die wahrheit: Schmarotzer cum laude

Neofeudalismus: Eine erste Bilanz der Plagiatsaffäre zu Guttenberg.

Erinnert sich noch jemand an Florida-Rolf? Der Sozialhilfeempfänger wurde im Jahr 2003 zum wichtigsten Feindbild bei der Jagd auf Sozialschmarotzer, erhielt der in Miami in Strandnähe (!) lebende Deutsche doch tatsächlich wegen einer Bauchspeicheldrüsenerkrankung pro Monat knapp 1.500 Euro staatliche Transferleistungen. Stütze in der Sonne, das war das Maß, das voll war, und mit ihm waren da auch der Sumpf, der trockengelegt werden musste, und das Millionenheer der Abzocker, denen man es zeigen wollte, im Namen der bescheidenen und fleißigen Menschen im Lande, die sich an die Regeln halten. Es waren die Jahre, in denen Politik unter dem Kampfschrei "Eure Armut kotzt uns an" betrieben wurde. Spitzenpolitiker dachten laut darüber nach, Kindern von Langzeitarbeitslosen die Sparbücher wegzunehmen, und pausenlos war von Fordern und Fördern, von Leistung, die sich wieder lohnen muss, die Rede. Die Wärmestuben wuchernder Versorgungsmentalität sollten ausgeräuchert, der Sozialstaat mit seinen falschen Anreizen musste geschleift werden.

In der Causa zu Guttenberg steht vorläufig fest, dass auch geistige Armut zum Kotzen sein kann, doch die einschlägigen Leitmedien haben einen anderen Ton angeschlagen. Das Faktenblatt Focus ist vor allem besorgt um die Ehre des Lügenbarons und hofft wohl insgeheim auf ein Duell im Morgengrauen mit dem Skandallostreter Andreas Fischer-Lescano. Oder noch besser mit den Machern des "GuttenPlag Wiki". Aber ist ein Wiki satisfaktionsfähig?

Franz Josef Wagner fordert im höfischen Beobachter Bild: "Scheiß auf den Doktor." Er hält gutes Aussehen tatsächlich für ein Kriterium bei der Kanzlerwahl, aber wichtiger ist ihm: Der Superstar, der kommende Mann, der populäre Konservative, er muss um jeden Preis aus diesem Schlamassel ungeschoren hervorgehen, sonst steht es schlecht um Deutschland.

Henryk M. Broder, Deutschlands führender Experte für muslimische Privilegienregime, schlägt in der Welt ein kurzes Tschuldigung und die Rückgabe des Doktortitels vor: "Freiherr zu sein ist ja auch was Schönes."

Vor hundert Jahren war es das Privileg des Adels, die Dienstmädchen und Bauerntöchter zu schwängern, und keiner stellte Fragen, wenn der Sohn aus gutem Hause nur schön schneidig war und heimlich Alimente zahlte. Heute haben sich die Hofschranzen auf "Mogelei" und "Schummelei" als Sprachregelung geeinigt, es geht quasi um einen verspäteten Studentenstreich. Nur wenige wagen es, von Betrug, Abzocke und Hochstapelei zu reden, und werden alsbald als "Neider" (Wagner) und "Hyänen" (Broder) in die Schranken gewiesen. In diesem Fall erweist sich das fast juvenile Alter des Delinquenten ausnahmsweise einmal als Bürde: Die Spur ist noch zu frisch, und hinter einer erfolgreichen Politkarriere kann sich das Bürschchen auch nicht verschanzen. Außer einem entlassenen Generalinspekteur und dem Adventssingen in Kundus steht da bisher nichts zu Buche.

Denken wir doch einmal an das große Ganze. Guttenberg hat das Privileg einer nahezu kostenlosen universitären Ausbildung genossen. Der erfahrene Sozialstaatskritiker weiß: Gerade an den Universitäten ist der ideologische Müll der 68er noch immer nicht weggeräumt, diese Gleichmacherei, dieser Wildwuchs, dieses Leben als Tagedieb. Die winzigen Studiengebühren taugen nicht dazu, einen Hochschulabschluss wieder zum Privileg der gehobenen Stände zu machen, besser wäre es, ein Studienjahr würde 40.000 Euro kosten, so wie in den USA. Davon ist das deutsche Studiensystem zum Glück so weit weg wie Bayreuth von Princeton, aber die anderen Doktoranden, die ihre Zitate belegen, die nicht seitenweise abkupfern (lassen), was ist eigentlich mit denen? Werden die nicht genauso abgezockt wie der deutsche Arbeitnehmer von Florida-Rolf und Konsorten? Wo bleibt das Leistungsprinzip? Was ist mit der armen Putzfrau, die zu Guttenbergs Freizügigkeiten im Fußnotenapparat gegenfinanziert hat?

Besonders putzig ist das Argument, ein Doktortitel sei eigentlich gar nicht wichtig. Weit gefehlt. Wenn der Kapitalismus etwas kennt, dann ist es der Wert, den Dinge haben. Und folglich wusste der Hochschulanzeiger der FAZ im November 2004, als Guttenberg tief eingegraben in seiner Sekundärliteratur mutterseelenallein bienenfleißig vor sich hin exzerpierte: "Mit etwa 500 Euro mehr im Monat kann der Absolvent mit Doktortitel rechnen. In der Großkanzlei Freshfields liegt das Einstiegsgehalt eines Associate mit Promotion bei 78.000 Euro im Jahr, ohne Promotion bei 72.000 Euro." Also knapp über dem Hartz-IV-Regelsatz, der monatliche Unterschied jetzt.

Man muss hier nicht vom beklagenswerten Verfall der politischen Verantwortung reden, aber ein Mann, dessen Ethik auf dem Niveau einer nahöstlichen Potentatengattin steht, der sollte sich einen anderen Ort zur Selbstverwirklichung suchen als die Bundespolitik. München leuchtet. Rosenheim wartet. Adel verpflichtet.

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kari

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