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Archiv-Artikel

Augen auf beim Instrumentenkauf

Stimmengewirr im Proberaum und vollparametrische Phraseninvertierung: Mawils Comic „Die Band“ erzählt mit tocotronischem Subtext, wie Jungs sich dem Erwachsenwerden nähern, indem sie gemeinsam Musik machen

VON JOCHEN SCHMIDT

Bei manchen Comics wird man als Autor neidisch auf die Möglichkeiten dieses Mediums. Was Prosa schnell schwerfällig macht, zu viel liebevolle Details, macht einen guten Comic gerade aus. Wie bei einem Brecht-Bühnenbild oder dem Tableau eines Adventure-Spiels ist nichts überflüssig, alles erzählt mit an der Geschichte. Markus „Mawil“ Witzel ist ein Autor, der sein Leben unverblümt zum Comicstrip verarbeitet. Scheinbar unspekakuläre Dinge, wie Wohnungssuche, werden zum Thema. In Wirklichkeit sind sie ja auch nicht unspektakulär, sondern unser Leben.

Auch wenn sein Held mit der Brille und dem eigenartigen Haarschnitt so aussieht und auch so heißt wie der Autor, wäre es albern, fehlende Fiktionalisierungsbemühungen zu bemängeln. Ein gezeichneter Mawil ist selbstverständlich ein fiktiver Mawil. Wir leben in einer Zeit, in der man sich ohnehin von Geburt an als Held seiner eigenen Geschichte empfindet. Diese Form der Selbstfiktionalisierung hat etwas zutiefst Tröstliches. Auch vielen anderen Menschen würde man lieber als Comicfigur begegnen.

Nach den Frauen in „Wir können ja Freunde bleiben“ geht es bei Mawil in „Die Band“ um das Projekt „eine Band gründen“, das im Leben jedes Jungen das Projekt „eine Bande gründen“ ablöst. Und noch bevor man eigene Songs geschrieben hat, beginnt man schon, sich zu inszenieren und die eigene Entstehung zu historisieren. Schon von den ersten Bandfotos ist einem natürlich bewusst, dass sie später einmal bedeutsame Dokumente der Bandgeschichte sein werden. Und an die Anfänge im Probenraum der katholischen Kirche wird man sich noch schmunzelnd erinnern, wenn man als Band selbst zu einer Art Kirche für die Massen geworden ist und zum regelmäßigen Gottesdienst ruft.

Bis dahin sammelt man unschätzbare Erfahrungen. Was für Musik will man spielen? Will man eine HipHop-Band sein, mit Texten wie „And like every weekend I went to a jam / with my homie, the motherfuckin' Sven“. Oder doch lieber eine Rockband? Deutsch oder Englisch singen? Deutsche Texte sind natürlich peinlich, aber die englischen muss man sich vom Lehrer durchsehen lassen. Dazu kommen noch Fragen wie: Ist es wichtiger, wie ein Instrument klingt oder wie es aussieht? Will man eine Sängerin haben? Ist es wichtiger, wie sie singt oder wie sie aussieht? Schließlich ist man noch keiner Frau so nahe gekommen. Aber würde eine Sängerin nicht die erhofften Groupies vergraulen? Und machen Frauen Bands nicht sowieso tendenziell kaputt (sozusagen wie bei den Beatles). Nichts Cooleres, als eine Band zu sein, aber auch nichts Peinlicheres, als beim Instrumentenkauf in die Verlegenheit zu geraten, vor den Augen altgedienter Blueser, die diese Geschäfte betreiben, eine Gitarre auszuprobieren, ohne spielen zu können.

Den Songs gibt man unterdessen lieber Spitznamen: „das Schnelle“, „das Harte“. Und die Arrangements werden komplizierter: „An der Stelle sollte doch der harte Teil kommen.“ Man reift aber auch an den Gewissensbissen, etwa wenn man sich von einem Mitglied trennt (dem fünften Beatle). Und dann stößt ein neuer Schlagzeuger von zwei Klassen höher dazu, der als Einziger musikalisch ist. Dadurch zögert sich der Beginn der Proben noch weiter hinaus, weil plötzlich Begriffe wie „bundrein“, eine Rolle spielen und „vollparametrische Phraseninvertierung, 48routbare Terzbandfilter auf 2TK&Cue mit ADAT, TDIF und AES/EBU option Slots“. Dabei wollte man doch nur eine Band gründen.

Das Stimmengewirr auf Bandproben, wenn alle durcheinander reden und dazu noch einer scratchen übt oder Rückkopplungen produziert, wäre unmöglich als linearer Text wiederzugeben. Selbst im Film wäre es so anstrengend wie synchronisierte italienische Streifen, in denen immer viel zu schnell geredet wird. Aber im Comic hat alles Zeichencharakter: Viele Sprechblasen bedeuten „durcheinander reden“, man versteht das und kann jede einzeln lesen. Sowohl gegenüber der Literatur, als auch dem Film, hat der Comic also eigene Ausdrucksmöglichkeiten. Nicht umsonst gibt es keine einzige befriedigende Comicverfilmung, was nur den wundert, der das Genre Comic unterschätzt, zum Beispiel Literaturfreunde, die sich jederzeit einig darüber wären, dass es keine befriedigende Literaturverfilmung gibt.

Bemerkenswert an „Die Band“ ist nicht zuletzt der tocotronische Subtext. Wie es in „On connaît la chanson“ mit französischen Chansons vorgemacht wird, kann man die meisten Szenen, in denen sich unser Leben abspielt, längst mit einem Tocotronic-Zitat überschreiben: „Gitarrenhändler, ihr seid Schweine“, „Ich bin viel zu lange mit euch mitgegangen“, „Samstag ist Selbstmord“. Heute, wo sich Tocotronic mit einer 150 Jahre alten Poetik aus der Verantwortung stehlen, vernünftige Texte zu schreiben, ist es umso tröstlicher zu sehen, dass andere ihre Arbeit fortsetzen. Ein Haus bauen, einen Baum pflanzen und ein Kind zeugen? Eher schon eine Band gründen, einen Platte aufnehmen und mit einem Groupie schlafen. Glücklich, wer das Scheitern an diesem Lebensprojekt zu einem Buch, wie „Die Band“ verarbeiten kann, das bei aller Unbefangenheit auch sehr traurig ist. Wenn auf der letzten Seite steht, was die Beteiligten heute machen, fünf Jahre danach. Man sieht ein Schlagzeug, das im Keller verstaubt, und darüber steht „Thomas is letztens Vater geworden“. Effektiver kann man nicht schreiben.

Mawil: „Die Band“. Reprodukt-Verlag, 80 Seiten, 10 €