Kongo löst seine Lager auf: Hunger oder Kugel

Im ostkongolesischen Kriegsgebiet werden Flüchtlingslager geschlossen, Vertriebene gehen nach Hause. Mit Stabilisierung hat das wenig zu tun, es drohen vielmehr neue Konflikte.

Ein früherer Tutsi-Kämpfer - heute ist er in der kongolesischen Armee. Bild: reuters

Brandgeruch hängt in der Luft, der holprige Boden ist übersät mit schwarzer Asche und verkohlten Bananenblättern. Eine Gruppe Männer und Frauen nimmt lustvoll das Toilettenhäuschen auseinander: die Holzlatten kann man verkaufen, die grünen UN-Plastikplanen wiederverwenden.

Bisher reihten sich im kongolesischen Flüchtlingslager Mugunga I, rund 15 Kilometer westlich der Provinzhauptstadt Goma, die winzigen Hütten aus Blättern, Reisig und Plastikplanen bis an den Horizont aneinander. Es war eines der größten Lager der Flüchtlingskatastrophe, die infolge des unendlichen Krieges im Ostkongo allein in der Provinz Nord-Kivu um Goma über eine Million Vertriebene produziert hat. Aber nun geschieht Erstaunliches: Die Menschen lösen ihre Lager auf und gehen nach Hause.

Glaubt man dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR, ist dies eine spontane Rückkehr, logische Folge des Friedens zwischen der Regierung und der einstigen Tutsi-Rebellenbewegung CNDP (Nationalkongress zur Verteidigung der Demokratie), die sich Ende 2006 bis Anfang 2009 in Nord-Kivu bekämpft hatten. "Seit Monaten drängen uns die Flüchtlinge, nach Hause zu können", sagt eine Mitarbeiterin des UNHCR in Goma. 15.227 Haushalte – bis zu 65.000 Menschen – hätten sich in Umfragen bereiterklärt, die Lager zu verlassen.

Die Flüchtlinge stellen das anders dar. "Die Regierung hat uns gesagt, wir sollen gehen", sagt Pierre Bizimana, ein verärgerter, kräftiger junger Mann am Eingang von Mugunga I. "Die UNO hat beschlossen, uns nichts mehr zu essen zu geben. Dann kamen Minister der Provinzregierung und forderten uns auf, nach Hause zu gehen."

Bizimana, seit Januar 2008 auf der Flucht, musste wie Tausende andere auch eine „Freiwillige Rückkehrbescheinigung“ ausfüllen. Als Heimatdorf ist auf seinem fotokopierten Dokument Mupfuni Matan angegeben, tief in den Masisi-Bergen weiter westlich – in einer Gegend, aus der die UN-Mission im Kongo anhaltende Kämpfe bescheinigt. Als Rückkehrdatum steht da: 16. September.

Warum ist er also noch da? "Wir haben keinen Transport", sagt Bizimana. "Man hat uns gesagt, dass Lastwagen kommen und uns abholen, aber es kommen keine." Ihre Hütten, so sagen die Flüchtlinge, hätten sie aber schon in freudiger Erwartung angezündet, und jetzt schlafen sie eben im Freien.

Als vor einem knappen Jahr im einstigen CNDP-Rebellengebiet auf genau diese Weise Flüchtlingslager verschwanden, hagelte es weltweiten Protest. Die Beteuerung der Rebellen, die Menschen gingen freiwillig nach Hause, glaubte niemand. Und heute? Es stehen auffallend viele stramme junge Männer in diesem halbzerstörten Lager, wo sonst vor allem Frauen und Kinder leben. Bereiten sie sich vielleicht nicht auf Frieden vor, sondern auf Krieg? Felicien Basariya, ein dürrer, stiller Tierarzt in rotem Hemd und roter Hose, widerspricht nicht. "Natürlich wissen wir, dass es zuhause Probleme gibt, dass der Krieg weitergeht. Wenn man die Wahl zwischen Hunger und einer Kugel hat, stirbt man lieber an der Kugel."

In Goma wird die beginnende Vertriebenenrückkehr auf einen beginnenden neuen Konflikt zurückgeführt. Denn im Rahmen der Friedensregelung zwischen Regierung und den ehemaligen Tutsi-Rebellen der CNDP sollen 54.000 kongolesische Tutsi, die seit Jahren in Ruanda in Flüchtlingslagern leben, in ihre Heimat in Nord-Kivu zurückkehren. Gegen diese "Tutsi-Invasion" machen nun Rebellen anderer ethnischer Gruppen mobil. Zusammen mit ruandischen Hutu-Milizen bekämpfen sie in den Bergen westlich von Goma die Regierungsarmee, zu der neuerdings die Tutsi der CNDP gehören.

Wenige Tage, nachdem das UNHCR die lokalen traditionellen Führer vergeblich aufforderte, die Rückkehr der Tutsi-Flüchtlinge aus Ruanda zu akzeptieren, soll in den Lagern der Aufruf gestartet worden sein, jetzt schnell nach Hause zu gehen, um sein Land gegen die Tutsi zu verteidigen. Alan Doss, UN-Sonderbeauftragter für den Kongo, bestätigt in Goma, es gebe in diesem Sinne gezielt gestreute "Gerüchte".

Tatsächlich liegen die meisten Heimatorte der Rückkehrer tief im Kriegsgebiet, in den Hochburgen der Hutu-Milizen. Aber zunächst einmal kommen die Bewohner von Mugunga I dort nicht hin, und sie verlieren die Geduld. "Wir werden die Straße blockieren!", sagt einer. "Wir gehen zu Fuß los!" meint ein anderer. Manche Frauen haben schon ihre Bündel gepackt und sitzen startbereit am Rand der Teerstraße, die links nach Goma führt und rechts in die Berge.

Ein paar Polizisten versuchen, den Frauen ihr Hab und Gut zu stehlen. Ein durchgedrehter Polizist schießt drei Frauen mit seinem Maschinengewehr in die Beine. Sofort taucht eine Armeepatrouille auf, in strammem Schritt. Mit einer bei Kongos Armee unerhörten Professionalität werden die Polizisten entwaffnet und mit Fußtritten in den Hintern verjagt. Das müssen ehemalige Tutsi-Rebellen sein, staunen Zuschauer. Manchmal weiß man eben doch, was man an ihnen hat.

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