Parität in den Parlamenten: Angst vor der Identitätsdebatte

Das Karlsruher Votum zu Paritätsgesetzen zeigt: Vorgaben für Parlamente mit gleich vielen männlichen wie weiblichen Abgeordneten bleiben ein Wunschtraum.

Einsame Abgeordnete neben Stuhl mit Zettel Bitte Frei Lassen auf einem Stuhl im Plenarsaal des Deutschen Bundestages

Ein Aktionsbündnis forderte Parlamente mit gleich vielen männlichen wie weiblichen Volksvertretern Foto: Ipon/imago images

Das Bundesverfassungsgericht hat am Dienstag aufgezeigt, wie groß seine Bedenken gegen Paritätsgesetze sind. Dies war nicht das letzte Zucken des Patriarchats. Vielmehr entschied der zuständige Zweite Senat mit fünf Richterinnen und nur drei Richtern unter Vorsitz einer Frau (Doris König). Viel weiblicher wird das Bundesverfassungsgericht wohl nicht mehr werden.

Es ging um die Frage, ob Wahlen nur dann zulässig sind, wenn ein Paritätsgesetz sicherstellt, dass am Ende gleich viele Männer wie Frauen zur Wahl stehen. Eine Münchener Initiative – das Aktionsbündnis Parité – hatte 2016 zunächst in Bayern gegen die Untätigkeit des dortigen Landtags geklagt. 2017 griff die Initiative dann die Bundestagswahlen an. Wie schon das bayerische Verfassungsgericht konnte nun auch das Bundesverfassungsgericht keine verfassungswidrige Untätigkeit des Gesetzgebers erkennen.

Zu groß ist die Gestaltungsfreiheit der Parlamente. Die Unterlassungsklagen galten auch unter Parité-BefürworterInnen von vornherein als chancenlos. Dagegen gelang es in Thüringen und Brandenburg tatsächlich, Paritätsgesetze einzuführen. Um so größer dann der Schock, als beide Gesetze im Vorjahr kurz hintereinander von den Landesverfassungsgerichten in Weimar und Potsdam kassiert wurden, unter anderem weil der Eingriff in die Selbstbestimmung der Parteien bei der KandidatInnenaufstellung zu groß sei.

Obwohl beide Landesverfassungen ausdrückliche Aufträge zur Förderung der Gleichberechtigung enthielten, genügte dies den RichterInnen nicht. So bestürzend die Urteile für Parité-BefürworterInnen waren, hatten sie doch auch Kompromiss-Charakter. Während die meist rechtsradikalen Kläger Paritätsgesetze als absolut verbotenen Verstoß gegen das Demokratieprinzip sehen, räumten die RichterInnen zumindest die Möglichkeit einer Änderung der jeweiligen Landesverfassung ein.

Zweidrittelmehrheit erforderlich

Das Ziel blieb also erreichbar, nur die Hürde wurde höher. Erforderlich ist nun eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag – die angesichts der Ablehnung von CDU, FDP und AfD bis auf weiteres jedoch unerreichbar scheint. Zuletzt ruhten die Hoffnungen der Parité-BefürworterInnen deshalb auf dem Bundesverfassungsgericht. Es wurde auf ein starkes Signal gehofft, neue Anläufe in Bund und Ländern zu unternehmen.

Ein solches Signal war die am Dienstag veröffentlichte Karlsruher Entscheidung nun aber sicher nicht. Im Gegenteil: Es wurden fast nur Argumente gegen Paritätsvorgaben aufgezählt, verbunden mit dem Vorwurf an die Klägerinnen, sie hätten sich damit nicht genug auseinandergesetzt. Selbst wenn es nach der Bundestagswahl ein (derzeit unwahrscheinliches) rot-rot-grünes Bündnis gäbe und dieses sich auf ein Paritätsgesetz für den Bundestag einigen würde, müsste man zur Vorsicht raten.

Die Gefahr, dass ein derartiges Gesetz vom Bundesverfassungsgericht gekippt würde, ist ziemlich hoch. Nach den Erfahrungen von Thüringen und Brandenburg müsste man wohl dazu raten, zunächst das Paritätsziel im Grundgesetz zu verankern. Doch auch auf Bundesebene ist die erforderliche Zweidrittelmehrheit weit entfernt. Warum aber sind die VerfassungsrichterInnen so zögerlich?

Parteiliche Quotenregelung

Vermutlich hat dies weniger mit der Frauenfrage zu tun als mit grundsätzlichen Einwänden gegen identitätspolitische Vorgaben an die Zusammensetzung von Parlamenten. Es besteht wohl die Befürchtung, ein Parlament werde bald nur noch dann als legitim anerkannt, wenn es spiegelbildlich zur Gesellschaft zusammengesetzt ist. Und natürlich könnten nach den Frauen auch MuslimInnen, ArbeiterInnen oder Nicht-AkademikerInnen verlangen, entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil im Parlament vertreten zu sein.

Die Aushandlungsprozesse über die gruppenspezifische Zusammensetzung des Parlaments würde zu einem neuen ständigen Unruheherd und Legitimationsproblem. Es ist gut nachvollziehbar, dass man diese neue Metaebene der Politik, bei der vor allem darüber diskutiert wird, wer etwas beschließt, erst gar nicht eröffnen will. Und die Lage ist auch nicht so, als ob Paritätsgesetze die einzige Möglichkeit wären, den Frauenanteil in Parlamenten zu erhöhen.

Ausgehend von den Grünen treten immer mehr Parteien bei Wahlen mit quotierten Listen an. Auch die Linke hat eine fünfzig-Prozent Quote, die SPD sichert 40 Prozent der Listenplätze für Frauen. Sogar die CDU bewegt sich und will bis 2025 eine Fünfzig-Prozent-Quote einführen. Frauen (und Männer) haben also genügend Möglichkeiten, Parteien mit hoher Frauenrepräsentation zu wählen. Am Ende bliebe vielleicht nur die AfD als offen frauenignorante Partei.

Der Frauenanteil der AfD-Fraktion im Bundestag beträgt derzeit nur elf Prozent. Hieran wird sich ohne ein Paritätsgesetz wohl so schnell nichts ändern. Aber ist es so wichtig, den Frauenanteil in der AfD-Fraktion zu erhöhen? Ist es eine der drängendsten Forderungen, mehr Alice Weidel und mehr Beatrix von Storch im Bundestag zu haben?

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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