Rapper über Proteste gegen die WM: „Brasilien darf nicht verlieren“
Der brasiliansche Rapper Emicida über die WM als tolles Fußballfest, die faschistische Militärpolizei und seine Hoffnung auf ein Brasilien ohne Rassismus.
taz: Emicida, die „Seleção“ hat sich als Gruppenerster für das Achtelfinale qualifiziert. Freut Sie das?
Emicida: Klar, sehr sogar. Und ich denke, Brasilien hat gut gespielt. Auf der anderen Seite mag ich aber auch die afrikanischen Teams, darum hat ein Teil meines Herzens Kamerun beim Spiel gegen Brasilien unterstützt.
Im Achtelfinale geht es jetzt gegen Chile, eine auch körperlich starke Mannschaft. Es ist ein Spiel, das die Brasilianer zweifellos verlieren können …
Nein, stopp. Sie können vielleicht verlieren, sie dürfen aber nicht. Das Land würde in Traurigkeit verfallen.
Sie mögen also den Event der Fußballweltmeisterschaft, trotz aller Kritik?
Ja, als Veranstaltung, bei der viele Länder aus der ganzen Welt zu uns kommen, finde ich sie wunderbar. Aber es würde mich freuen, wenn die sozialen Probleme Brasiliens währenddessen nicht in Vergessenheit gerieten.
Vor der WM hatten viele ja vermutet, dass es auch nach dem Anpfiff größere Demonstrationen geben würde.
Es gibt auch Proteste, aber sie werden von einem massiven Polizeiaufgebot unterdrückt. In Recife zum Beispiel hat ein Sondereinsatzkommando das von vielen jungen Menschen besetzte „Estelita“-Gelände gewaltsam geräumt, wo ein umstrittenes Immobilienprojekt errichtet werden soll. Das größte Problem ist meines Erachtens, dass unsere Polizei generell völlig unvorbereitet ist, angemessen mit Demonstrationen umzugehen.
Leandro Roque De Oliveira, kurz Emicida, Jahrgang 1985, ist neben Criolo der wohl derzeit bekannteste Rapper der großen HipHop-Szene Brasiliens. Er gilt als Sprachrohr der Protest-generation. Emicida spielt am Samstag bei der ausverkauften Fusion in Mecklenburg, am 4. Juli bei der „//www.hkw.de/de/programm/projekte/veranstaltung/p_102857.php:Copa da Cultura“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt und am 12. Juli beim Funkhaus Europa Summerstage in Köln.
Inwiefern?
Sie ist nicht darin geschult, anzuerkennen, dass es ein Grundrecht eines jeden Bürgers ist, auf die Straße friedlich für sein Anliegen zu demonstrieren. Es liegt in der Regel am aggressiven Verhalten der Polizei, wenn es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt. Wenig hilfreich sind in diesem Zusammenhang auch die großen Medien, welche die sozialen Bewegungen ohnehin nicht wertschätzen und oft ganz bewusst manipulieren.
Mit welchem Ziel?
Die konservativen Medien versuchen die WM-Organisation als Katastrophe hinzustellen, um vor den Wahlen im November die Regierung der PT-Arbeiterpartei zu diskreditieren. Darum bin ich auch froh, dass so weit alles gut funktioniert. Außerdem sollte man sich auch gut überlegen, wofür man wann demonstrieren geht.
Wie meinen Sie das?
Wir müssen aufpassen, dass bei all den unterschiedlichen Forderungen, die seit den Massenprotesten im Juni 2013 aufgeworfen wurden, nicht der Fokus auf das Wesentliche verloren geht. Und außerdem ist es eben gerade während der WM schwierig, viele Menschen auf die Straße zu holen. Darunter leidet die Schlagkraft der sozialen Bewegungen.
Emicida, Sie kommen aus armen Verhältnissen in São Paulo …
Das stimmt, ich bin in einer „quebrada“ aufgewachsen.
Wo bitte?
„Quebrada“ – Abhang –, so nennt man in São Paulo die Favelas, während man in Rio eher von „comunidades“ – Gemeinschaften – spricht.
Zur WM hört man im Ausland viel über die „Befriedung“ der Favelas in Rio, aber kaum etwas über die Armenviertel São Paulos, der größten Stadt Brasiliens.
Ein Unterschied ist, dass viele Favelas in Rio sich als Postkartenmotiv eignen, die in São Paulo dagegen nicht. Darum sind sie in brasilianischen Filmen und Telenovelas auch kaum ein Thema. Das ist schade, denn in São Paulo gibt es eine große Underground-Kulturszene in den Favelas. Und was die angebliche „Befriedung“ angeht: Wenn der Staat in diesen Vierteln nur mit Polizei in Erscheinung tritt, dann geht es allein um territoriale Kontrolle und nicht um eine echte Pazifikation – darum, dass sich in den bürgerlichen Vierteln auf dem „asfalto“ nichts ändert.
In São Paulo gibt es keine „Befriedungspolizei“?
Nein, aber die Militärpolizei, die hier in den Favelas zum Einsatz kommt, ist in meinen Augen ähnlich schlimm. Es ist eine faschistische Polizei.
Ändert sich auf der anderen Seite nicht das Leben in vielen Favelas allmählich, weil es dort inzwischen mehr Menschen ökonomisch besser geht und auch das Bildungsniveau steigt, zum Beispiel durch Studienstipendien?
Natürlich ist es gut, wenn sich die Leute jetzt einen Kühlschrank oder Fernseher kaufen können. Das Wichtigste, was sich durch die PT-Regierungen seit Lula geändert hat, ist aber etwas anderes: Die Menschen haben begriffen, dass sie mitbestimmen, Brasilien mitgestalten können. Als ich zur Schule gegangen bin, hat keiner von uns nur einen Gedanken daran verschwendet, zu studieren. Das war nur für Reiche. Heute können auch andere diesen Traum verwirklichen.
Es heißt, dass Sie früh zur Musik gekommen sind, weil Ihre Eltern „Black Music“-Partys in der Peripherie São Paulos organisiert haben. Ist das wirklich wahr?
Ja. Das waren eine Art „Block Parties“ mit Soundsystem bei uns im Viertel. Noch Anfang der 90er Jahre waren solche „Bailes“ mit schwarzer US-Musik in den Favelas São Paulos sehr beliebt – mein Vater hat als DJ Marvin Gaye, James Brown oder George Clinton gespielt und dazu auch immer ein bisschen Samba. Der Samba spielt bis heute in meiner Musik eine wichtige Rolle.
Sie sind inzwischen einer der bekanntesten Rapper Brasiliens. Warum ist der HipHop in Ihrer Heimat so wichtig?
Weil er bei uns zur Stimme der Favela geworden ist. Was meine Generation politisiert hat, war der HipHop. Er hat geholfen, unser Selbstbewusstsein und ein linkes Bewusstsein zu entwickeln – lange bevor die Arbeiterpartei PT 2003 an die Macht kam. Wir haben durch den Rap zum ersten Mal von Martin Luther King gehört, aber auch von Zumbi und anderen Ikonen des schwarzen Widerstands in Brasilien.
Von diesen Themen handelt auch Ihre Musik?
Ich rappe aus der Perspektive der Schwarzen in den Armenvierteln Lateinamerikas. Und es ist ein ganz schön chaotisches Panorama, das man dort vorfindet: Es gibt schon Menschen, die progressiv sind, aber viele haben auch sehr konservative Ansichten. Mit meiner Rap-Poesie versuche ich, diese verschiedenen Menschen anzusprechen und sie miteinander in Kontakt treten zu lassen. Mir geht es um Kommunikation und Menschlichkeit.
Und welchen Traum haben Sie für die Zukunft Brasiliens?
Zunächst müssen die Brasilianer verstehen, was die Essenz des Landes ausmacht. Sie müssen unsere „miscigenação“, die Verschmelzung verschiedener Rassen und Ethnien, als etwas Wundervolles akzeptieren, bevor sie die Schönheit und Kraft erkennen können, die sich aus der Mischung der Kulturen ergibt. Erst dann können wir ein größeres Projekt für die Zukunft angehen. Ich kämpfe mit meiner Musik täglich dafür, dass sich die Dinge bei uns ändern – auch damit meine Tochter in einem besseren Land aufwächst: einem weniger rassistischen, segregierten Brasilien, in dem es weniger Ungleichheit gibt als heute noch.
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