: APOKALYPSE FRAU
VON SONIA MIKICH Bilanz aus drei Jahrzehnten in Domänen der Männer. Ein Appell der langjährigen „Monitor“-Chefin
Die Jüngste war ich, die Anfängerin, als ich nach dem Volontariat Mitte der 80er Jahre im Auslandsressort des WDR anfing – als engagierte Redakteurin und glückliche Reporterin. Für etliche Jahre die einzige Frau in einem exklusiven Herrenclub. Vieles konnte ich anstoßen oder selber machen, weil ich die Extrameile ging. Sei es die anstrengende, kurzfristige Reportage oder der dringende Filmschnitt am Wochenende oder das mühselige Aufarbeiten von Akten und Archivmaterial. Die Frau und Kinderlose war immer für einen ungeliebten Einsatz ansprechbar. Mir ganz recht. Die Welt wurde meine Auster.
Dennoch: Ein paar Mal in diesen Jahren wurde ich ganz deutlich auf mein Geschlecht zurechtgestutzt. Da war zum Beispiel der dringende Wunsch nach einer Gehaltserhöhung. Zu verhandeln mit dem damaligen Fernsehdirektor Günter Struve, dem ich mit aufgeregtem Stimmchen vortrug, warum ich eine höhere Gehaltsstufe wert war. So belastbar! So innovativ! Er strahlte mich an und fegte dergleichen Anmaßung für die nächsten Jahre weg: „Liebe Frau Mikich, Sie sind doch immer so gut angezogen, wozu brauchen Sie mehr Geld?“ Arrogant und paternalistisch. Nein, ich hatte keine schlagfertige Antwort parat. Ich verstummte, leicht errötend.
Da war auch eine Sendung zum Thema Quote in der Reihe Auslandsstudio im WDR: „Die Hälfte des Himmels – Frauen in der Politik“. Gute Filmbeispiele aus den skandinavischen Ländern mit ihren vielen Ministerinnen hatte ich bestellt, im Studio würden Alice Schwarzer und die österreichische Frauenministerin Johanna Donal sprechen. Drei Mal wurde das Experiment verschoben vom damaligen Auslandschef Nikolaus Brender, der nicht sah, was daran relevant sein könnte. Er schaffte es, mich zum Heulen zu bringen mit seinem Desinteresse. Jede noch so unbekannte Befreiungsbewegung war eine Aufarbeitung wert, bloß nicht die Sache der Frauen. Ausnahme waren die, die es nicht mehr nötig hatten. Ich erinnere genau, wie ratlos und erschüttert Fritz Pleitgen war, als er Chefredakteur wurde. In Washington, wo er herkam, kannte und schätzte er Frauen als tough cookies, die alles konnten. Im Heimatsender waren solche rar gesät, und keine Frau nahm Führungsaufgaben in seinem Programmbereich wahr. Also trommelte er uns, die jüngeren Redakteurinnen, zusammen und machte Mut. Mit Sendungen („Sphinx und Co.“, ein preisgekröntes Politmagazin, nur von Frauen gemacht), mit Posten (Gabi Krone-Schmalz als erste Moskau-Korrespondentin), mit Stimmung. THINK BIG. Sein Motto wurde mein Motto und stand uns Frauen gut.
Dann der Abzug der Sowjetarmee aus Afghanistan, 1989. Das Bild vom letzten sowjetischen General, der bei Termes über die Brücke am Grenzfluss ging. Weil die Kollegen im Studio Moskau nicht konnten (oder mochten), meldete ich mich zur Kriegsreportage, packte schon die Sachen und sprach mich mit einem erfahrenen Kameramann ab. Vergeblich. Bürokratische Bedenken türmten sich, Absprachen mit dem ZDF wurden getroffen, Versicherungen waren seltsam schwierig zu bekommen – alles, damit das Mädel verhindert wird. Heute lachhaft angesichts der vielen Superkolleginnen, die in allen Genres der Auslandsberichterstattung, auch den härtesten, glänzen.
Think Big!
Ein sehr wichtiger Faktor für meine Generation war die Förderung durch wichtige … Männer. Gerd Ruge, der mich als Nummer drei nach Moskau holte und mich sofort zu einem GUS-Gipfeltreffen nach Usbekistan losschickte und eben nicht zu Herz- und Schmerzthemen. Die ehemalige Sowjetunion – was für ein Berichtsgebiet, was für eine Zeit. Es gab keinen aufregenderen Ort als Moskau. Weil ich Weltpolitik miterleben durfte, als Rohstofflieferantin fürs Verstehen. Mich später zur Leiterin des ARD-Studios in Moskau zu machen, war folgerichtig. Und ja, es half meinem Ruf sehr, dass ich harte Berichte in Tschetschenien und anderen Konfliktregionen machte.
Fazit: Alles hat sich verändert auf der Ebene der TV-Macherinnen. Die Zugänge zu einer interessanten Karriere sind selbstverständlich, Männer und Frauen können gleichermaßen relevanten Hardcore-Journalismus machen. Die Zugänge sind da, wohlgemerkt. Wie aber sieht es mit wirklichen Machtpositionen aus? Wer hat wo das Sagen?
Der WDR hat drei Frauen an der Spitze, Intendantin, Fernsehdirektorin und Leiterin des Justiziarats. Sie haben mein Alter, sie kennen die Geschlechterdebatten, die Fallen, die Sonntagslügen. Sie sind für Fairness, für Frauenförderung ansprechbar, davon gehe ich aus. Führungsfrauen können für ein Arbeitsklima sorgen, in dem sich Kolleginnen alles zutrauen. THINK BIG.
Die „Managementebene“ des WDR erfüllt also jetzt schon die Forderung des Vereins ProQuote. Aber hier darf ich mal radikaler werden: Wieso eigentlich nur 30 Prozent der Führungspositionen? Denn wenn nur ein paar Abteilungsleiterstellen zugunsten von Männern umbesetzt werden, gerät das schöne, frauenfreundliche Bild ins Wanken, dann ist der Frauenanteil schnell wieder im Sinkflug. Wenn nur zwei, drei Moderatorenstellen männlich nachbesetzt werden, ist wieder eine Schieflage da. Fazit: Wir brauchen eine kritische Masse an Frauen in Führungspositionen, und die bescheidene 30-Prozent-Forderung bedeutet: Frauen sind noch Jahre zur Aufholjagd verdammt.
Eine andere Frage wird in der aktuellen Quotendiskussion ausgeblendet: Welches Frauenbild strahlen die Sender im Jahr 2012 aus? Wie differenziert? Auch hier eine Anekdote. Vor gefühlten 100 Jahren stritt ich mich mit der Redaktion der Sabine-Christiansen-Talkshow wegen der fehlenden weiblichen Gäste. Gesprächsrunden waren besetzt von älteren Herren, deren Heiße-Luft-Produktion sie schön nach oben getragen hatten. Frauen mit Gravitas tauchten nicht auf. Die Begründung von Christiansen und Co.: Wir versuchen Gleichrangige zu einem Politthema einzuladen, die Herren wollen auf Augenhöhe diskutieren, und da fehlt es halt an Vorzeigefrauen bei Unternehmen, Institutionen oder Parteien.
Kläglich, diese Bereitschaft von Journalisten, Frauen als Glamourgirl, Betroffene oder Opfer auftreten zu lassen. Hier die männlichen Autoritäten, da die Mädels fürs Menschelnde. Welche Denkfaulheit! Mit Ausnahme des ARD-„Presseclubs“ setzen sich die Muster bis heute fort. Und darum gilt weiterhin: Liebe Redaktionen, sucht sie gefälligst – die klugen, schlagfertigen, telegenen Frauen, die den Libor verstehen, Korruption bekämpfen oder das Gottesteilchen erklären. Macht Unbekannte zu Stars. Wer, wenn nicht Plasberg, Jauch und Co. hat die Macht dazu, aus Nonames die Fernsehlieblinge oder Topexperten zu machen? (Ich wünsche mir natürlich mehr Gender-Sensibilität bei der Auswahl von Interviewpartnern und Fallbeispielen in den Nachrichtensendungen, Politmagazinen, Dokus. Jedes gesendete Klischee zementiert Vorurteile.)
Ich begriff recht früh arbeiten als eine Selbstverwirklichung, die mich in wunderbare Gefilde des Journalismus spülte. Dazu das happy ending als Abteilungsleiterin von drei wirklich interessanten Programmen, die der ARD gut stehen. Habe ich Ratschläge für Kolleginnen auf dem Weg nach oben? Das wäre vermessen, denn ich habe nie Karriereplanung betrieben und war gerne Einzelgängerin. Ein paar Angewohnheiten haben sich über die Jahre verfestigt. Ich mache gern auf Leistungen von Frauen aufmerksam in der Hoffnung, sie zu fördern. Ich ärgere mich niemals über die Bezeichnung Quotenfrau, denn auch eine Quotierte muss sich nach professionellen Regeln beweisen. Intensität und Leidenschaft sind das Kapital von Journalistinnen, man kann sich selbst immer wieder beflügeln.
Fehler machen ist erlaubt, Frauen sollen Risiken lieben lernen. Und gelegentlich auch Störenfried sein. Störenfriede widersprechen dem Mainstream und erlauben sich einen eigenen Blick auf die Welt. Das gilt nicht nur für Frauen. Aber besonders Frauen haben viel davon, wenn sie lernen, ICH zu sagen.
Der Text erschien zuerst im Medienmagazin Nitro. www.nitromagazin.com
Sonia Seymour Mikich, 61, begann 1982 beim WDR. Sie war Moskau-Korrespondentin und als erste Frau Studioleiterin. Die einstige Chefin des ARD-Politmagazins „Monitor“ leitet heute beim WDR die Abteilung Inland. Für ihre Berichte aus Krisengebieten erhielt sie das Bundesverdienstkreuz.