Verhaftungen von Hongkonger Journalisten: Bleierne Paranoia

Das Sicherheitsgesetz hat Hongkongs Opposition mundtot gemacht. Doch die Sicherheitsbehörden wollen noch mehr: die Selbstzensur der Bevölkerung.

Der Chefredakteur der Zeitung Apple Daily wird von Polizisten abgeführt - alle tragen Mund-Nasenschutz

Ryan Law, Chefredakteurs der Zeitung Apple Daily, wurde am Donnerstag in Hongkong verhaftet Foto: ap

PEKING taz | Wer dieser Tage auf Carrie Lams Rede von vor knapp einem Jahr zurückblickt, kann nur staunen, mit welcher Chuzpe die Verwaltungschefin Hongkongs ihre Bevölkerung belügt. Das nationale Sicherheitsgesetz, das Lam damals beworben hat, werde nur eine „extrem kleine Minderheit“ betreffen und die „Freiheit der überwältigenden Mehrheit schützen“. Zudem werde es nicht rückwirkend greifen und weder die unabhängige Justiz noch die Pressefreiheit beeinträchtigen.

Längst ist das genaue Gegenteil von Lams Versprechen eingetreten. Das nationale Sicherheitsgesetz, das Peking der ehemals britischen Kronkolonie aufzwang, hat die politische Opposition Hongkongs mundtot gemacht und die führenden Köpfe der Demokratiebewegung ins Gefängnis verbannt.

Das einst offene Gesellschaftsklima ist einer bleiernen Paranoia gewichen, die jedem Journalisten entgegenschlägt, der mit Hongkongern über politische Themen sprechen möchte. Die Einzigen, die noch bereit zu reden sind, fordern Anonymität und verschlüsselte Kommunikation. Denn jede Aussage kann mittlerweile als Straftat ausgelegt werden – von „Subversion“ bis hin zur „Verschwörung mit ausländischen Kräften“.

Auch profane Zeitungsartikel sind mittlerweile schwerwiegende Verbrechen, wie die Verhaftungsaktion gegen die Chefetage der Zeitung Apple Daily am Donnerstag beweist. Die Razzia ist in erster Linie eine Warnung an die gesamte Journalistenbranche, sich künftig mit kritischer Berichterstattung zurückzuhalten.

Ziel der Sicherheitsbehörden: Selbstzensur

Das Ziel der Sicherheitsbehörden geht jedoch noch weiter: Sie wollen der gesamten Bevölkerung Hongkongs eine Selbstzensur einbläuen, die von den Menschen schon bald derart stark verinnerlicht wird, dass künftig keine Razzien mehr nötig sein werden.

Dann nämlich hat Pekings Staatsführung ihr Ziel erreicht: Wenn Hongkong zu einem zweiten Schanghai geworden ist; eine wirtschaftlich dynamische, doch politisch vollkommen autoritäre Großstadt – ohne Demons­tra­tionen, kritische Medien und offene Tischgespräche.

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Seit 2019 China-Korrespondent mit Sitz in Peking. Arbeitete zuvor fünf Jahre lang als freier Journalist für deutschsprachige Medien in Seoul, Südkorea. 2015 folgte die erste Buchveröffentlichung "So etwas wie Glück" (erschienen im Rowohlt Verlag), das die Fluchtgeschichte der Nordkoreanerin Choi Yeong Ok nacherzählt. Geboren in Berlin, Studium in Wien, Shanghai und Seoul.

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