Volker Ratzmann (Grüne) zur Wahl 2011: "Wir werden keine Revolution anzetteln"

Ein Jahr vor den Wahlen sehen Umfragen die Partei weit vorn. Fraktionschef Volker Ratzmann könnte vom Amt des Regierenden träumen - wäre da nicht Renate Künast, die wohl Spitzenkandidatin wird. Wurmt ihn das?

Der Fraktionschef der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Volker Ratzmann Bild: dpa

taz: Herr Ratzmann, wenn der Umfrage-Boom anhält, landen die Grünen bei der Wahl 2011 bei 50 Prozent. Welche drei Dinge würde Sie als Erstes ändern?

Volker Ratzmann: Erstens: den Schulen und Kitas ermöglichen, ein gutes Bildungsangebot zu machen. Zweitens: ein wirkungsvolles Klimaschutzgesetz, damit in den Mietshäusern mehr Energie gespart werden kann. Drittens: Wir würden sehr schnell den Politikstil des Senats ändern, hin zu mehr Partizipation und Dialog auch jenseits von Wahlen und Volksbegehren.

Volker Ratzmann, 50, ist seit 2003 einer von zwei Vorsitzenden der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Bei der Wahl 2006 gewann er erstmals ein Direktmandat in Prenzlauer Berg. Bevor Ratzmann in die Politik ging, hatte er sich einen Namen als Rechtsanwalt der linken Szene

gemacht.

Die Sommerpause: Parallel zu den Schulferien macht auch das Abgeordnetenhaus Sommerpause. Es ist die vorerst letzte Ruhephase. Der nächste Sommer wird vom Wahlkampf geprägt sein. Denn im September 2011 wird das Abgeordnetenhaus neu gewählt. Die taz nutzt die Sommerpause, um in einer Reihe von Interviews auf die Wahl 2011 zu blicken.

Der grüne Boom: Vor zwei Jahren lagen die Grünen laut dem Meinungsforschungsinstitut Forsa bei 15 Prozent, vor einem Jahr bei 19, in diesem Sommer bei 25 Prozent. Bei der Wahl 2006 hatten die Grünen nur 13,1 Prozent der Stimmen bekommen.

Die Anderen: Die SPD liegt in Umfragen 2 Prozentpunkte vor den Grünen, die CDU mal knapp vor, mal mit 19 Prozent klar hinter den Grünen. Die Linke kommt auf 17 Prozent. Die FDP muss mit 3 bis 5 Prozent um den Wiedereinzug ins Parlament fürchten.

Die Optionen: Ob Rot-Grün, Rot-Grün-Rot, Grün-Schwarz oder Schwarz-Grün-Gelb - in fast allen denkbaren Koalitionen wären die Grünen dabei. Allerdings hatte Volker Ratzmann nach einem heftigen Streit mit der FDP erklärt, das Tischtuch sei zerschnitten. Kommt die FDP nicht ins Parlament, könnte es nach letzten Umfragen auch knapp für Rot-Rot reichen. (taz)

Und was ist mit klassisch grünen Träumen: Tempo 30 stadtweit? Radspuren überall?

Klar sind das Themen, die wir anpacken würden, aber nicht kleinteilig, sondern als Teil eines neuen Mobilitätskonzepts für Berlin. Gerade hier können wir diese Vision entwickeln, hier hat doch noch nicht mal jeder Dritte ein Auto.

Wer müsste denn Angst haben vor einem grünen Senat?

Keiner. Warum sollte jemand Angst haben?

Weil ihm die neue Regierung Pfründen nimmt, Dinge verändert, Engagement verlangt?

Dann müssen nur die Angst haben, die einfach nur dasitzen, das Alte erhalten wollen und sich keinen Millimeter bewegen. Wir wollen natürlich Veränderung. Das wird sich für ganz, ganz viele positiv auswirken.

Was heißt das konkret?

Wir wollen mit einem Green New Deal die Wirtschaftskraft der Stadt stärken. Das heißt, dass diejenigen, die sich trauen, selbst unternehmerisch tätig zu werden, eine Chance bekommen auch Sinnvolles zu produzieren. Die ganze Welt redet darüber, dass wir riesige Investionen für Klimaschutz und erneuerbare Energien tätigen müssten. Da geht es weltweit um mehrere Billionen Dollar. Und wir haben die Chance, uns einen Teil davon zu holen und damit auch neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Viele Berliner sehen Veränderung eher als Bedrohung, schon weil die Mieten steigen.

Dass wir den Prozess der Veränderung steuern müssen, sodass niemand auf der Strecke bleibt, ist klar - gerade bei einem brutalen Verdrängungswettbewerb wie jetzt im Graefekiez in Kreuzberg. Aber dass sich etwas verändert, werden auch wir nicht stoppen können. Das kann auch nicht das Ziel von Politik sein. Wo aber Hauseigentümer mit unfairen Mittel für kurzfristige Renditen kämpfen, da muss man eingreifen.

Wie denn?

Indem wir Mietwucher schneller unterbinden können. Wir wollen zudem die Möglichkeit eindämmen, die Modernisierungskosten auf die Mieten aufzuschlagen. Und wir brauchen einen Bestand an öffentlichen Wohnungen nicht nur in den Outskirts, den Vororten.

Berlin lebt von einer agilen und kreativen Szene, die die Freiräume nutzt, auch für die vielen Clubs. Wie kann grüne Politik dafür sorgen, dass die nicht verdrängt wird?

Die Instrumente sind eher planerisch. Es kommt darauf an, in Genehmigungsverfahren früh Areale für die Clubszene zu sichern. Da müssen sich Verwaltung und Politikstil dringend ändern. Und die unterschiedlichen Interessen müssen frühzeitig und vorausschauend beteiligt werden.

Die Clubszene wurde, ohne dass Stadtplaner aktiv wurden, zum anerkannten Wirtschaftsfaktor für die Tourismusstadt. Bräuchte Berlin so etwas wie einen Senator für Freiraumpflege?

Nein! Das ist originäres Geschäft von jemandem, der sich auf die Fahne schreibt, Stadtentwicklung zu betreiben. Auch ein Wirtschaftssenator müsste gucken: Was habe ich da für ein Potenzial? Will ich das? Und wenn ich das will, muss ich auch in Kauf nehmen, dass anderes da nicht mehr geht.

Unterschiedliche Interessen gibt es auch bei der A 100. Die SPD ist wieder für die Verlängerung, die CDU sowieso. Ist die Autobahn die erste Kröte, die die Grünen in den Koalitionsverhandlungen 2011 schlucken?

Die Gefahr liegt doch mehr darin, dass Klaus Wowereit mit dem Beschluss für die A 100 ein rot-schwarzes Bündnis vorbereitet hat. Warum sonst wirft sich der Mann mit seinem ganzen politischen Gewicht in die Bresche?

Die Frage war: Ist das grüne Nein zur A 100 verhandelbar?

Nein, sicher nicht, aber das entscheidet die Partei. Ich sage nur, wir werden alles tun, den Weiterbau zu verhindern.

Das haben Ihre Parteikollegen in Hamburg auch gesagt, als es um das Kohlekraftwerk Moorburg ging. Dann kam die schwarz-grüne Koalition und alles anders.

Deshalb passen wir jetzt auf, dass der Senat den Bau juristisch nicht so festzurrt, dass wir ihn gar nicht mehr stoppen können. Nach unserem Kenntnisstand ist die A 100 noch nicht in so einem Stadium, anders als damals Moorburg. Aber wir werden keine Revolution anzetteln können, falls es Rot-Rot gelingt, vor der Wahl Pflöcke einzuschlagen, die wir juristisch nicht mehr rausziehen können.

Apropos Revolution: Stellen wir uns doch mal einen grünen Innensenator vor - nennen wir ihn Volker Ratzmann -, der am 1. Mai die Polizei führt und dann kommt es zu heftigen Krawallen mit der linken Szene.

Wir halten das Konzept, das die Polizei seit 2002 fährt, für richtig: Deeskalation und möglichst weite Freiräume für politische Artikulation. Aber wo es zu Gewalttätigkeiten kommt, muss die Polizei mit rechtsstaatlichen Mitteln dagegenhalten.

Rot-Rot hat sich vor fünf Jahren auf die individuelle Kennzeichnung der Polizisten geeinigt. Bis heute gibt es sie aber nicht. Wie lange bräuchte ein grüner Innensenator dafür?

Nicht lange. Denn wir würden das über eine gesetzliche Regelung machen, nicht über eine Dienstvereinbarung. Vor allem wollen wir keine Kennzeichnung mit Namen, sondern mit Nummern.

Glauben Sie eigentlich an die hohen Umfragewerte für Ihre Partei? Die FDP, die vergangenes Jahr nach oben schoss, ist inzwischen abgestürzt.

Wir sind jetzt seit einem Jahr fast konstant über 20 Prozent, zuletzt sogar bei 25 - das ist kein kurzfristiges Phänomen mehr. Für uns bedeutet das, größere Verantwortung zu übernehmen und ein breiteres Politikspektrum abzudecken. Die Kunst wird darin liegen, grüne Radikalität und Vision zu behalten und trotzdem Umsetzungsschritte zu entwickeln, die keinem Angst einjagen. Wir sind kein Bürgerschreck mehr.

Machen Sie sich Sorgen um die FDP? Wenn die aus dem Parlament fliegt, könnte es noch mal für Rot-Rot reichen. Kommt sie rein, wären die Grünen mit Jamaika auf der sicheren Seite.

Ach, ich weiß nicht, ob eine Jamaika-Koalition wirklich so attraktiv ist. So wie die FDP sich derzeit verhält und aufstellt, ist sie kein Partner für uns. Ich würde aber gern für den Rest der Legislaturperiode wieder zu einem normalen Umgang kommen.

Und die CDU? Glauben Sie, dass die noch einen attraktiven Spitzenkandidaten herbeizaubert?

Nein.

Umso besser für Sie. Nach den jüngsten Umfragen könnten die Grünen Juniorpartner der SPD werden - oder Chef einer Koalition mit der CDU. Wofür würden Sie sich entscheiden?

Das ist schwierig, weil es davon abhängt: Was macht der Partner mit? Ich würde das stark an inhaltlichen Fragen festmachen, beispielsweise an einem visionären Verkehrskonzept, der Stärkung der Green Economy, einer neuen Struktur für Charité und Vivantes.

Ist es die historische Möglichkeit, erstmals als Grüne ein Bundesland zu führen, nicht wert, Abstriche zu machen? Das muss doch eine Rolle spielen.

Das spielt natürlich eine Rolle. Aber ich habe doch nichts gewonnen, wenn ich mit einer Partei regiere, die mir so viel abringt, dass ich kaum ein wichtiges Projekt umsetzen kann.

Die halbe Stadt wartet, dass Renate Künast grüne Spitzenkandidatin wird. Keiner ruft nach Volker Ratzmann, der seit Jahren als Fraktionschef ackert. Kratzt das an Ihrem Ego?

Bei dem Sprung, den wir gerade machen, ist keine Platz für persönliche Eitelkeiten …

aber es gibt sie, oder?

Klar. Aber man muss das doch mal nüchtern betrachten. Ich bin seit 2001 im Parlament, seit 2003 Fraktionsvorsitzender, habe viel gelernt in dieser Zeit und war erfolgreich. Ich habe auch keine Angst vor Herausforderungen - sich auf dem Niveau von Klaus Wowereit zu bewegen, ist für die grüne Fraktion keine große Schwierigkeit.

Das spricht doch alles für den Spitzenkandidaten Ratzmann.

Aber wenn ich die Möglichkeit habe, die bundesweit beliebteste Grüne zu gewinnen, die zehn Jahre mehr Erfahrung auf allen politischen Ebenen hat, dann greife ich doch zu. Als ich mein erstes Jura-Examen gemacht habe, war Renate Künast längst Abgeordnete. Sie hat die rot-grüne Regierung 1989/90 in Berlin begleitet, sie war Fraktionschefin im Abgeordnetenhaus, Bundesvorsitzende und Bundesministerin. Das sind Erfahrungen, die kann ich nicht in die Waagschale werfen - und auch kein kein Wowereit.

Das war jetzt eine Hymne auf Renate Künast. Was machen Sie eigentlich, wenn sie nicht als Spitzenkandidatin zur Verfügung steht? Was ist der Plan B?

Dafür müsste ja erst mal der Plan A feststehen.

Die Grünen irren doch wohl nicht planlos herum?

Nein, aber auch nicht mit einem sozialistischen Einheitsplan. Wir werden zum Jahresende hin die Weichen stellen. Drängen lassen wir uns nicht.

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