Hilfeschrei von EU-Finanzpolitikern: Banker-Lobby beherrscht Brüssel

EU-Finanzpolitiker aller großen Fraktionen warnen in einem Aufruf: In der Bankenkrise fehle es der Zivilgesellschaft an einer Lobby. Das sei letztlich eine Gefahr für die Demokratie.

Die EU-Parlamentarier votieren hier für eine strengere Regulierung des Derivathandels. Dennoch fühlen sie sich machtlos gegenüber den Brüsseler Lobbyisten des Finanzsektors. Bild: dpa

Oh, là, là, wenn das kein Hilferuf ist: Mit einem außergewöhnlichen Aufruf haben sich am Montag EuropaparlamentarierInnen verschiedener Fraktionen an die Öffentlichkeit und die EU-Kommission gewandt. Die 22 FinanzpolitikerInnen aus dem EU-Parlament in Brüssel warnen vor einer "Gefahr für die Demokratie" und erklären, dass zivilgesellschaftliche Gruppen dringend eine "Gegenmacht" formieren müssten, um der Lobby des Banken- und Finanzsektors zur Regulierung der Finanzmärkte in Brüssel Einhalt zu gebieten. Das Besondere an dem Vorstoß: Getragen wird er von PolitikerInnen aller großen Fraktionen - von Linken, Grünen, Sozialdemokraten, Christdemokraten und Liberalen.

"Wir, die für die Regulierung der Finanzmärkte und des Bankengewerbes zuständigen europäischen Abgeordneten, stehen täglich unter dem Druck des Finanz- und Bankensektors, um den für die Branche geltenden Rechtsrahmen stärker zu beeinflussen", heißt es in dem Aufruf. Die Abgeordneten betonen, die Nähe zwischen Politik und Finanzelite trage "zu einer stärkeren und einseitigen Berücksichtigung der Belange des Finanzsektors bei und schränkt mit Sicherheit die Fähigkeit der politischen Verantwortlichen ein, unabhängige Entscheidungen zu treffen". Gegen diese Dominanz der Finanzlobby gebe es in Brüssel keine organisierten und vertretenen Gegenstimmen.

Der Mitzeichner und deutsche EU-Abgeordnete Udo Bullmann (SPD) sagte der taz: "Gerade im Finanzsektor brauchen wir im EU-Parlament dringend eine unabhängige Interessenvertretung und einen Ort, an dem Expertise ohne Industrieinteressen zu Wort kommt." Er forderte die EU-Kommission auf, Mittel bereitzustellen, um garantieren zu können, dass im parlamentarischen Beratungsprozess auch Gegenstimmen institutionalisiert zu Wort kommen. Auch der deutsche CDU-Abgeordnete Burkhard Balz sagte, es brauche eine "unabhängige und objektive technische Expertise". Der grüne EU-Abgeordnete und Mitzeichner Sven Giegold sagte der taz: "Das ist ein klarer Hilferuf. Wir brauchen dringend die Beratungsstimmen derjenigen, die nicht selbst im Finanzmarktbereich Geld verdienen."

Damit fordern die EU-FinanzpolitikerInnen einerseits explizit zivilgesellschaftliche Gruppen dazu auf, Nichtregierungsorganisationen zu gründen, die auch auf EU-Ebene Lobbyismus betreiben sollten. Gleichzeitig sehen die ParlamentarierInnen ihre Informationsmöglichkeiten eingeschränkt. Während es beispielsweise im Deutschen Bundestag einen eigenen, unabhängigen wissenschaftlichen Dienst gebe, mangele es im EU-Parlament an einer vergleichbaren Institution, kritisierte der SPD-Abgeordnete Udo Bullmann.

Detlef von Larcher vom globalisierungskritischen Netzwerk Attac sagte der taz: "Es ist höchste Zeit, dass in Brüssel Meinung und Gegenmeinung auch ausgeglichen zu Wort kommen." Er kenne aber keine Nichtregierungsorganisation, die so im Geld schwimme, dass sie sich in Brüssel Anwälte, Ökonomen und Lobbyisten leisten könne.

Ein Sprecher der Organisation Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung (Weed) dagegen plädierte für eine Lobbyabgabe der Bankenlobbyisten, die in einen gemeinnützige Fonds führen könne. "Mit diesem Fonds könnte man sehr gut die Vertretung zivilgesellschaftlicher Strukturen stärken."

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