Die Wahrheit: Ein Minister sieht rot

Traditionell stürzen irische Regierungen über Banalitäten – zum Beispiel über Kinderschuhe. Weil es keine Banalitäten sind.

Kann eine Regierung über Kinderschuhe stolpern? In Irland schon. Es geschah 1982, die Koalitionsregierung aus Fine Gael und der Labour Party beschloss, Mehrwertsteuer auf Kinderschuhe zu erheben, um den Haushalt aufzubessern. Eine Reihe parteiloser Abgeordneter, von denen die Mehrheit abhing, lehnten den Haushaltsplan ab, die Regierung stürzte.

Nach den fälligen Neuwahlen übernahm Fianna Fáil im Februar 1982 die Macht, aber weil die Partei den Haushalt durch drastische Kürzungen aufstocken wollte, erging es ihr wie den Vorgängern. Die unabhängigen Abgeordneten entzogen ihr die Unterstützung, im November musste erneut gewählt werden, und die alte Koalition übernahm.

Das ist zwar fast vierzig Jahre her, aber neulich kochte es wieder hoch. Irlands Finanzminister Paschal Donohoe von Fine Gael antwortete auf die Frage, ob Schuhläden trotz des Lockdowns öffnen dürften, man könne Kinderschuhe online kaufen. Der Radioreporter Gavin Jennings machte daraufhin den Fehler, Donohoe daran zu erinnern, dass seine Partei „eine besondere Geschichte in Bezug auf Kinderschuhe“ habe.

Der eigentlich sanftmütige Finanzminister rastete aus. „Die Frage suggeriert, dass meine Partei und ich keine Ahnung von den gesundheitlichen Bedürfnissen junger Kinder haben“, tobte er. „Das weise ich entschieden zurück.“ Außerdem sei er damals erst sieben Jahre alt gewesen und habe nur geringes Interesse an Haushaltsplänen gehabt. Raidió Teilifís Éireann (RTÉ) entschuldigte sich für den vorlauten Reporter. Was dem wohl eingefallen sei! Den Finanzminister mit einer unangenehmen Frage zu belästigen! So etwas könnte ein Sensibelchen wie Donohoe aus der Bahn werfen und zu fatalen Entscheidungen verleiten. Am Ende erhebt er womöglich Steuern von Apple.

Kinderfüße wachsen ziemlich schnell

RTÉ hat umgehend eine Direktive erlassen, wonach Politikern nur Fragen gestellt werden dürfen, die sie selbst formuliert haben. Dadurch sollen die Nerven der Staatsdiener in diesen nervösen Zeiten geschont werden. Das gilt aber nicht für Mary Lou McDonald. Die Sinn-Féin-Präsidentin, die nicht viel älter als Donohoe ist, muss sich ständig für Anschläge der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) rechtfertigen, die kurz nach ihrer Geburt passiert sind.

Für Donohoe hatte das Interview ein peinliches Nachspiel. Sein eigener Chef fiel ihm in den Rücken. Am selben Tag entschied Premierminister Micheál Martin nämlich, dass Kinderschuhe zur Grundversorgung gehören. Eltern können Termine buchen, um die Füße der Kleinen vermessen zu lassen. Die wachsen nämlich ziemlich schnell, so hat ein Expertengremium für Pädiatrie festgestellt.

Im Grunde ist die Debatte überflüssig. Es ist noch gar nicht so lange her, dass irische Kinder barfuß zur Schule gehen mussten, weil die englische Armee das Leder irischer Zwergochsen für ihre Armada brauchte. Oder war es das Holz irischer Gummibäume? Egal. Die Engländer sind schuld.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.