Deutsche Co-Trainerin über Taktik: „Irgendwo gibt es Raum“

Die Assistenztrainerin des deutschen Teams, Ulrike Ballweg, über Ballbesitz, Kombinationspiel und die spielerische Neuausrichtung der Nationalmannschaft im laufenden WM-Turnier.

Kennt die richtige Taktik: Ulrike Ballweg (r) berät Silvia Neid Bild: dapd

taz: Frau Ballweg, kürzlich haben Sie gesagt, ihre Spielerinnen wüssten, wie man sich gegen tief stehende Gegnerinnen durchsetzen kann. Nun standen aber Kanada und Nigeria gar nicht tief. Ist das ein Problem für das Team?

Ulrike Ballweg: Das ist zumindest ungewohnt für uns, weil nur wenige Teams – wie die USA, Brasilien oder Norwegen – so gegen uns spielen. Gerade die Nigerianerinnen haben uns relativ früh angegriffen und waren sehr aggressiv in ihrem Verhalten.

Sind Sie überrumpelt worden?

Das würde ich so nicht sagen. Früher haben sich unsere Gegnerinnen meistens mit anderen Mitteln beholfen. Sie standen eher tief und kompakt, machten in der eigenen Hälfte die Räume eng und versuchten uns da zu bearbeiten. Jetzt versuchen plötzlich viele Mannschaften, uns viel weiter weg vom Tor zu halten.

1965 geboren, ist seit 2005 Assistentin der Bundestrainerin. Spezialgebiet: Gegneranalyse. Keine andere Frau hat sich hierzulande so früh und so intensiv mit Fußballtaktik beschäftigt. In der Bundesliga war Ballweg von 1989 bis 1997 Spielertrainerin beim SC Klinge Seckach.

Kanada und Nigeria haben also ein Modell geprägt, wie man gegen Deutschland spielen muss.

Ich denke schon, dass sich da ein Trend entwickelt hat.

Macht Ihnen das keine Sorgen?

Wir werden uns daran gewöhnen müssen und entsprechend unsere Strategie ausrichten.

Die Mannschaft muss sich also taktisch neu orientieren?

Das nicht unbedingt. Das Spiel unserer Gegnerinnen eröffnet uns jetzt Möglichkeiten, die wir vorher so nicht erwartet haben. Jetzt haben wir die Räume frühzeitiger, wenn wir uns cleverer verhalten, als bei den ersten Spielen. Das ist eben ein kleiner Anpassungsprozess.

Welche Lehren hat der Trainerstab konkret aus dem Spiel gegen Nigeria gezogen?

Wir müssen aus unserem Ballbesitz in unser Kombinationsspiel kommen. Bei der Analyse haben wir gesehen, dass wir nach vorne eigentlich viel Platz gehabt hätten. Wir haben es nur nicht geschafft, den eroberten Ball wieder zu einer Mitspielerin oder in den Raum zu bringen. Unsere äußeren Mittelfeldspielerinnen hätten öfter den Weg nach innen nehmen müssen, in diese Halbfelder, die immer offen waren. Wenn ein Gegner so hoch steht und so aggressiv nach vorne agiert, gibt es zwangsläufig irgendwo Raum.

Rechnen Sie damit, dass Frankreich auf ähnliche Art und Weise agiert wie Nigeria?

Frankreich hat ja eher die gleiche Spielidee wie wir. Sie versuchen aus dem Mittelfeld-Pressing heraus die Gegner dahin zu lenken, wo man doppeln beziehungsweise Bälle erobern kann.

Auch Frankreich wird Sie also früh unter Druck setzen?

Damit ist zu rechnen. Wenn sie den Ball verlieren, versuchen sie ihn oft direkt im Angriffsdrittel zurückzuerobern. Da müssen wir Ruhe und Übersicht bewahren.

Die Attacken werden vermutlich weniger brutal ausfallen.

Frankreich wird nicht weniger aggressiv spielen und schon körperbetont zur Sache gehen. Dass sie dagegenhalten können, hat man auch schon bei dieser WM gesehen. Es wird jetzt nicht unbedingt leichter.

Silvia Neid hat zweimal mit derselben Mannschaft angefangen. Wäre ein Wechsel im Angriff jetzt nicht angesagt?

Wir haben mit Melanie Behringer eine angeschlagene Spielerin, deren Einsatz noch fraglich ist. Wir sind für das Viertelfinale qualifiziert. Deshalb werden wir sicher nichts riskieren. Wenn es nicht geht, haben wir eine Lira Bajramaj, die gegen die spielstarken Französinnen eine Alternative ist, um in diesem Bereich etwas dagegenzusetzen. Oder wir können uns umsortierten, Celia auf die linke Außenbahn schicken und unsere Angriffsformation anders gestalten. Wir haben genügend Möglichkeiten.

Haben Sie außer dem offensiveren Verteidigungsspiel andere neue taktische Entwicklungen bei dieser WM gesehen?

Auffällig ist in erster Linie, dass viele Teams im taktischen Bereich aufgeholt haben und klar erkennbare Systeme spielen.

Was war vielleicht nicht so zu erwarten bei dieser WM?

An den Ergebnissen kann man ablesen, dass viele Verbände ganz viel in ihre Frauenteams investiert haben. Das finde ich positiv. Es gibt nicht mehr ein 11:0 wie bei unserem Eröffnungsspiel 2007 gegen Argentinien, sondern es gibt Matches, die richtig eng sind – auch von den Spielanteilen. Viele Nationen haben aufgeholt. Das ist das Schöne an dieser WM. Dadurch wird der Frauenfußball noch interessanter und spektakulärer.

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