Medikamente in indischen Flüssen: Arzneimittel, die krank machen

Kiloweise gelangen Arzneiwirkstoffe täglich in indische Flüsse. Antibiotikaresistenzen werden über das Trinkwasser weitergegeben

Was in Pillenform verschreibungspflichtig ist, landet im Herstellerland Indien nicht selten im Trinkwasser. Bild: dpa

"Ich wollte die Messwerte erst nicht glauben", berichtet Joakim Larsson. Und er schickte die Proben an ein anderes Labor zur Kontrollanalyse. Doch der Professor für Physiologie am Sahlgrenska-Institut der Universität Göteborg hatte sich nicht verrechnet. Von einem Industriegebiet im indischen Hyderabad, in dem einige Dutzend Arzneimittelfirmen liegen, fließen täglich 45 Kilogramm des Antibiotikums Ciprofloxacin in Gewässer und sickern in Brunnen, die dann Millionen Menschen als Trinkwasserquelle benutzen.

Wohlgemerkt, nachdem diese Fabrikabwässer in einer Kläranlage "gereinigt" worden sind. Larsson: "Allein was da in die Gewässer gelangt, ist fünfmal so viel, wie in Schweden täglich konsumiert wird."

Larssons Studie, die in dem Fachblatt Regulatory Toxicology and Pharmacology veröffentlicht worden ist, zeigt, wie die Produktion von Medikamenten, die wir konsumieren, gleichzeitig die Gesundheit der Menschen in den Produktionsländern gefährdet. Die Wirksubstanzen von einem Drittel aller Arzneimittel, die in Schweden im Handel sind, konnte der Forscher in Produktionsstätten im Raum Hyderabad zurückverfolgen. Dieser Anteil dürfte in der gesamten EU ähnlich hoch sein.

Angesichts der strengen Umweltauflagen in Europa ist es für die Pharmahersteller wesentlich günstiger, ihre Produktion in Länder wie Indien auszulagern, wo diese Vorschriften viel großzügiger sind. In den geklärten Abwässern bei Hyderabad wurden Arzneimittelreste in 150-fach höherer Konzentration gemessen als in vergleichbaren Pharmafabriken in Europa oder den USA. Die Technik gibt es also, um die Abwässer deutlich effektiver zu reinigen, aber diese Ausgaben lassen sich von den Firmen über den Umweg Indien offenbar bequem umgehen.

Unverantwortlich ist eine solche Haltung für Larsson: "Es reicht nicht, wenn wir uns brüsten, die schärfsten Umweltgesetze der Welt zu haben. Wir müssen auch unsere Verantwortung anerkennen, was die Umweltprobleme der Arzneimittel angeht, die wir konsumieren und die in Indien hergestellt werden."

Gerade die Ärmsten nehmen mit dem Trinkwasser aus den kontaminierten Gewässern, ohne es zu wissen, große Dosen von Antibiotika zu sich, die ihren Körper dagegen resistent machen können. Die Folge: Bei einer erforderlichen Krankheitsbehandlung spricht der Körper auf das fragliche Arzneimittel nicht mehr an. Und nicht nur hohe Ciprofloxacin-Werte wies Larsson in Hyderabad nach, sondern gleich "verschiedene Breitband-Antibiotika und natürlich einen ganzen Strauß anderer pharmazeutischer Substanzen".

Da dies den Druck auf die Arzneimittelkonzerne verstärken könnte, plädiert Joakim Larsson dafür, dass für den einzelnen Konsumenten nachvollziehbar sein müsse, wo genau die Substanzen in seinen Tabletten oder Tropfen produziert worden sind: "Die Produktionskette muss transparent werden. Damit dem Verbraucher die Möglichkeit gegeben wird, Arzneimittel zu wählen, die umweltfreundlich hergestellt worden sind."

REINHARD WOLFF

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