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Archiv-Artikel

Im Konsens streitet es sich nachhaltiger

JUBILÄUM Die Unabhängigkeit steht Büchermenschen gut: Ein Besuch beim Wagenbach Verlag, der 50 Jahre alt wird

Dieser Verlag glaubt daran, dass ein Leben, das man guten Büchern widmet, ein erfülltes Leben ist

VON DIRK KNIPPHALS

Fünfzig ist für einen Verlag noch nicht unbedingt ein beeindruckendes Alter; der Beck Verlag feierte 2013 sein 250. Jubiläum. Beim Wagenbach Verlag gibt es aber mindestens zwei Punkte, die einen über die runde Zahl hinaus neugierig machen können. Zum einen ist schon ein bisschen verblüffend, dass der Verlag knapp, aber immerhin vor 68 gegründet worden ist – zunächst ausdrücklich als Ost-West-Verlag, mit gesamtdeutscher literarischer Perspektive und, wie damals ein Bericht im Tagesspiegel vermerkte, als „Wagnis eines einzelnen im Massenzeitalter, noch dazu unsubventioniert“. Der Einzelne war natürlich Klaus Wagenbach.

Der zweite Punkt besteht darin, dass eine fünfzigjährige Institution notgedrungen einen Generationswechsel absolviert haben muss. So etwas ist heikel in der weiterhin sehr hierarchisch organisierten und identitär aufgeladenen Buchbranche. Bei Hanser vollzog sich erst kürzlich der Verlegerwechsel von Michael Krüger zu Jo Lendle als radikaler Bruch, Krüger ließ im Abgang nichts anderes zu.

Bei Wagenbach aber ist ein fließender Übergang geglückt. Klaus Wagenbach, inzwischen 83, besucht den Verlag noch täglich als „fröhlicher Rentner“, wie er selbst schreibt. Schon 2002 übergab er die Leitung an seine 1962 geborene Frau Susanne Schüssler. Und in dem Dutzend Jahren, die seitdem auch schon wieder vergangen sind, haben nun auch die Medien realisiert, dass sich da ein Wechsel vollzogen hat. Bei Verlagen ähnlicher Größe wie dem Antje Kunstmann oder dem Schöffling Verlag steht er noch bevor.

Aber nicht nur deshalb lohnt es sich, nun einmal genauer auf Wagenbach zu schauen. Literarische Verlage, ob groß, mittel oder klein – oder ob, wie Wagenbach, irgendwo zwischen mittel und klein –, würdigt man gern, indem man die von ihnen betreuten Autoren nennt und die produzierten Bücher aufzählt. Und tatsächlich gibt es da bei Wagenbach einiges, was man im Geiste Revue passieren lassen kann, während man sich auf den Weg in die Emser Straße in Berlin-Wilmersdorf macht, in der die Verlagsräume liegen.

Der schöne Bestseller „Die souveräne Leserin“ von Alan Bennett ist gut in Erinnerung. Der Überraschungserfolg „Ich nannte ihn Krawatte“ von Milena Michiko Flasar auch. Bei den Sachbüchern war Dichter Richters Himmelsrichtungsbuch „Süden“ ein Erfolg. In einer Politik-Reihe bemüht man sich, den linken Diskurs zu beflügeln. Die beinahe beendete 45-bändige Edition Giorgio Vasari ist ein Meilenstein der Kunstgeschichte. In Kulturwissenschaftskreisen hat Mithu M. Sanyals Buch „Vulva. Die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts“ für viel Zustimmung gesorgt. Und im aktuellen Programm gibt es mit dem Roman „Iman“ den vielschichtigen kanadisch-beninschen Autor Ryad Assani-Razaki zu entdecken.

Aber Verlage sind mehr als die Summe ihrer Bücher. Man sortiert Verlage auch unwillkürlich in solche ein, zu denen einem Geschichten einfallen, und in solche, bei denen bei einem nichts klingelt. Bei Kleinverlagen klingelt es oft in Sachen Sympathievorschuss, denn man kann an ihnen so gut die Geschichten vom leidenschaftlichen Büchermachen erzählen. Aber die Geschichten müssen auch nicht immer positiv sein. Suhrkamp etwa kann man gut mit kompletten Dramen verknüpfen. Und die Geschichten können sich mit der Zeit auch in Legenden verwandeln. So wie zwischendurch auch mal bei Wagenbach.

Wer diese alten Geschichten nachlesen will, kann das in einer zum Jubiläum vom Verlag herausgegebenen Festschrift gut tun. Klaus Wagenbachs Grabrede für Ulrike Meinhof, Texte von Ingeborg Bachmann, Erich Fried, Pier Paolo Pasolini, ein Überblick über die frühen Siebziger, als der Verlag sich als Kollektiv verstand – alles drin. (Wer aus ganz anderer Perspektive über die Kollektiv-Zeit lesen möchte, kann das in F.C. Delius’ Erinnerungen „Als die Bücher noch geholfen haben“ tun; Klaus Wagenbach und Delius haben sich damals heillos zerstritten, bis heute hat keine Versöhnung stattgefunden.)

Wenn man in der Gegenwart schließlich in den Verlagsräumen angekommen ist, kann man aber noch etwas Aufschlussreicheres feststellen: dass Generationswechsel eben auch heißt, dass man die alten Geschichten überdauern kann, nämlich. Die Geschichten aus der Gründungszeit werden ganz gewiss nicht verdrängt oder abgehakt – allerdings sind sie eben deutlich dies: Vergangenheit, teilweise auch gepflegte Tradition (bis heute wird gemeinsam Mittag gegessen). Die Gegenwart bestimmen sie nicht. Diesen Eindruck erhält man, wenn man den Verlagsflur entlanggeht, von dem die einzelnen Büros abgehen. Die Möbel, die Mitarbeiterinnen, das Ambiente – verstaubt wirkt da nichts.

Insofern ist es dem Jubiläum angemessen, den alten Geschichten einen heutigen Aspekt beizustellen; er ergibt sich daraus, dass man literarische Verlage auch danach beurteilt, was sie zur jeweils aktuellen Kultur des Büchermachens beitragen. Verlage, die nur auf schnelle Erfolge zielen, verachtet man schnell ein bisschen – auch wenn man manche von ihnen auf den Markt geworfene Bücher gerne lesen mag. Suhrkamp verteidigt man dagegen trotz aller seltsamen Geschichten letztlich eben doch. Den Beck Verlag findet man interessant, weil er für eine vielleicht steife, aber doch zutiefst bürgerliche Tradition des Büchermachens steht. Und Fischer, Rowohlt, Kiepenheuer & Witsch, Hanser beurteilt man auch danach, wie sehr sie sich darum bemühen, ihr kulturelles Kapital zu bewahren.

Gerade unter diesem Aspekt ist Wagenbach viel interessanter, als es seiner schieren Größe von zwölf Mitarbeitern auf zehn, teilweise familienfreundlich aufgeteilten Stellen und etwa 2 Millionen Euro Umsatz zustehen würde. Gut nachgehen kann man diesem Aspekt, wenn man sich schließlich bis zum Büro der Verlegerin vorgearbeitet hat, einem etwa 24 Quadratmeter großen Raum, branchenüblich mit den selbstproduzierten Büchern in den Regalen.

Susanne Schüssler betont zunächst die Kontinuitäten innerhalb der fünfzig Jahre. Der Ost-West-Verlag, der politische Verlag, der Verlag über Italien, der Verlag der Kulturgeschichte, der Verlag der schönen Bücher – das alles seien Etiketten der Medien. Tatsächlich sei der Verlag immer alles gleichzeitig gewesen: literarisch, politisch, mit einem Bewusstsein für schön gestaltete Bücher und kontinuierliche inhaltliche Verschiebungen. Zu den aktuellen Verschiebungen gehört, dass man neben den Schwerpunkten Italien, Frankreich und England derzeit verstärkt auf Autoren setzt, die sich zwischen den Kulturen bewegen.

Generationswechsel ist schwer, heißt aber eben, dass man die alten Geschichten überdauern kann

Interessant ist, was Susanne Schüssler als inneren Kern ihres Verlags beschreibt: Konsenslektorat, Autorenbetreuung und Sinn für Gestaltung. Die letzten beiden Punkte würden sich viele Verlage auf ihre Fahnen heften. Aber Wagenbach geht dabei weiter als sie. Man hält dort auch alte Titel der jeweiligen Autoren lieferbar. Und mit der Salto-Reihe – das sind diese roten, besonders eingebundenen, sofort mit Wagenbach verknüpfbaren Bücher – hält der Verlag an seinem besonderen Gestaltungswillen fest, ohne ins Chichi der Geschenkbücher zu verfallen.

Eine Wagenbach-Eigenheit ist das Prinzip des Konsens-Lektorats. Es besagt, dass alle fünfeinhalb Lektorenstimmen zu einer Entscheidung ja sagen müssen, was komplexe Diskussionen nach sich zieht. Alle Lektoren lesen, so weit es geht, alle in Frage stehenden Titel mit. Jeder muss für seine Favoriten Argumente und Verbündete finden. In der Praxis sei das manchmal anstrengend, sagt Susanne Schüssler. „Aber die Vorteile überwiegen.“ Man irre seltener. Insgesamt ergebe sich eine nachhaltigere Form des Büchermachens.

Die Ansicht, dass persönliches Engagement und inhaltlicher Streit um die Sache zum sorgfältigen Büchermachen gehören, hat Wagenbach nicht exklusiv; auch größere Häuser pflegen sie durchaus, wenn auch meist härter im Clinch mit den Unternehmensberatern und Anteilseignern. Aber dass bei Wagenbach jetzt fünfzig Jahre Entscheidungen durch inhaltliche Auseinandersetzungen getroffen werden, ohne Mitspracherecht von Vertrieb und Marketing, ist schon eine besondere Leistung.

Wenn man die Verlagsräume wieder verlässt, kann man an den Vortrag des neuen Hanser-Chefs Jo Lendle denken, in dem er aufzählte, woran Verlage glauben: an Auswahl, Arbeitsteilung zwischen Verlag und Autor sowie an die Vorteile von Gruppenbildungen. Mit Blick auf Wagenbach möchte man etwas hinzufügen: Wagenbach glaubt in diesem Sinne daran, dass ein Leben, das man guten Büchern widmet, ein erfülltes Leben ist. Auch angesichts aktueller Abgesänge nicht damit aufzuhören, gute Bücher herausbringen zu wollen, ist da letztlich eine Frage des Stils.

Klingt leicht kitschig. Aber man unterschätze nicht, wie wichtig der Faktor der Sinnstiftung durch Bücher in der Buchbranche ist. Ihn so klar zu vertreten, wie Wagenbach es tut, ist, denkt man, während man dann wieder auf der Straße steht, ein unverzichtbarer Beitrag zur Kultur des Büchermachens.

■ Die Chronik „50 Jahre Wagenbach“ kann man auf www.wagenbach.de kostenlos ansehen. Am 13. März wird auf der Leipziger Buchmesse eine Ausstellung zur Verlagsgeschichte eröffnet