30 Jahre iranische Revolution: Hat sich die Revolution gelohnt?

Am 11. Februar 1979 wird das Regime des Schahs von den Aufständischen gestürzt. Ein großer Tag für Bahman Nirumand, Omid Nouripour und Katajun Amirpur, die ihn als Aktivisten oder als Kinder von Oppositionellen erleben. Wie sehen sie die Dinge heute?

Irans Präsident Mahmoud Ahmadinejad auf der Jahresfeier der islamischen Revolution. Bild: dpa

VON OMID NOURIPOUR

Zwei Onkel haben mich Lesen und Schreiben gelehrt. Der eine war mein Stiefonkel Hassan, der ab und an auf mich aufgepasst hat, da meine Eltern beide berufstätig waren. Dabei brachte er mir alle 32 Buchstaben des iranischen Alphabets bei. Der andere hieß nur "der Onkel", war ein weißbärtiger Grundschullehrer, der singend und Geschichten erzählend im einzigen Fernsehkanal des Irans kurz nach der Revolution für die erste Klasse unterrichtete. Dieses schnell improvisierte Programm war notwendig geworden, da die Schulen erst einmal geschlossen blieben.

Am 11. Februar 1979 war das Regime von Schah Resa Pahlevi Geschichte. Er selbst hatte bereits am 16. Januar das Land verlassen, Schapur Bachtiar bildete eine neue Regierung. Am 1. Februar bereitete die Bevölkerung dem aus dem Exil zurückkehrenden Ajatollah Chomeini einen triumphalen Empfang. Dieser ernannte Mehdi Basargan zum Ministerpräsidenten der Provisorischen Regierung, die die Islamische Republik verwirklichen sollte. Diese Periode der Doppelherrschaft währte nur kurz.

Nachdem der Oberkommandierende der Streitkräfte die Neutralität der Armee erklärt hatte, trat Bachtiar am 11. Februar zurück und floh ins Ausland, das Parlament löste sich selbst auf. Am 1. April wurde nach einem Referendum die Islamische Republik Iran proklamiert. Doch der Frühling der Freiheit währte nicht lange; im Sommer 1981 übernahm die Chomeini-Fraktion die totale Kontrolle über das Land.

Dies ging einher mit einer Hinrichtungswelle und einer Massenflucht ins Ausland. (bs)

Beide Onkel starben kurz nacheinander. Der Fernseh-Onkel an einem Herzinfarkt, direkt nach Beendigung der Dreharbeiten. Seine Sendung wurde noch Jahre später im Staatsfernsehen gezeigt und hat nicht nur Kinder, sondern auch so manche Kleinstadt-Großmutter zu Alphabeten gemacht. Hassan wurde nach dem Schnellurteil eines Revolutionsgerichts - noch keine zwanzig Jahre alt - hingerichtet, weil er die falschen Flugblätter verteilt hatte.

Beide Onkel waren bis zum Tag des Sieges glühende Anhänger der Revolution. Hassan hatte gesehen, wie seine Klassenkameraden von der Savak, der Geheimpolizei des Schah-Regimes, abgeführt wurden, ohne dass er sie je wiedersah. Der Fernseh-Onkel, weniger politisch motiviert, wirkte wie befreit darüber, dass er ein Volk unterrichten konnte, das zur Hälfte aus Analphabeten bestand.

Korruption, Armut, Landflucht, politische Unterdrückung: Wer war damals nicht für die Revolution? In meiner Verwandtschaft (fast) alle. Ich erinnere mich an das wütende Weinen meiner Mutter, an die tiefe Trauer meines Vaters, nachdem die Armee des Schahs an einem belebten Platz das Feuer auf eine friedliche Demonstration eröffnet hatte. Ich erinnere mich an die Freudentränen meiner Großmutter, als der Revolutionsführer Ajatollah Chomeini aus dem Exil nach Teheran zurückkehrte und in einer bewegenden Rede allen Menschen politische Freiheiten und kostenlosen Strom und Heizöl noch dazu versprach. Haben Sie Marjane Satrapis geniales Werk "Persepolis" gelesen oder gesehen? Genau so war es damals. Für alle. Alle glaubten Chomeini.

Onkel Hassan erlebte nicht mehr die Hunderttausende von Toten des Krieges mit dem Irak. Er sah nicht mehr, wie seinem eigenen 70-jährigen Onkel, der als Freiwilliger an der Front fiel, als "Märtyrer" eine Straße gewidmet wurde. Hassan sah nicht, wie sein Bruder als Soldat als einer von wenigen in Halabdscha "Glück" hatte und Saddam Husseins Giftgasangriff überlebte. Er sah nicht die Rückkehr der Korruption, der Armut und der Landflucht. Er wurde kurz nach der Einführung des Kopftuchzwangs für die Frauen und deren Verbannung aus öffentlichen Ämtern hingerichtet.

War die Revolution richtig? Ja. Doch danach wurde es schlimmer. Nur darauf können sich Revisionisten bis heute berufen, wenn sie die Schah-Zeit glorifizieren. Der Fernseh-Onkel würde heute wahrscheinlich Freudengesänge anstimmen, wenn er sehen könnte, dass die Alphabetisierungsrate mittlerweile bei knapp 80 Prozent liegt. Die Geschichte zeigt: Wer sich bildet, lässt sich nicht auf ewig unterdrücken. Damit ist der Grundstein gelegt für eine (hoffentlich nicht allzu ferne) Zukunft des Irans in Freiheit.

OMID NOURIPOUR, 33, geboren in Teheran, kam im Alter von 13 Jahren mit seiner Familie nach Frankfurt. Er rückte 2006 für Joschka Fischer in den Bundestag nach.

------------------------

VON KATAJUN AMIRPUR

Meine Erinnerung an die Islamische Revolution sind Klimaanlagen. Es ist vielleicht nicht die spektakulärste, aber doch die, die mir, die ich damals noch sehr klein war, bis heute nachdrücklich im Gedächtnis haften geblieben ist.

Nach der Revolution lebte eine Bekannte meiner Eltern für längere Zeit bei uns in Deutschland. Ihr Mann war Erdölingenieur in Ahwas am Persischen Golf, als die Revolution begann. Sie lebte in einem Riesenhaus und wurde von einem Chauffeur kutschiert. Das Interessanteste für mich war: Da ihr Mann eine sehr hohe Position in der Hierarchie der Erdölangestellten bekleidete, hatten sie in jedem Zimmer ihrer Riesenvilla eine Klimaanlage. Wer einen etwas niedereren Status in dieser Hierarchie bekleidete, hatte nur in ein, zwei Räumen eine Klimaanlage. Und dem einfachen Erdölarbeiter war der Besitz von Klimaanlagen verboten. Klimaanlagen waren also nicht nur ein Statussymbol in dem Sinne, dass sie teuer waren. Sondern auch weil es staatlich geregelt war, wer in den Genuss wie vieler kam.

Nun sind Klimaanlagen nicht das Wichtigste und war die Ungerechtigkeit, die in anderen Bereichen des Lebens zu spüren war, weit frappanter. Andererseits ist es im Sommer in Ahwas so heiß, dass man auf blankem Boden Spiegeleier braten kann. Und dass die Klassenzugehörigkeit im Kaiserreich Iran eine Rolle spielte bis in die Verordnung über die erlaubte Anzahl der Klimaanlagen hinein, war durchaus ein Thema in dieser Revolution, die Gleichheit predigte.

Die Bekannte sagte, selbst sie, die ich immer für einen Snob gehalten hatte, konnte den Hass der Arbeiter auf diese Klimaanlagen, die sie zerstörten, als sie schließlich die Riesenvilla stürmten, nachvollziehen. Auch ihr Ehemann, der Erdölingenieur, hatte für solche Ungerechtigkeit durchaus einen Sinn. Er war eigentlich Kommunist und Anhänger der Tudeh-Partei, die vor der Revolution verboten war und einige Jahre nach ihr erneut verboten wurde.

Für diese Anhängerschaft hatte er in den Sechzigerjahren ein Jahr im Gefängnis verbracht. Später hatte er noch einen toubename, einen Reuebrief, schreiben müssen. Als Vater zweier Kinder hatte er sich notgedrungen zu diesem Schritt entschlossen. Den Brief habe er unter Tränen geschrieben, erzählte mir mein Vater.

Nach der Revolution fiel den Revolutionären irgendwann auch der toubename in die Hände. Sie befahlen dem Ingenieur, einen neuen Reuebrief zu schreiben. Doch er weigerte sich: Wenn es nicht möglich sei, im Iran zu leben, ohne alle paar Jahre einen Reuebrief schreiben zu müssen und seine Überzeugungen zu verraten, dann sei dies eben doch nicht seine Revolution.

KATAJUN AMIRPUR, 38, ist Islamwissenschaftlerin und Publizistin. Sie lebt in Köln, wo sie als Kind eines iranischen Vaters geboren wurde. Zuletzt gab sie das Buch "Der Islam am Wendepunkt" heraus.

---------------------------------------

VON BAHMAN NIRUMAND

Die schönsten Monate, die der Iran je erlebt hat, lagen in der Zeit, als der Schah nicht mehr Herr der Lage war, bis zu der Zeit, als die Islamisten um Ajatollah Chomeini ihre Macht festigten. Jeder war erfüllt von der Hoffnung auf bessere Tage, auf Freiheit und Unabhängigkeit; jeder hatte das Gefühl, am Schicksal des Landes direkt beteiligt zu sein.

Ich war nach 14 Jahren im Exil nach Teheran zurückgekehrt, um die letzten Wochen der lang ersehnten Revolution mitzuerleben. Für mich waren die Monate wie in einem schönen Traum.

Was das Glücksgefühl allerdings zunächst etwas trübte, war die Angst vor einem Militärputsch. Werden die USA den Sturz ihres engsten Verbündeten am Golf dulden?, fragten wir uns. Erst als am 16. Januar der Schah das Land verließ und am 11. Februar im Rundfunk eine Neutralitätserklärung der Militärs verlesen wurde, konnten wir aufatmen.

Der Rest war ein leichtes Spiel, ein Vergnügen. Jeder rannte dahin, wo er die interessantesten Funde und Erlebnisse vermutete. Polizeireviere, Kasernen, Waffendepots, Rundfunk, Parlament und Senat, Paläste und Gefängnisse waren Ziele, die von Aufständischen aufgesucht, erobert und geplündert wurden.

Ich entschied mich zunächst für das Evin-Gefängnis, einen Ort des Schreckens, in dem Tausende eingesperrt, gefoltert und hingerichtet worden waren. Ich hatte im Ausland oft über dieses Gefängnis berichtet. Jetzt wollte ich es von innen sehen.

Das Gefängnis lag im Nordosten von Teheran in einem Tal. Wenn ich früher daran vorbeikam, sah ich auf den dicken hohen Mauern zumeist eine Schar von schwarzen Raben, die davonflogen, wenn Schüsse fielen. Als wollten sie der Stadt die Nachricht von einem neuen Verbrechen mitteilen.

Eine große Menschenmenge stürmte das von Wärtern und Polizisten verlassene Gefängnis. Das Tor wurde mit schwerem Gerät aufgebrochen, die letzten Gefangenen wurden auf Händen hinausgetragen. Sicher waren Kriminelle darunter, die für einige Stunden zu Helden wurden.

Ein ehemaliger Gefangener führte mich an Einzelzellen vorbei in eine Folterkammer. Es war ein großer, fast leerer Raum. In der Mitte stand ein Podest aus Marmor, rechts an der Wand ein leeres Bett aus Eisen. Links in der Ecke hingen zwei Ketten an der Decke, an deren Ende Riemen befestigt waren. Der Gefangene erzählte mir, wie er mit den Fußgelenken an den Riemen festgebunden und mit dem Kopf nach unten hängend ausgepeitscht wurde; wie ihm mit Zigaretten Brandmale zugefügt wurden.

Welcher Außenstehende wäre in der Lage, zu fühlen, welche Qualen die Menschen hier erleiden mussten?, dachte ich. Wird es jetzt damit aufhören, wird es in Zukunft, wie Chomeini versprochen hat, keine Folter und Hinrichtungen mehr für Andersdenkende geben?

Was für ein Irrtum, was für eine Enttäuschung! Wenige Tage nach Chomeinis Ankunft erfolgten die ersten Hinrichtungen. Erst waren es die Monarchisten. Dann kamen nacheinander die Linken, die Liberalen und Widersacher aus den eigenen Reihen dran. Es gab Tage, an denen im Radio Namen von 200 bis 300 Hingerichteten verlesen wurden. So wenig blutig die Revolution verlief, so mörderisch waren die Jahre danach. Das Evin-Gefängnis war bald überfüllt. Und ist es bis heute geblieben.

BAHMAN NIRUMAND, 73, ist Publizist und wurde in Teheran geboren. 1965 floh er nach Westberlin, kehrte 1979 in den Iran zurück, um nach drei Jahren erneut zu fliehen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.