The Robert Glasper Experiment: „Berlin is biiitch“
HipHop ist ein Zwerg, der auf den Schultern von Riesen steht: The Robert Glasper Experiment aus New York überzeugen bei ihrem Konzert in Berlin.
Das Fußballspiel ist aus, es endet mit einer bitteren Niederlage für den gastgebenden FC Bayern München, der Stimmung am Samstagabend in Berlin tut das keinerlei Abbruch. Die Stimmung ist klasse.
Sie ist bereits vor Konzertbeginn klasse. Dank DJ Akalepse aus New York, der ausgesucht erlesene Musik zur Einstimmung auflegt: Soulful-HipHop von Common und A Tribe Called Quest, Broken Beats von Steve Spacek und Madlib. Und Akalepse tut all das in den Mix, vollkommen unaufdringlich, vielleicht gerade deshalb wird der ganze Festsaal Kreuzberg abgeholt, ist im Nu auf den Beinen.
Polnische HipHop-Heads genauso wie die Frau, die im Bioladen hinter der Theke steht. Ein 60-Jähriger mit seiner Teenager-Tochter genauso wie junge Jazzbuffs. Das Publikum kann gar nicht anders, es tanzt und herzt sich, obwohl der Headliner noch nicht mal die Bühne betreten hat.
Der wird dann – ein Glücksfall – die Vorlagen des DJs weiterdrehen. Doch vorher sagt er noch einen unwiderstehlichen Satz. „Berlin is biiitch“. Durchaus anerkennend gemeint, Robert Glaspers Begrüßung. Mehr braucht der afroamerikanische Pianist auch nicht zu sagen. Er setzt sich zusammen mit den drei Musikern seiner Band The Experiment vors Instrument, und fortan spricht die Musik.
Und was sie zu sagen hat, formt einen Möglichkeitsraum. The Robert Glasper Experiment sind angetreten, um HipHop vor dem dumbing down zu bewahren, vor einer, wie Glasper in Interviews nicht müde zu behaupten wird, geschichtslosen Verblödung. Er und seine Band betten Beats und Reime ein in Exkursionen, die sie Richtung Jazz, Soul und Funk unternehmen.
Arschcooler Saxofonist
Das mag auf dem Papier erst mal sehr allgemein klingen. Aber sie geben HipHop etwas zurück. Auf ihrem neuen Album „Black Radio“ lassen sie sich dabei von namhaften R&B- und HipHopstars helfen. Beim Konzert sind sie dagegen auf sich selbst gestellt und stellen unter Beweis, warum sie momentan als Hoffnungsträger gelten.
Wenn man Casey Benjamin beim Spielen zusieht, Glaspers arschcoolen, mit einer roten Rasta-Teddyboy-Haartolle angetanen Saxofonisten, erübrigen sich alle Zweifel: Benjamin übernimmt die Rolle des Sängers, singt, seinen Unterkiefer genüsslich vorschiebend, in den Vocoder und bedient dabei gleichzeitig ein Umhänge-Keyboard, als würde er seinem Pizzabringdienst eine Bestellmail schreiben. Man beginnt zu verstehen, HipHop ist ein Zwerg, der auf den Schultern von Riesen steht.
Plötzlich entstehen vor dem geistigen Auge auch andere Vorstellungswelten als vom HipHop der ewigen, von Jünglingen mit Goldzähnen und dicken Hosen vorgetragenen Gewaltfantasie. The Robert Glapser Experiment modernisieren die alte Geschichte der „great black music“, sie sind an diesem Abend nicht nur gekommen, um die Erinnerungen aufzufrischen, sie übersetzen die digitalen HipHop-Produktionsstandards, die maschinellen Drumbeats auch zurück auf eine manchmal stotternde, aber immer pulsierende von Menschenhand bediente Spielweise. Die Rhythmussektion, Schlagzeuger Chris Dave und Bassist Derrick Hodge, ist auch wirklich eine.
Und Robert Glasper knüpft an Piano und Fender-Rhodes an die Groove-Eleganz eines Les McCann oder an die traumwandlerische Sicherheit des Chicagoer Duos Young-Holt Unlimited an. Er braucht die Vergangenheit, um HipHop zukunftsfähig zu gestalten. Am Samstag trägt Robert Glasper ein T-Shirt, mit dem Schriftzug vom J Dilla, dem Detroiter Produzenten, dessen Soulsampling der letzte wirkliche Quantensprung des HipHop war. J Dilla ist vor sechs Jahren verstorben. The Robert Glasper Experiment statten HipHop mit neuem Leben aus.
Leser*innenkommentare
fundf
Gast
Wie Robert Glasper schon angesagt hat und sich auch bis in die Schreibstuben der taz hätte rumsprechen können: der Schlagzeuger des Abends war nicht Chris "Daddy" Dave sondern Mark Colenburg. Was deswegen erwähnt werden sollte, weil MarK Colenburg großartig ist...wie im übrigen und sowieso diese ganz m'f'ck'n Band...
Fatma
Gast
Arschcool trifft es auf den Punkt!!
Wir haben ein ähnlich erleuchtendes, unvergessliches Konzert ein Tag zuvor in Frankfurt gesehen.
Unweigerlich imitiert man tagelang den Vocoder beim Sprechen.