Richter kippen Maskenpflicht an Schulen: Wildwest-Rechtsstaat

Zwei FamilienrichterInnen aus Weimar und Weilheim hebeln Corona-Regeln an Schulen aus – obwohl sie gar nicht zuständig sind.

Eine Frau hilft einem Kind eine Maske aufzusetzen.

Vor der Schule Masken auf, manche Richter sehen das anders Foto: Robert Michael/dpa

FREIBURG taz | Auch in der Justiz gibt es QuerdenkerInnen und Geistesverwandte. Zwei eigenwillige RichterInnen aus Weimar und Weilheim haben jüngst angeordnet, dass Kinder in der Schule keine Masken tragen müssen – weil diese das „Kindeswohl“ gefährden. Eine Korrektur der Beschlüsse ist kompliziert.

Von einer Kindeswohlgefährdung spricht man zum Beispiel, wenn ein Kind in der Familie missbraucht, geschlagen oder vernachlässigt wird. Dann kann einE FamilienrichterIn am Amtsgericht eingeschaltet werden. Sie kann Auflagen erteilen oder sogar den Eltern das Sorgerecht entziehen. Geregelt ist dies im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 1666).

Möglich sind nach dieser Vorschrift auch Maßnahmen gegenüber Dritten. So könnte zum Beispiel dem gewalttätigen Opa ein Hausverbot erteilt werden. Doch an Auflagen für LehrerInnen und Schulen hat der Gesetzgeber dabei sicher nicht gedacht.

So aber argumentierte nun der Familienrichter Christian Dettmar in Weimar (Thüringen). Durch die Pflicht zum Tragen von Mund-Nasen-Schutz in der Schule würden die Kinder „physisch, psychisch und pädagogisch geschädigt, ohne dass dem ein Nutzen für die Kinder oder Dritte gegenüberstehe.“

Richter befürchtet Verformung der Ohrmuscheln

Der Richter hat Anfang April einen 192-seitigen Beschluss verfasst, der offensichtlich auf Breitenwirkung zielt. Er zitiert dabei ausführlich drei maskenkritische GutachterInnen und kommt zum Ergebnis, dass ein Nutzen von Mund-Nasen-Bedeckungen nicht belegt sei. Stattdessen, so die Argumentation, drohten den Kindern psychische Probleme, Zahnfleischentzündungen und eine Verformung ihrer Ohrmuscheln.

Zwar gibt es landesrechtliche Anordnungen zum Tragen von Masken in der Schule, das räumte auch Richter Dettmar ein. Doch die Regeln seien ungeeignet und damit unverhältnismäßig und verfassungswidrig.

Dass der Familienrichter sich hier weit jenseits seiner Zuständigkeit bewegt, ist für JuristInnen offensichtlich. Denn Eingriffe des Staates in Rechte der BürgerInnen prüfen eigentlich die Verwaltungsgerichte. Das gilt auch für die Corona-Verordnungen und Allgemeinverfügungen der Länder.

So hat etwa der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim schon im Oktober 2020 auf Klage von zwei Schülern die Maskenpflicht im Unterricht geprüft und als wirksames Mittel akzeptiert. Der VGH verwies dabei auf das Robert Koch-Institut (RKI), die Gesellschaft für Virologie und die Heidelberg-Studie zum Infektionsgeschehen bei Kindern.

QuerdenkerInnen klagen gezielt

Doch der Beschluss des Familienrichters aus Weimar zieht inzwischen Kreise. Am dortigen Amtsgericht sind bereits 22 ähnliche Anträge von Eltern anhängig, für einige von ihnen wird wieder Richter Dettmar zuständig sein. Und am Amtsgericht Weilheim (Bayern) hat am Dienstag eine Familienrichterin entschieden, dass zwei Realschüler in der Schule keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen müssen. Sie berief sich in ihrem 27-seitigen Beschluss ausdrücklich auf die Argumentation ihres Thüringer Kollegen.

Diese Entwicklung fällt nicht vom Himmel. Schon seit Wochen gibt der pensionierte Richter Hans-Christian Prestien auf Youtube Tipps, wie Eltern mit Hilfe von Familienrichtern die Maskenpflicht aushebeln können. Und in Thüringen gab es nach Informationen der Thüringer Allgemeinen sogar eine Telegram-Gruppe von maskenkritischen Eltern, die mit Hilfe der Anwältin Yvonne Peupelmann die Klage beim Amtsgericht Weimar gezielt planten. So war bekannt, für welche Anfangsbuchstaben Richter Dettmar zuständig ist, deshalb wurden extra antragsstellende Eltern mit passenden Nachnamen gesucht.

Doch was passiert nun mit den Beschlüssen von Weimar und Weilheim? Normalerweise werden Fehlurteile und Kompetenz-Überschreitungen von RichterInnen in der nächsten Instanz korrigiert. Doch das ist hier nicht so einfach.

Ein Beschluss im familiengerichtlichen Eilverfahren ist unanfechtbar, wenn er ohne mündliche Verhandlung erfolgte. Das Land als Schulträger kann dann nur eine mündliche Verhandlung beantragen, in der das Eilverfahren wiederholt wird – allerdings vor dem gleichen Richter. Erst anschließend könnte die nächste Instanz angerufen werden.

Fehlurteile und Kompetenzüberschreitung

Das Land Thüringen will darauf aber nicht warten. Es hat gegen den Beschluss von Richter Dettmar sofort das Oberlandesgericht Jena eingeschaltet. Begründung: Es handele sich um einen „Scheinbeschluss“ – für den die üblichen Regeln des Prozessrechts offensichtlich nicht gelten sollen. Das passt zum Thüringer Wildwest-Rechtsstaat.

Ein zusätzliches Problem bringt Dettmars Beschluss, weil er die Maskenpflicht nicht nur im Fall der zwei 12- und 14-jährigen Jungs beseitigte, um die es im Verfahren eigentlich ging, sondern auch für alle MitschülerInnen, die an den beiden Schulen unterrichtet werden. Auch dieser Exzess ist allem Anschein nach rechtswidrig – aber zunächst wirksam. Die Landesregierung akzeptiert Dettmars Beschluss allerdings nur bezüglich der beiden Jungs. „Bei allen übrigen Schülern werden die infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen weiter angewandt“, hieß es im Erfurter Bildungsministerium auf Nachfrage. Das heißt: die Maskenpflicht gilt – trotz Gerichtsbeschluss – an den betroffenen Schulen vorerst weiter.

Zugleich stellten BürgerInnen erste Strafanzeigen gegen Richter Dettmar wegen Rechtsbeugung. Die Staatsanwaltschaft Erfurt hat mit der Vorprüfung begonnen. Vermutlich wird aber kein Verfahren gegen ihn eröffnet. Denn eine strafbare Rechtsbeugung läge nur vor, wenn der Richter das Recht vorsätzlich falsch angewandt hat. Das dürfte jedoch kaum nachweisbar sein. Angesichts seines missionarischen Eifers ist eher davon auszugehen, dass er seinen Beschluss für richtig hält und alle KritikerInnen für fehlgeleitet.

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