Autos raus aus der Stadt?
Ja

VERKEHR Wer Kraftfahrzeuge verbannt, schafft Platz für Parks, Fußgänger und Fahrräder

Die sonntazfrage wird vorab online gestellt.

Immer ab Dienstagmittag. Wir wählen eine interessante Antwort aus und drucken sie dann in der sonntaz.

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Michael Cramer, 62, sitzt für die Grünen im Europäischen Parlament

Sicher müssen Autos raus aus der Stadt. Ich habe seit 33 Jahren keins mehr. Wir Grünen haben schon 1984 die Idee der autofreien Stadt entwickelt – die Große Koalition wollte daraufhin den Autoanteil auf 20 Prozent senken. Heute führt die autofixierte Stadtentwicklungspolitik ins Chaos. Andere Städte sind weiter als die deutschen, in Stockholm und London ist das Auto längst persona non grata. Hier sind Bus und Bahn nach wie vor zu teuer, die Parkgebühren zu billig.

Mikael Colville-Andersen, 44, schreibt in Kopenhagen den Blog cogenhagenize.com

Den Politiker würde ich gern sehen, der – in Deutschland oder anderswo – den Mumm hat, die Autos aus der Innenstadt zu verbannen. Ich sehe ihn nicht kommen, zumindest nicht in naher Zukunft. Was sollen wir in der Zwischenzeit tun? Es den Autos schwer machen: einspurige Straßen für sie, mehrspurige für die Radfahrer. Das Tempolimit auf 20 bis 30 km/h reduzieren, Parkscheine extrem erhöhen und Trams und Busse subventionieren. Die Städteplaner haben 75 Jahre damit zugebracht, unsere Innenstädte mit ihren autozentrierten Plänen zu zerstören. Theoretisch haben sie zwar mehr Möglichkeiten, aber ihre Mentalität ist stecken geblieben seit Beginn des 20. Jahrhunderts und hat sich seitdem nicht geändert. Dieser altmodische Städtebau hemmt die Entwicklung der Städte. Er ist festgefahren und muss endlich durchbrochen werden. Denn er steht uns im wahrsten Sinne im Weg.

Bettina Cibulski, 42, ist Sprecherin des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs

Autos sind laut, sie machen Lärm und stinken. Und sie verbrauchen viel Platz: Auf ein Autoparkplatz passen zwölf Fahrräder. Für Fußgänger und Radfahrer sind Autos die gefährlichsten Unfallgegner. Autofahrer berufen sich auf die Freiheit, aber die größere Freiheit hat man doch, wenn man das Auto gar nicht mehr braucht. Der ideale Verkehrsteilnehmer in der Stadt von heute besitzt kein Auto, dafür ein Fahrrad und eine Monatskarte für Bus und Bahn – und er leiht sich ein Auto per Carsharing nur noch, wenn er wirklich mal eins braucht. Eine Ausnahme sind natürlich bestimmte Unternehmen für ihren Lieferverkehr oder behinderte Menschen. Aber meine Vision ist, dass es ansonsten in den Städten eines Tages gar keinen Verkehr mit Privatautos mehr gibt.

Renate Kerntopp hat die sonntaz-Streitfrage online auf taz.de kommentiert

Mein Traum: Ein schöner Sommertag. Ich gehe runter auf die Straße, hole mir meine Liege aus dem Keller und setze mich auf den Grünstreifen, dorthin, wo einst ein Weg aus Asphalt gewesen ist. Ein kleiner Schnack mit den Nachbarn, die es sich ebenfalls draußen bequem gemacht haben. Spiele wie Gummitwist und Laufspiele, wie ich sie aus meiner Kindheit kenne, eine Sandkiste ist nicht weit weg. Die Tische der Cafés und Restaurants in der Nachbarschaft sind voller Menschen, die die wunderbare klare Luft genießen. Die Realität: Autoverkehr Tag und Nacht, vollgeparkte Straßen, die Luft voller Abgase und Feinstaub. In welcher Stadt wollen wir leben?

NEIN

Ellen Lohr, 46, ist Rennfahrerin und wohnt in Nizza. Derzeit fährt sie Lamborghini

Ich habe drei Kinder. Jeden, der von einer autofreien Stadt träumt, würde ich gern mit dem Maxi Cosi in der Hand zum Kinderarzt schicken, während zwei andere Kids rumnerven. Morgens gemeinsam zu Fuß zur Schule, und der Kindergarten liegt 4 Kilometer entfernt? Autofreie Stadt ist machbar, sicher, alles ist machbar. Aber in diesem Fall nur für aktive Singles, die den Wocheneinkauf gern mit ihrem Fitnessprogramm kombinieren. Für alle anderen: eine Horrorvorstellung. Ich hoffe nur, dass die Zukunft uns nicht Ideen wie in London oder Turin beschert, wo die Innenstadt Maut kostet oder man je nach Nummernschild nur jeden zweiten Tag die Innenstadt befahren darf. Die Mittelohrentzündung eines Kindes schert es wenig, welcher Wochentag gerade ist.

Petra Müller, 51, ist Sprecherin für Stadtentwicklung der FDP-Bundestagsfraktion

Die Frage, wie unsere urbane Infrastruktur von morgen aussehen soll, lässt sich mit der Verengung auf ein konkretes Transportmittel nicht sinnvoll zuspitzen. Es gilt, Gewohnheiten genau so zu berücksichtigen, wie Lösungen den Praxistest bestehen und bezahlbar sein müssen. Dabei wird das Auto noch lange der wichtigste Bestandteil unseres Transportmixes bleiben. Deshalb kann eine moderne Mobilitätspolitik gegen das Auto nicht erfolgreich sein. Es wird vielmehr darauf ankommen, den Verkehr so zu verändern, dass er ökologisch und infrastrukturell zukunftsfähig wird. Die Initiative der Koalition zum Ausbau der Elektromobilität ist dafür ein bedeutender Schritt und muss konsequent fortgesetzt werden.

Anja Rillcke, 29, lebt und arbeitet in Köln als Fahrradkurierin. Mit Helm natürlich

Nein, denn sie würden mir fehlen, die orientierungslosen Blechbüchsen, die sich durch die Innenstädte quetschen. Welchen Spaß hätten wir Radfahrer, wenn es nicht diese kleinen Lücken gäbe, durch die wir durchgleiten? Mit einem Schlag sähen die Zentren von Köln oder Berlin aus wie verschlafene Vororte. Mal im Ernst: Das Problem kollabierender Innenstädte erledigt sich von selbst, sobald Bus, Bahn oder Fahrrad die bessere Alternative sind. Schnellstraßen für Radler, günstige Leihräder oder Fahrrad-Parkhäuser an den Bahnhöfen: Um die überforderte Infrastruktur anzupassen, braucht es Geduld und ideenreiche Stadtplaner, keine Bannmeilen für Autos.

Claudia Maiwald, 49, ist Geschäftsführerin des ökologischen Verkehrsclub VCD

Weniger Autos bedeuten weniger Lärm, weniger Feinstaub und weniger schwere Unfälle. Und dafür mehr Raum für Straßencafés, Boulevardplätze oder Stadtstrände – mehr Lebensqualität. Mit dieser Zukunftsvision sind verbunden: Radstreifen, also auf der Fahrbahn markierte Streifen, die Radlern vorbehalten sind, sollten flächendeckend eingeführt werden. Sie sind sicherer als angelegte Radwege. Für mich und den VCD ist in einer menschenfreundlichen Stadt die Infrastruktur fuß- und fahrradfreundlich. Der motorisierte Individualverkehr beschränkt sich auf ein Minimum. Alle Autos müssen also nicht raus aus der Stadt, ihre Anzahl muss nur auf ein menschengerechtes Maß reduziert werden.