CDU beklagt Desinformation in Schulen: Murren von der Fleischpartei
Der „Fleischatlas“ informiere Niedersachsens Schüler falsch, klagt die CDU. Bauernkinder würden gemobbt. Die Argumente der Fleischkritiker stimmen.
HANNOVER taz | Die Agrarlobby der niedersächsischen CDU ist sauer, richtig sauer: „Einseitig“ und „tendenziös“ sei der „Fleischatlas“, der vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung und Le Monde diplomatique herausgegeben wird und die negativen Seiten der Massentierhaltung beleuchtet, findet der landwirtschaftspolitische Sprecher der Christdemokraten im Landtag, Helmut Dammann-Tamke.
„Unseriös“ sei die 52-seitige Broschüre, meint Vize-Fraktionschef Frank Oesterhelweg. Der ehemalige CDU-Landwirtschaftsminister Hans-Heinrich Ehlen beklagt in der Hannoverschen Allgemeinen, der „Fleischatlas“ präsentiere nicht nur „irre Ideen“, sondern sei schlicht „Menschenverdummung“.
Was die drei Landwirte besonders ärgert: Der „Fleischatlas“ darf in Niedersachsens Schulen als Unterrichtsmaterial dienen. SchülerInnen können damit lernen, dass die Intensivtierhaltung das Klima massiv schädigt, durch die Umwandlung von Mais und Getreide zu Futtermitteln Millionen Menschen hungern lässt und durch Antibiotika, Hormone sowie „den exzessiven Einsatz von Pflanzenschutzmitteln“ krank macht – und das mit ausdrücklicher Billigung der rot-grünen Landesregierung: Eine „anschauliche Sammlung von Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel“ sei der „Fleischatlas“, befanden Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) und Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne).
Zur Beruhigung der Christdemokraten trug das nicht bei. „Es kann nicht sein, dass die Kultusministerin wissentlich duldet, dass sachlich falsche Materialien verwendet werden“, ärgert sich Fraktionsvize Oesterhelweg noch heute. Besonders fasziniert ist er wie Ex-Minister Ehlen von einer einzigen Zahl: 15.500 Liter Wasser sind insgesamt nötig, um ein einziges Kilo Rindfleisch auf den Teller zu bringen. „Ich kann mir das nicht vorstellen“, sagt Oesterhelweg ungläubig – und klagt, so werde Stimmung gegen Bauern gemacht. Er kenne Kinder, die wegen der Tierhaltung ihrer Eltern von Mitschülern so gemobbt worden seien, dass sie die Schule gewechselt hätten, klagt der Landwirt aus dem Landkreis Wolfenbüttel.
Das 2014 erschienene Informationsheft ist eine Kooperation der Umweltszene: Hinter dem "Fleischatlas" steht der Bund für Umwelt und Naturschutz, die Parteistiftung der Grünen und die deutsche Ausgabe der in Paris erscheinenden Le Monde diplomatique, die in der Bundesrepublik der taz beiliegt.
52 Seiten sollen Verbraucher über die Hintergründe des erstaunlich billigen konventionellen Fleischangebots aufklären: Erklärt wird nicht nur, woher der Großteil der Steaks, Würstchen oder Burger im Supermarkt oder Restaurant stammt.
Beleuchtet werden die globalen Auswirkungen des massenhaften Fleischkonsums wie Klimawandel oder Artensterben - und Werbestrategien der Agrarindustrie.
Doch die schwarzen Agrarlobbyisten haben ein Problem: Die Zahlen der FleischkritikerInnen stimmen. Mit ihnen arbeitet nicht nur die Vereinigung Deutscher Gewässerschutz, die vom Bundesumweltministerium und dem Umweltbundesamt unterstützt wird – sondern auch die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen. „Das sind offizielle, völlig seriöse Berechnungen der UNO“, ärgert sich deshalb Edmund Haferbeck von der Tierrechtsorganisation Peta.
Dass Wassermangel massiv zu Hunger und Unterernährung betrügen, sei hinlänglich bekannt, sagt der Agrarexperte – und verweist auf eine erst Anfang April vorgestellte Studie des World Wide Fund For Nature (WWF). Die trägt den Titel „Das große Fressen“ und beklagt, dass „unser Ernährungsstil Klimawandel und Umweltzerstörung“ befeuere: Zusätzlich zu den 17 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Fläche in Deutschland „okkupiere“ die Bundesrepublik 5,5 Millionen Hektar vor allem in Südamerika – hauptsächlich zur Futtermittelproduktion.
Auch der BUND will den Vorwurf der Desinformation nicht auf sich sitzen lassen. „Taschenspielertricks“ seien vielmehr Argumente der Christdemokraten, deutsche Tierhalter verwendeten zu über 90 Prozent heimisches Futter, sagt dessen Agrarexpertin Reinhild Benning. Die CDU betrachtet dabei nur den Bedarf an Kohlenhydraten, nicht aber an Eiweiß, das vor allem durch importiertes Soja gedeckt werde.
Die Christdemokraten in Niedersachsen seien schlicht nicht unabhängig von der Agrarindustrie, glaubt die gelernte Landwirtin und erinnert an Friedrich-Otto Ripke: Der war bis 2013 Staatssekretär im niedersächsischen Landwirtschaftsministerium – und wurde dann Präsident der massentierhaltenden Geflügelwirtschaft.
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