jazzmusikern, die viele Neologismen erfunden haben, zumal das Wort Bebop selbst, darf bezweifelt werden. Das ist eher ein Resultat der oralen Tradition afroamerikanischer Geschichtsschreibung.“

Beckstette spricht hier ein Grundproblem der Dada-Rezeption an. Dada steht für Sinnverweigerung, Groteske, Onomatopoesie, Opazität, Spott. Allerdings bedienen sich auch andere Kunstrichtungen des 20. Jahrhunderts solcher Techniken und Methoden, die sich wiederum ihrerseits in der Pop-Musik spiegeln: Surrealismus, Fluxus, Cut-up, Pop-Art. Mit dem Dada-Prädikat ist man schnell bei der Hand.

Hatte der große Jazzer Charles Mingus Dada im (Un)Sinn, als er „Wham Bam Thank You Man“ aufnahm, das wiederum David Bowie in „Suffragette City“ zitiert? War die schwule schwarze Heulboje Little Richard von Hugo Ball und Kurt Schwitters inspiriert, als sie ihren unsterblichen Schlachtruf wider die Ordnung der Dinge erfand: Awopbopaloolalopbamboom? Wie viel Dada steckt in „My Baby Baby Balla Balla“, mit dem die deutsche Beatband The Rainbows 1965 Platz 3 der Charts erreichte und dafür von älteren Landsleuten ins Arbeitslager gewünscht wurde? Und was ist mit „Superkalifragilistisch Expiallegorisch“, kurz nach „Balla Balla“ ein Hit für den Komiker Chris Howland alias Mr. Pumpernickel? Alles Dada?

Geniale Dilletanten

Definitiv Dada ist „Da Da Da“ von Trio. Wie überhaupt die späten Siebziger und frühen Achtziger mit den Genialen Dilletanten und der Neuen Deutschen Welle gerne als Blüte des Dada-Pop gelesen werden, Bands wie S.Y.P.H., Palais Schaumburg, Der Plan oder Die Tödliche Doris. Jörg Heiser ist nicht überzeugt. Der Chefredakteur der Kunstzeitschrift Frieze d/e hat gerade „Doppelleben – Kunst und Popmusik“ veröffentlicht, da taucht das D-Wort auf 600 Seiten ganze sechs Mal auf.

„Die Genealogie von Dada im Pop der achtziger Jahre ist vordergründig vielleicht naheliegend, aber so direkt ist die Verbindung nicht“, sagt Heiser. „Nehmen wir ‚Grünes Winkelkanu‚ von Palais Schaumburg. Holger Hiller, der Texter und Sänger, hat sich meines Erachtens mehr an der Cut-up-Technik von William S. Burroughs orientiert als an Ball oder Schwitters. Die Einflüsse von Dada wirken eher indirekt in die Gegenwart. Historisch zeichnet Dada aus, was Hugo Ball 1916 im Cabaret Voltaire gemacht hat: sich auf eine Bühne stellen und schwer zuzuordnende Laute von sich geben. Die Lautgedichte verlagern den Akzent von Botschaft und Sinn auf die Performance desjenigen, der auf der Bühne steht, sich blamiert, sich über sich selbst lustig macht und damit zugleich über die Anwesenden.“

„Der Krieg ist auf einem krassen Irrtum begründet worden. Man hat die Menschen für Maschinen gehalten.“

Diese indirekte Wirkung zeigt sich in den Statements zweier Protagonisten der Neuen Deutschen Welle. Holger Hiller: „Über Dada habe ich einiges gelesen, nachdem viele meinten, ich sei dadurch beeinflusst. Ich las Interviews mit Marcel Duchamp, den ich immer ganz sympathisch fand. Dabei blieben einige seiner Sätze bei mir hängen. ‚Geschmack ist eine Gewohnheit‚. ‚Der kreative Akt wird nicht nur vom Künstler geschaffen. Die Außenwelt fügt ihren Beitrag hinzu.‚ “ Genau so funktioniert Pop: kontingent, in der Interaktion, im Club, in der Performance. Die Außenwelt fügt ihren Beitrag hinzu. Ähnlich wie Hiller sieht das Moritz Reichelt, der mit Der Plan Songs über skurrile Haushaltsunfälle schuf. Und „Da vorne steht ’ne Ampel“, einen lustigen Aufruf zu zivilem Ungehorsam: „Warum nicht bei Rot gehn? Warum nicht bei Grün stehn?“

Der Ampel-Song unterläuft die binäre BRD-Logik seiner Zeit und veralbert gleichermaßen deutschen Kadavergehorsam wie linkes Rebellenpathos, das noch den läppischsten Regelverstoß zum politischen Akt hochjuxt. „Dada war für Der Plan keine explizite Quelle“, sagt Reichelt. „Wir haben uns als Surrealisten bezeichnet. Allerdings ist der Unterschied nicht so groß. In beiden Strömungen geht es darum, die Sprache oder bildliche Festlegungen auseinanderzunehmen und wieder neu zusammenzusetzen.“

Reichelt erwähnt auch David Byrne. „Sein Titel ‚Stop Making Sense‚ klingt ja wie das reinste Dada-Manifest.“ Lupenreiner Dada ist der erste Song auf „Fear of Music“, dem mit Brian Eno produzierten Talking-Heads-Album von 1979. „A bim beri glassala grandrid / E glassala tuffm I zimbra“, singt Byrne, Hugo Balls Lautgedicht „Gadji beri bimba“ von 1916.

„Für alle, die es nach Sinn verlangt oder Hinweisen darauf, was man wohl von der Reise, die man mit dem Absenken der Nadel am Plattenspieler angetreten hat, erwarten kann, gibt es einen linken Haken Marke Dada vor die Kinnlade.“ So Jonathan Lethem in seinem Buch über „Fear of Music“, dem er ein Zitat von Hugo Ball voranstellt: „Der Krieg ist auf einem krassen Irrtum begründet worden. Man hat die Menschen für Maschinen gehalten.“ Zwei Jahre vor „Fear of Music“ sampelt Brian Eno die „Ursonate“ von Kurt Schwitters für seinen Song „Kurts Rejoinder“. 1981 gehen Eno & Byrne den Schritt von der Hommage auf Dada zur Adaption der Methode Dada. Auf „My life in the bush of ghosts“ verarbeiten sie „found objects“: Stimmen von Predigern, libanesische und ägyptische Sänger, Radioschnipsel, die Eno aufgenommen hatte, akustische Readymades im Geiste Duchamps.

Neues wegerklären

Aber vielleicht ist das wieder eine von diesen „geschichtlichen Hauruck-Analogien, die immer herangezogen werden, wenn etwas Neues erklärt oder wegerklärt werden soll: Gab es da nicht eine britische Band, die sich Cabaret Voltaire nannte? Hatten die Talking Heads nicht …“ Der Mann, der sich gegen Hauruck-Analogien wendet, hat ein ganzes Buch über die Analogien und eben Nicht-Analogien von Dada und Punk geschrieben, quasi die Punk-Geschichte noch mal mit Dada (und Situationismus) im Gepäck rekapituliert.

Sein Name ist Greil Marcus und „Lipstick Traces – Von Dada bis Punk, Kulturelle Avantgarden und ihre Wege aus dem 20. Jahrhundert“ ist mit seinem überbordenden Willen zur Interpretation insofern eine praktizierte Liebeserklärung an Punk und Dada, als es beiden indizien- wie ideenreich nachweist, dass sie viel mehr miteinander zu tun haben, als ihnen selbst bewusst ist. Unbewusstes zutage fördern, Dada als Fremdzuschreibung und dann mal gucken, was dran ist, siehe Holger Hiller. Vielleicht ist Dada doch nicht überschätzt.

Um ein dadaistisches Gedicht zu machen, empfahl der rumänische Schriftsteller und Dichter Tristan Tzara (1896-1963): Nehmt eine Zeitung/Nehmt Scheren./Wählt in dieser Zeitung einen/Artikel von der Länge aus, die/Ihr Eurem Gedicht zu geben/Beabsichtigt./Schneidet den Artikel aus./Schneidet dann sorgfältig jedes/Wort dieses Artikels aus und gebt/Sie in eine Tüte./Schüttelt leicht./Nehmt dann einen Schnipsel nach/Dem anderen heraus.

Das Grundmaterial des Dadaismus ist also die Zeitung. Deshalb feiern wir den 100. Geburtstag der künstlerischen und literarischen Bewegung am 5. Februar 2016 mit einer Dada-taz.

Und hier im Internet? Einfach die Anleitung von oben befolgen: Wörter zusammensetzen Mit der dem die neu aus Bildschirm dann Schere schneiden und schütteln. Hch. U.

PS: Die neue Single der Bescheidwisser-Band Animal Collective heißt „Floridada“. Und klingt auch so.

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