Staatsschutz-Ermittlungen: Jagd auf die "Vermummten"

Nach dem Angriff der "Koukoulofori" auf das Lerchenrevier im Hamburger Schanzenviertel ist die ganze autonome Szene im Visier. Fahnder bekommen umfassendes Fahndungs-Repertoire.

Sehen so die Folgen eines Mordanschlags aus? Die Generalbundesanwalt findet, ja. Bild: dpa

Die Staatsschutz-Operation "Koukoulofori" gegen die autonome Szene wegen des Angriffs auf das Polizeirevier Lerchenstraße im Hamburger Schanzenviertel ist angelaufen. Bei der Attacke waren zwei Streifenwagen in Flammen aufgegangen. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe (BAW) hat dem Staatsschutz des Hamburger Landeskriminalamts nach Ausweitung der Vorwürfe auf versuchten Mord umfassende Kompetenzen eingeräumt. Das hat die taz aus Polizeikreisen erfahren. "Den Ermittlern steht nahezu das gesamte Terrorismus-Fahndungsprogramm zur Verfügung", berichtet ein Insider. BAW-Sprecher Frank Wallenta möchte das nicht kommentieren. "Davon weiß ich nichts, und wenn ich was wüsste, würde ich dazu nichts sagen."

Aufgrund der Befugnisse können die Staatsschützer faktisch das gleiche Ermittlungs-Repertoire anwenden, wie im Jahr 2007 vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm. Damals war nach Paragraf 129a des Strafgesetzbuchs gegen eine "terroristische Vereinigung" ermittelt worden, nachdem in Hamburg im Vorfeld des Gipfels eine Reihe von Brandanschlägen auf Fahrzeuge von Repräsentanten aus Politik und Wirtschaft verübt worden waren. Personen wurden observiert, Telefone überwacht, E-Mails kontrolliert, Handys abgehört und Verbindungsdaten gesichert - sogar Wohnungen waren verwanzt und Menschen im Schlafzimmer belauscht worden.

Nach taz-Informationen konzentrieren sich die Ermittler aktuell darauf, durch Handy-Ortungen Aufenthaltsorte von Personen zu rekonstruieren und Verbindungsdaten sicherzustellen. Zudem finden zurzeit neben der klassischen Telekommunikations-Überwachung von Protagonisten der Szene vor allem Handy-Ortungen per "Stiller SMS" und Observationen statt.

Wie berichtet hatte am Abend des 3. Dezember vorigen Jahres eine Gruppe von laut Polizei zehn bis 15 Vermummten die Lerchenwache angegriffen, mit einem Fahrradschloss die Eingangstür versperrt und anschließend zwei Streifenwagen in Brand gesetzt. Zudem blockierten sie mit einem brennenden Müllcontainer die Zufahrt zur Garage und warfen mit Steinen die Scheiben des Gebäudes ein. Verletzt wurde niemand.

Zu dem Angriff hatte sich wenig später in einem Bekennerbrief eine Gruppe unter dem Namen "Koukoulofori" bekannt, was im Griechischen für "Vermummte" steht. Der Anschlag habe an den Tod des Griechen Alexandros Grigoropoulos erinnern sollen, der ein Jahr zuvor bei Krawallen von der Polizei in Athen erschossen worden war, sollte aber zugleich auch als Warnung vor einer Räumung des autonome Stadtteilzentrums Rote Flora verstanden werden, hieß es in einem Bekennerschreiben.

Das Repertoire der Ermittler zu den Brandanschlägen im Vorfeld des G8-Gipfel 2007 waren vielfältig:

Stille SMS werden von den Fahndern versendet. Sie werden vom Handy nicht registriert, jedoch örtlich vom Provider registriert. Durch Signalprofile mehrerer Funkzellen lässt sich der Standort des Handy-Nutzers genau bestimmen.

Postüberwachung: Die Postkontrolle ganzer Stadtteile durch Fahnder rund um die Uhr im Briefverteilungszentrum sorgte 2007 für einen handfesten Skandal.

Schnüffelhunde wurden eingesetzt, um die Gerüche von Beschuldigten mit den Geruchsspuren von Tatorten abzugleichen.

Die Hamburger Staatsanwaltschaft hatte ein Ermittlungsverfahren gegen "15 noch nicht identifizierte Täter" wegen des Verdachts des versuchten Totschlags, Brandstiftung, versuchter gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruchs im besonders schweren Fall eingeleitet. Dann hatte jedoch die Generalbundesanwältin Monika Harms den Fall an sich gezogen. "Aus der Übernahmebestätigung ist zu entnehmen, dass sich das Verfahren gegen eine noch nicht feststehende Anzahl unbekannter Personen wegen des Verdachts des versuchten Mordes und der versuchten besonders schweren Brandstiftung richtet", geht aus einer Senatsantwort auf eine Anfrage der Linken-Innenpolitikerin Christiane Schneider hervor.

Damit hat sich die Bundesanwaltschaft faktisch die 129a-Befugnisse zurückholt, die ihr der Bundesgerichtshof (BGH) Ende 2007 genommen hatte. Der BGH hatte im Verfahren gegen die G 8 Gipfel-Gegner entschieden, dass Brandanschläge auf Pkw nicht geeignet seien, die Staats- und Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik zu erschüttern. Deshalb könne nicht von einer terroristischen Vereinigung ausgegangen werden. Folglich sei die BAW auch nicht zuständig und die Ermittlungs-Maßnahmen rechtswidrig.

Mit dem Tatvorwurf Mordversuch umschifft die Anwaltschaft den BGH-Rüffel und schafft einen Fall "von besonderer Bedeutung", da Polizisten als "Funktionsträger des Staates" angegriffen worden seien und das Revier hätte in Brand geraten können.

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