Französische Ex-Umweltministerin über AKW: "Es wird gezielt desinformiert"

Frankreichs ältestes AKW ist ein Schrottmeiler, steht in erdbebengefährdetem Gebiet und zudem an der deutschen Grenze. Corinne Lepage klagt auf Stilllegung.

Indignez-vous! Anti-Atom-Demo gegen das AKW Fessenheim mit rund 8.000 Demonstranten. Bild: dpa

taz: Frau Lepage, Sie verklagen für den deutsch-französisch-schweizerischen Atomschutzverband TRAS das Land Frankreich auf Stilllegung des Kernkraftwerkes Fessenheim. Es steht im Elsass am Rhein direkt an der Grenze, zwanzig Kilometer von Freiburg. Warum muss es abgeschaltet werden?

Corinne Lepage: Zum einen liegt das AKW Fessenheim im erdbebengefährdeten Oberrheingraben. Es wurde in den siebziger Jahren gebaut und ist das älteste Atomkraftwerk in Frankreich. Die Erkenntnisse über die Erdbebenrisiken, die in die damalige Technik einflossen, sind veraltet. Zudem gibt es ein Wasserproblem. Fessenheim liegt tiefer als der Wasserspiegel des Rheins. Es kann also zu Überflutungen kommen.

Erdbeben und Überflutungsgefahr - starke Parallelen zu Fukushima sind das.

Außerdem leitet das AKW Fessenheim unerlaubt chemische Abwässer in den Rheinseitenkanal. In dem Punkt hat mir das Gericht sogar recht gegeben. Es ist die einzige Anlage in Frankreich, wo illegal chemische Abwasser ausgeleitet werden. Und zwar deshalb, weil die Auflagen nicht eingehalten werden könnten.

Warum hat das Gericht die Klage trotzdem abgeschmettert?

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59, ist Umweltanwältin in Frankreich, Atomkraftgegnerin und Mitglied der EU-Parlamentsfraktion "Allianz der Liberalen und Demokraten". Sie war 1995 bis 1997 Umweltministerin in der Regierung Juppé.

In Bezug auf die Erdbebengefahr ist das Gericht der Darstellung des französischen Energiekonzerns EDF gefolgt, dass die Sicherheit ausreicht. In Bezug auf die Wasserprobleme gibt mir das Gericht recht, sagt aber, ich hätte nicht nachgewiesen, dass die Einleitungen so groß sind, dass sie ein Risiko darstellen.

Was dachten Sie, als das Gericht die Klage abwies?

Dass es sich um eine Fehlentscheidung handelt.

Die Klage wurde am 9. März abgewiesen. Zwei Tage später fing die Katastrophe in Japan an. Was ist in Ihnen vorgegangen, als Sie die Nachricht hörten?

Zuerst habe ich an die Leute in Japan gedacht. Dann daran, dass sich die Geschichte wiederholt, ohne dass wir etwas lernen. Und ich dachte an das, was ich vor Gericht gesagt habe: Wir alle wissen, dass das AKW Fessenheim gefährlich ist. Jeder muss dafür Verantwortung übernehmen. Ich übernehme meine, indem ich publik mache, wie gefährlich diese Anlage ist, und die Stilllegung fordere.

Die TRAS geht in Berufung. Ist die Chance, dass Fessenheim abgeschaltet wird, wegen Fukushima jetzt größer?

Davon bin ich überzeugt. EU-Kommissar Günther Oettinger hat Zweifel an der Sicherheit der AKWs in Frankreich geäußert und es wurde beschlossen, dass alle AKWs einem europäischen Stresstest - nicht nur einem französischen - unterzogen werden.

Man sagt, Oettinger sei ein Verfechter der Atomenergie.

Das habe ich auch angenommen, als ich ihn anfänglich reden hörte. Aber es entspricht nicht mehr dem, was ich kürzlich in der Kommission von ihm hörte.

Warum beharrt Frankreich auf seiner Atomenergiepolitik?

Die politische Klasse in Frankreich und die Atomindustrie sind eng verbandelt. Das geht so weit, dass man kaum korrekte Informationen über Fukushima bekommt. Es wird gezielt desinformiert und beschwichtigt. Es wird der Eindruck vermittelt, alles sei unter Kontrolle.

Obwohl Atomkraftgegnerin, waren Sie von 1995 bis 1997 Umweltministerin in der konservativen Regierung unter Alain Juppé.

Natürlich hatte ich da viele Probleme mit der Atomkraftlobby. Ich habe ein Buch darüber geschrieben, mit dem Titel: "Tut mir leid, Frau Ministerin, da können wir nichts machen."

Waren Sie die Alibi-Ministerin?

Nein. Ich habe einiges erreicht. Es ist mir gelungen, den schnellen Brüter in Creys-Malville vom Netz zu nehmen. Das ist kein Alibi. Das ist eine Realität. Dass ich Studien zu Tschernobyl publik machte, die belegen, was dort passierte, das ist kein Alibi. Dass ich die Gesundheitsrisiken rund um die Wiederaufbereitungsanlage in La Hague öffentlich machte, das ist kein Alibi.

Als Sie Umweltministerin in Frankreich waren, war Angela Merkel Umweltministerin in Deutschland. Merkel war bis vor Kurzem eine Verfechterin der Atomkraft. Nun propagiert sie Wege raus aus der Atomkraft. Glauben Sie, dass sie es wirklich so meint?

Ich glaube, sie meint es ernst. Sie ist eine Frau, die viel nachdenkt und in der Lage ist, ihre Meinung zu ändern.

Die französischen Politiker wiederum bestehen weiterhin darauf, dass Atomkraft sicher ist.

Ich glaube, die Regierung will ihre Atompolitik nicht ändern, aber aus ökonomischen Gründen werden sie sie ändern müssen. Es wird schwieriger werden, AKW-Technik zu exportieren. Allerdings wird die Veränderung länger brauchen als etwa in Deutschland, da Frankreich 80 Prozent seiner Energie mit Atomstrom deckt.

Warum ist es legal in der EU, dass Länder ihre Atomanlagen an Grenzen zu anderen Ländern bauen dürfen und es riskieren, Gebiete in Nachbarländern für Jahrhunderte unbewohnbar zu machen, wie es in Fessenheim der Fall wäre?

Die Gesetzgebung zur Atomkraft ist nicht in den EU-Verträgen, sondern in den Euratom-Verträgen geregelt. Solange man Euratom hat, können die Länder machen, was sie wollen. Man muss Euratom abschaffen. Euratom steht außerhalb des EU-Rechts, das muss geändert werden.

Sehen Sie eine Chance, dass das auf EU-Ebene geändert wird? Sie sind Mitglied des Europäischen Parlaments.

Ich habe letzte Woche mit Kommissar Oettinger darüber gesprochen, dass das geändert werden muss. Aus meiner Sicht ist das ein zentrales Problem.

Ihre persönliche Haltung haben Sie einmal als Engagement für eine humanistische Ökologie bezeichnet. Was ist damit gemeint?

Eine humanistische Ökologie ist eine realistische Ökologie. Wenn wir den Menschen Veränderungen vorschlagen, die zu schwierig sind, die so sind, dass sie ihr Leben zu radikal ändern müssen, macht man Veränderungen unmöglich. Ich schlage eine pragmatische Ökologie vor, eine, die die ökonomische Entwicklung nicht verwirft. Die wirtschaftlichen Aktivitäten allerdings sollen einen starken sozialen Fokus haben. Der Mensch muss in den Fokus gestellt werden und nicht der Profit.

Wie gehen Sie vor als Politikerin und Juristin, um diesen Grundsatz der humanistischen Ökologie zu verwirklichen?

Ich arbeite daran, dass Haftung und Verantwortlichkeit anders geregelt werden. Wenn externe Kosten, wenn das Soziale und die Umwelt in die Kalkulationen von Investitionen mit einfließen müssten, sähen die Entscheidungen oft anders aus. Das ist der erste Schritt.

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