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Archiv-Artikel

Falsche Medizin

EU-ARBEITSLOSENVERSICHERUNG Das dringlichste Problem in der EU bleibt die dramatische Jugendarbeitslosigkeit. Die Politik hat da Nachholbedarf

Ursula Engelen-Kefer

■ Die promovierte Volkswirtschaftlerin war bis 2006 stellvertretende Vorsitzende des DGB und saß bis 2009 im SPD-Vorstand. An dieser Stelle mahnte sie zuletzt am 3. 7. Handlungsbedarf in Sachen Jugendarbeitslosigkeit an.

Nach der Wahl ist vor der Wahl: Acht Monate nach der Bundestagswahl folgen die Europawahlen. Für viele Menschen in Europa, vor allem die bald 6 Millionen arbeitslosen Jugendlichen, sieht die Zukunft düster aus. Auch die bisherigen politischen Entscheidungen zur Europapolitik – weitgehend von der schwarz-gelben Bundesregierung und der SPD gemeinsam getragen – haben daran nichts geändert, im Gegenteil. Über Allgemeinheiten gehen die Wahlprogramme von CDU/CSU und SPD in Sachen Europapolitik leider nicht hinaus. Konkrete und nachhaltige Konzepte zur Bekämpfung der eskalierenden Jugendarbeitslosigkeit fehlen sogar vollends.

Mehr als nur PR notwendig

Erst vor Kurzem entdeckte die Politik, allen voran die Bundesregierung sowie die EU-Kommission, welche dramatischen Dimensionen die europaweite Jugendarbeitslosigkeit inzwischen erreicht hat. Getan hat sich trotzdem wenig. Herausgekommen sind, von den sich häufenden Konferenzen und Politgipfeln abgesehen, lediglich PR-Aktionen für eine Neuauflage der unverbindlichen Jugendgarantie sowie eine nur längerfristig wirksame europäische Ausbildungsallianz. Praktisch umgesetzt werden grenzüberschreitende Anwerbe-Offensiven, um den vor allem von der deutschen Wirtschaft lautstark beklagten Fachkräftemangel bei den IT- und Pflegeberufen mit hoch qualifizierten spanischen Jugendlichen zu beheben. Allerdings sind die Erfolge bislang eher mäßig. Dies liegt nicht nur an sprachlichen Problemen, sondern vor allem auch an gravierenden Defiziten in Sachen Entlohnung, den Arbeitsbedingungen sowie bei der „Willkommenskultur“ in Wirtschaft und Gesellschaft.

Jetzt hat die EU-Kommission noch einmal nachgelegt. In seltener Einigkeit hat das Triumvirat von Kommissionspräsident und den Kommissaren für Wirtschaft und Arbeit vor, eine EU-weite Arbeitslosenversicherung einzuführen. Als ein Schritt dahin soll ein neuer Fonds eingerichtet werden, aus dem an Mitgliedsländer mit besonders hoher Arbeitslosigkeit Gelder ausgeschüttet werden, die ausschließlich zur Arbeitslosenunterstützung dienen sollen. Als Alternative wird eine gegenseitige Versicherung aller Mitgliedsstaaten gegen Konjunkturschwankungen und andere wirtschaftliche Ungleichgewichte vorgeschlagen.

Mit den Details derartig vager und unausgegorener Vorstellungen brauchen sich die Kommissare allerdings gar nicht erst näher zu beschäftigen. Sie selbst gelangten nämlich bereits zur Erkenntnis, dass derartige europäische Transfers von Arbeitslosenversicherungsleistungen mit dem Vertrag von Lissabon nicht in Übereinstimmung zu bringen sind. Wie leidvolle Erfahrungen zeigen, würden die erforderlichen einstimmigen Vertragsänderungen Jahre dauern, sofern sie überhaupt durchsetzbar wären.

Die weiterhin von der EU-Kommission vorgeschlagene regelmäßige Erhebung sozialer Indikatoren – wie Arbeitslosenquoten, Höhe der Jugendarbeitslosigkeit, Entwicklung der Haushaltseinkommen, Armut trotz Arbeit, Verteilung von Einkommen und Vermögen – würde noch mehr Bürokratie, aber wenig sozialen Mehrwert erbringen. In der EU-Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik mangelt es nicht an ausreichenden Informationen. Vielmehr sind die Berichtspflichten für die Mitgliedsländer bei den Verfahren zur Koordinierung der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik bereits jetzt kaum mehr zu überblicken und stehen in keinem Verhältnis zu ihrem politisch-praktischen Nutzen für die Menschen in Europa.

Es braucht Marshallpläne

Voraussetzung für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sind Pläne zur Förderung von nachhaltiger Beschäftigung und Ausbildung in den Krisenländern mit ausreichender finanzieller und personeller Unterstützung von Kommission, Mitgliedsländern und Tarifparteien. Die vom letzten EU-Jugendgipfel am 3. Juli 2013 in Berlin beschlossenen 8 Milliarden Euro über zwei Jahre sind nicht mehr als der Tropfen auf den heißen Stein.

Zudem wäre ein wichtiger Schritt neben der dringend notwendigen Solidarität mit den Arbeitslosen vor allem die Verabschiedung einer verbindlichen EU-Richtlinie, die alle Mitgliedsländer verpflichtet, eine ausreichende Arbeitslosenversicherung durchzusetzen. Vorbedingung ist allerdings, dass die sozialen Strangulierungen der Menschen in den Krisenländern durch die Sparvorgaben der „Troika“ aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) sowie die unsozialen Kürzungsmaßnahmen der nationalen Regierungen beendet werden. Stattdessen müssen endlich die Verursacher der Finanzkrisen – Aktionäre, Gläubiger und Top-Manager – für die Finanzierung aufkommen. Dann wären mehr als genügend Mittel vorhanden, sowohl die Entwicklung von Wirtschaft, Beschäftigung und Ausbildung zu finanzieren, wie auch eine ausreichende Arbeitslosenversicherung und Arbeitsmarktpolitik.

Europawahlen nutzen

Ein wichtiger Schritt wäre eine verbindliche EU-Richtlinie, die eine ausreichende Arbeitslosenversicherung durchsetzt

Was die anstehenden Europawahlen betrifft, sind Illusionen allerdings fehl am Platze. Die Europapolitik wird schon seit Jahren von den nationalen Staats- und Regierungschefs bestimmt – allen voran von der deutsch-französischen Achse. Zum wiederholten Mal ist das Bundesverfassungsgericht gerufen, der Bundesregierung den notwendigen Respekt der demokratischen Verfahren bei den Milliarden Euro schweren Entscheidungen über die EU-Rettungspakete sowie den EU-Fiskalpakt abzuverlangen. Auch das portugiesische Verfassungsgericht hat die Kürzungsmaßnahmen der Regierung als verfassungswidrig erklärt. Nur sind sie nach Überwindung der anschließenden Regierungskrise mit ähnlicher sozialer Schlagseite erneut durchgesetzt worden.

Noch viel mehr muss das Europäische Parlament um seine Kompetenzen in der Europapolitik ringen. Die anstehenden Europawahlen können zwar nicht die Entscheidungen der Wähler bei der Zusammensetzung des Deutschen Bundestages und der nächsten Bundesregierung korrigieren. Sie sind jedoch für unsere Zukunft in der Bundesrepublik und in Europa von immer größerer Bedeutung.

URSULA ENGELEN-KEFER