Sozialdemokratie: Integration ist für alle da

Die behäbige Volkspartei SPD hat die avantgardistischen Grünen bei der Integrationsdebatte überholt - zumindest in der Theorie

Wowereit will breit integrieren - nicht nur Migranten Bild: Fabrizio Bensch/Reuters

Die Stadtteilmütter sollen zusätzliche Arbeit bekommen. Bei dem Projekt in Neukölln werden derzeit hauptsächlich türkische und arabische Frauen ausgebildet, um dann andere Familien mit dem gleichen Migrationshintergrund zu beraten: Wie klappt das mit der Anmeldung der Kinder an der Schule, wo gibt es Deutschkurse, wer hilft beim Gang zum Amt? "Die Stadtteilmütter sollten in der Tat ausgedehnt werden", findet Klaus Wowereit. Die Frage, warum die sich nur um Migranten kümmern, sei "selbstverständlich eine richtige Frage", sagte der Regierende Bürgermeister am Samstag auf einer "Ideenkonferenz" seiner Partei.

Die SPD denkt Integration neu. "Integration ist eben keine Ausländerthematik, sondern es geht um Teilhabe", sagte Wowereit. Die Stadtteilmütter für Deutsche sind dann nur die logische Konsequenz. Warum sollte nicht auch jemand das abgehängte deutsche Prekariat an die Hand nehmen? Sich um die Familien kümmern, in denen Arbeit und Bildung keine Selbstverständlichkeit sind? Auch deutsche Mütter können schließlich überfordert sein.

Na so was: Während die Integrationspolitik der Grünen heute in ihren Grundzügen auf dem Stand ist, auf dem sie auch schon vor zehn Jahren war, sind die Sozialdemokraten weiter. Ausgerechnet die SPD, die sich als beharrliche Volkspartei und nicht als stürmische Avantgarde versteht, kauft den Grünen den Schneid ab. In der praktischen Politik des Senats ist das zwar bisher nicht zu erkennen, aber die Debatte unterscheidet sich deutlich. Und das ausgerechnet auf einem Feld, das die debattierfreudigen Grünen zu ihren Kernkompetenzen zählen.

Ein Beispiel für misslungene Integration nannte der von der SPD auf das Podium geladene Journalist Mark Terkessidis: Deutschunterricht im Kindergarten. Wenn Erzieher die Migrantenkinder aus der Gruppe holen, um ihnen im Frontalunterricht die Sprache beizubringen, dann sei das laut einer Evaluation völlig sinnlos. Diese Kinder würden genauso gut oder schlecht Deutsch lernen wie Kinder in Einrichtungen ohne solchen Unterricht. Gefragt seien stattdessen Erzieher, die erstens für die Sprachvermittlung ausgebildet seien und die zweitens die Kinder individuell und in der ganzen Gruppe fördern.

Wowereit widersprach auch dem Vorurteil, viele Migranten hätten kein Interesse an einem sozialen Aufstieg ihrer Kinder: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Menschen hier in die Stadt gekommen sind, weil sie ihren Kindern keine Perspektive bieten wollen."

Für Aufregung sorgte weiterhin der ehemalige SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin. Die "Initiative gegen Rechts" aus Friedrichshain hatte ihre Teilnahme abgesagt, nachdem die Landesschiedskommission der SPD Sarrazin vor zwei Wochen vom Rassismusvorwurf freigesprochen und seinen Parteiausschluss abgelehnt hatte. Im offenen Brief der Initiative an den SPD-Landesvorsitzenden Michael Müller heißt es: "Die ,Reinwaschung' von Thilo Sarrazin ist ein Hohn für alle Menschen, die sich täglich gegen Rassismus und rechten Populismus einsetzen. Sie ist eine nicht wieder gutzumachende Beleidigung gegenüber den MigrantInnen in Berlin."

So entging den Antirassisten, wie Wowereit sich von Sarrazins umstrittenen Äußerungen über Kopftuchmädchen und türkische Gemüsehändler distanzierte: "Wenn Haider oder einer von der NPD das gesagt hätte, dann hätten sich alle, die noch halbwegs ticken, sich sofort erregt." Gefährlich sei, in welchen Kreisen Sarrazin auf Zustimmung gestoßen sei - hier müsse man dagegenhalten. "Man muss die Debatte führen, nicht weil es um den lieben Thilo geht - der verändert sich eh nicht mehr -, sondern es geht um die anderen."

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