Colin Goldner, Wissenschaftsautor: "Der Dalai Lama ist eine Witzfigur"

Der Schwärmerei über den tibetischen Buddhismus kann der Psychologe Colin Goldner nichts abgewinnen. Was ihm im Vorfeld einer Lesung in Bremerhaven nun Boykottaufrufe eingebracht hat

Verfüge, sagt Colin Goldner, über enormen gesellschaftlichen Einfluss: der Dalai Lama. Bild: dpa

taz: Herr Goldner, warum schreiben Sie so aggressiv gegen den Dalai Lama?

Colin Goldner: Angesichts der Flut an Publikationen zum Dalai Lama, von ihm und über ihn, stehen die Kritiker der tibetischen "Heiligkeit" auf ziemlich einsamem Posten. Daher ist pointierte Formulierung unverzichtbar, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Mein gelegentlich polemischer Unterton ist wohl Erbe meiner 68er-Sozialisierung: Mir geht die vorauseilende Ehrerbietung irgendwelcher Kutten- und Soutanenträger gehörig auf den Geist. Im Übrigen bin ich völlig unaggressiv.

Aber der Oberste Gerichtshof Wien hat Ihr Buch schon so gelesen: Nach seinem Urteil rechtfertigt Ihre "herabsetzende provokante Schreibweise" so ziemlich jede Kritik an Ihrem Werk.

Der Wiener OGH hat mein Buch ersichtlich nicht gelesen, sondern sich auf die Stellungnahme der Österreichischen Buddhistischen Religionsgesellschaft gestützt, gegen deren seinerzeitigen Vorsitzenden ich geklagt hatte. Dieser hatte mich in seinem Verbandsorgan auf unterstem Niveau persönlich angegriffen, was ihm letztlich - geschützt durch das Recht auf freie Meinungsäußerung - durchging.

Dabei hieß es, Sie hätten geschrieben, Tibeter wären "geistes- und seelenverkrüppelte Menschen".

Das habe ich selbstredend nirgendwo geschrieben.

geboren 1953 in München, leitet das Forum "Kritische Psychologie". Zahlreiche kritische Veröffentlichungen zu Esoterikszene und alternativen Therapiemethoden.

Sondern?

Es ging um die Indoktrination mit all den Okkultismen und Wahnvorstellungen, den blutrünstigen Teufeln, Monstern und Dämonen, von denen der tibetische Buddhismus durchzogen ist. Die ist Teil der menschenverachtenden Dressur, der der Mönchsnachwuchs im "alten Tibet" ausgesetzt war: Kinder wurden schon ab drei oder vier Jahren für die Klöster rekrutiert. In der extrem repressiven, von alten bis uralten Männern dominierten Mönchskultur der tibetischen Klöster wurden systematisch geistes- und seelenverkrüppelte Menschen herangezüchtet.

Lange her.

Meine Kritik richtet sich gegen den tibetischen Klerus, der im indischen Exil seine Praktiken weitgehend unverändert fortführt. In Tibet selbst ist die Rekrutierung von Kleinkindern seit den 1960ern verboten, was der Dalai Lama als gezielte Vernichtung der Mönchskultur durch die chinesischen Kommunisten geißelt. Er selbst kam mit drei Jahren ins Kloster.

Und das können Sie nicht weniger ätzend vortragen?

Noch einmal: Das hohe Ansehen, das der Dalai Lama quer durch sämtliche politischen und weltanschaulichen Lager genießt, ist trotz aller Kritik, die seit geraumer Zeit gegen ihn vorgebracht wird, weitgehend ungebrochen. Nach wie vor gilt er als Symbolfigur für Friedfertigkeit, Güte und in unendlichem Weistum ruhende Gelassenheit. Derlei verklärende Sicht ist reine Projektion. Dass der Dalai Lama nichts anderes ist als eine Randfigur im Propaganda-Schach der Großmächte, will man ebenso wenig wahrhaben wie die Tatsache, dass er als oberster Repräsentant des "alten Tibet" einem der blutsaugerischsten Herrschaftssysteme vorstand, die es je auf diesem Planeten gab - einer theokratischen Mönchsdiktatur, in der die große Mehrheit der Bevölkerung in unvorstellbarer Armut und bitterstem Elend lebte, unterdrückt und ausgebeutet von einer winzigen Schicht aus Adel und hohem Klerus. Hier Klartext zu sprechen ist unverzichtbar, auch wenn manche das als ätzend empfinden mögen.

Aber was bringt es, die eine Projektion des Westens durch eine andere zu ersetzen - indem Sie ihn zur lächerlichen Figur stilisieren, die "salbadert", "rhabarbert", "schwafelt" und "unglaubliches Plattitüdengeschwätz mit dem Wortschatz und der Grammatik eines Fünfjährigen" von sich gibt?

Mir geht es um die bestmögliche Auflösung von Projektionen: Bei Lichte besehen ist der Dalai Lama - wie alle "Heiligkeiten", egal welcher Glaubensrichtung - in der Tat eine Witzfigur, die an Karma und Wiedergeburt glaubt, an Astrologie, Hellseherei, Psychokinese und jedweden sonstigen Esoterik-Unsinn - einschließlich der Fähigkeit tibetischer Mönche, frei durch die Luft zu fliegen. Zugleich aber dürfen seine extrem rechtslastigen Positionen, auch seine eklatante Frauen- und Homosexuellenfeindlichkeit, nicht unwidersprochen bleiben, zumal er trotz - oder vielleicht gerade wegen- des Unfugs, den er erzählt, über enormen gesellschaftlichen Einfluss verfügt.

Oft nennen Sie ihn in christologischer Terminologie den "Leibhaftigen" und unterstellen ihm Gelüste, als "oberster Feldherr" in einem "totalen Krieg um die buddhokratische Weltherrschaft" aufzutreten. Wie passt das zum Bild der fünfjährigen Chatterbox?

Der Begriff "leibhaftig" bezieht sich darauf, dass er sich als Inkarnation, sprich: "Leibwerdung" einer buddhistischen Mythenfigur mit elf Gesichtern und tausend Armen vorkommt. Als solche wird er laut einer buddhistischen Prophezeiung, auf die auch er selbst immer wieder abstellt, in künftiger Inkarnation die "große Schlacht von Shambhala" anführen. Dieser Endzeitkrieg werde im Jahre 2424 stattfinden. Auch wenn derlei Sandkastenhirngespinste kein reales Bedrohungsszenario darstellen: Aus Sicht des Dalai Lama geht es um nichts weniger als die buddhokratische Weltherrschaft, die vor allem die Ausrottung des Islam bedeuten werde.

Dass auch Buddhismus über Gewaltpotenzial verfügt, untersucht Religionswissenschaft intensiver ja tatsächlich erst seit dem Giftgasanschlag des Sektenführers Asahara auf die Tokioter U-Bahn. Aber eben: Das war eine Sekte. Und den Dalai Lama als Propagandisten dieser Spielart des Buddhismus darzustellen - das fällt schon schwer.

Der Dalai Lama hatte wesentlichen Anteil am Aufstieg des buddho-faschistischen Sektengurus Shoko Asahara. Der plante unter anderem, die komplette Einwohnerschaft Tokios, also 20 Millionen Menschen, mit dem Nervengift Sarin und Milzbranderregern auszulöschen, um damit seinen Anspruch als buddhokratischer Weltendiktator zu unterstreichen. Der Anschlag auf die Tokioter U-Bahn im März 1995 - es hatte zwölf Tote und über 5.000 Verletzte gegeben - war nur ein Vorspiel …

und hat den Dalai Lama ebenso entsetzt wie den Rest der Welt.

Entgegen aller Behauptung seiner Anhänger hat der Dalai Lama sich bis heute nicht von seinem "spirituellen Freund" Asahara distanziert. Auch ansonsten pflegte und pflegt er rege Kontakte in die rechte Szene.

Die alte Harrer-Geschichte?

Nein, damit ist nicht in erster Linie die langjährige Freundschaft mit Heinrich Harrer gemeint, der als SA-Mann und SS-Oberscharführer überzeugter Nazi war. Gemeint sind seine Kontakte zu einem gewissen Bruno Beger, der Teil der Nazi-Expedition von 1938/39 nach Tibet gewesen war. Beger, auch er hochrangiger SS-Mann, ist als NS-Kriegsverbrecher verurteilt worden. Der Dalai Lama aber hielt ihm bis zu seinem Tod - Beger starb 2004 - unverbrüchlich die Treue. Gemeint sind auch seine Kontakte zu Miguel Serrano, Führer der "Nationalsozialistischen Partei Chiles" und Vordenker des sogenannten "Esoterischen Hitlerismus". Ein besonders enger Freund war der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider. Selbstredend hat auch die NPD Gemeinsamkeiten entdeckt: Die "klar nationalistischen Positionen" des Führers vom Dach der Welt seien beispielgebend - "Tibet den Tibetern". Die NPD als "befreiungsnationalistische Kraft" stehe insofern an der Seite des tibetischen Volkes.

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