Entwurf des Berliner SPD-Wahlprogramms: Ach, du dickes B

Die SPD hat ein Wahlprogramm entworfen. Wohin steuern die GenossInnen unter Spitzenkandidatin Franziska Giffey bei der Abgeordnetenhauswahl?

Will im Herbst ins Rote Rathaus einziehen: SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey Foto: picture alliance/dpa | Fabian Sommer

Wohnen: Symbolpolitik Tempelhofer Feld

Die Partei möchte „bürgerschaftliches Engagement würdigen“, denn dies mache Berlin „sozialer, solidarischer, lebens- und liebenswerter“. Was sich wie ein Bekenntnis zum Tempelhofer Feld anhört, wird 19 Seiten danach ins Gegenteil verkehrt, wo es heißt: „Die SPD steht dem Wohnungsbau auf ausgewählten Randflächen des Tempelhofer Feldes offen gegenüber.“

Überraschend ist das nicht, schon lange hält sich in der Partei der Wunsch, das Ergebnis des Volksentscheids von vor sechs Jahren zu revidieren. 740.000 Menschen hatten damals für das freie Feld gestimmt, mehr als doppelt so viele Stimmen, wie die SPD bei der Abgeordnetenhauswahl 2016 einheimsen konnte. Womöglich ist den Strategen der Partei aufgefallen, dass ihr Wunsch auf ein demokratisches Legitimationsproblem stößt; plädiert wird daher „für einen zweiten Volksentscheid“, auch wenn unklar ist, durch wessen herrschaftliches Engagement dieser zustandekommen könnte.

Die Bebauung des Feldes nutzt die SPD als Symbol, um sich als konsequenteste Vertreterin des Neubaus zu präsentieren. 70.000 Wohnungen sollen die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften bis 2030 errichten. Als Ziel stehen bis 2026 400.000 Wohnungen in öffentlicher Hand, die auch durch Ankauf erreicht werden sollen, sowie eine halbe Million für die 2030er Jahre. Neu oder ambitionierter als die bisherige Regierungspolitik ist das nicht.

#Herzenssache Berlin heißt der 100-seitige Entwurf eines Wahlprogramms, mit dem die Berliner SPD in den Wahlkampf um die Abgeordnetenhauswahl im Herbst ziehen will.

„Die fünf B’s für Berlin“, die die neuen Landesvorsitzenden Raed Saleh und Franziska Giffey bereits bei ihrer Wahl Ende November als Marschrichtung ausgegeben haben, stehen auch noch mal prominent in einer von Giffey und Saleh verfassten „Präambel“: „Bauen – Bildung – Beste Wirtschaft – bürgernahe Verwaltung und Berlin in Sicherheit“.

Im April soll das finale Programm verabschiedet werden. Der Entwurf wurde bisher im Landesvorstand diskutiert. Jetzt geht er durch die innerparteilichen Ausschüsse. (akl)

Ihre Hand streckt die Partei nach der privaten Wohnungswirtschaft aus, die als „unverzichtbar“ bezeichnet wird. Mit ihr soll ein Bündnis geschlossen, letztendlich aber das seit Jahren bestehende „Berliner Modell der kooperativen Baulandentwicklung“ fortgeführt werden, in dem private und öffentliche Hand zusammenarbeiten. Auch sonst nicht viel Neues: Effiziente Genehmigungsverfahren durch entsprechende Kapazitäten in der Verwaltung sollen den Neubau beschleunigen. Vorgesehen ist auch ein „Anreizsystem für zügige Planungsverfahren“, was immer das im Detail heißen mag.

Wenig Erhellendes fällt der Partei bei der Mietenpolitik ein. Ideen, wie es nach dem Mietendeckel weitergeht – etwa die eines Wohnungskatasters –, stehen nicht im Programm. Verbieten will man allerdings Eigenbedarfskündigungen bei laufenden Mietverträgen in umgewandelten ehemaligen Mietwohnungen; ebenso sollen Schlupflöcher bei Share Deals geschlossen werden, bei denen Investoren nur Anteile an Häusern erwerben, um Steuern zu vermeiden. Erik Peter

Bildung: Blinker nach links

Franziska Giffey ist derzeit hauptberuflich eigentlich Bundesfamilienministerin – in Berlin wird sie gleichwohl eher schon in ihrer Rolle als Spitzenkandidatin der SPD für die Abgeordnetenhauswahl wahrgenommen. Aber tatsächlich ist Familienpolitik gerade ihr Kerngebiet – welche Ideen schreibt sie den GenossInnen ins Wahlprogramm?

Neues enthält das kurze Kapitel „Gute Kita für alle“ eher nicht. Aufmerken lässt einzig die Zeile: „Wir fördern die praxisintegrierte vergütete Ausbildung.“ Die schulische Ausbildung zur ErzieherIn wird in Berlin nicht vergütet – man muss sie sich also leisten können. „Wenn die SPD da nachbessern will, begrüßen wir das“, sagt die Vorsitzende der Berliner Bildungsgewerkschaft GEW, Doreen Siebernik. Man werde aber „sehr darauf schauen“, ob das nicht zulasten der fachlichen Theorieausbildung gehe. Anders gesagt: Wenn es hier eigentlich um billige Arbeitskräfte gehen sollte, um den Fachkräftemangel zu mildern, begrüßt man es nicht.

Heftig nach links blinkt die SPD im Kapitel „Gute Schule“. So hardlinermäßig sich die neue Landeschefin Giffey etwa in innenpolitischen Fragen zu Clankriminalität äußert – und damit doch nur ihren Stil als ehemalige Neuköllner Bezirksbürgermeisterin fortsetzt –, so gegenteilige Töne gibt es in der Bildungspolitik. Die SPD will „die schrittweise Einführung eines landeseigenen Unternehmens Berliner Schulreinigung (BeSchuR)“ prüfen, also nichts weniger als eine Rekommunalisierung. Eine berlinweite BürgerInneninitiative fordert das bereits.

Die Grünen dürften sich über „die Idee der Campus-Schule“ freuen, die man „mit Leben füllen“ will. Stefanie Remlinger, Bildungsexpertin der Berliner Grünen-Fraktion, forderte in einem Gastbeitrag für die taz genau das, nämlich dass die Schulen stärker mit Kiez-Initiativen und Vereinen zusammenarbeiten müssten, um gerade bildungsfernere Kinder zu erreichen.

Die Stelle des Polizei- und Bürgerbeauftragten beim Parlament soll „weiterentwickelt“ werden zu einer „unabhängigen Beschwerdestelle“ für Diskriminierungsvorfälle an Schulen. Bisher gibt es nur eine Beschwerdestelle direkt bei der Bildungsverwaltung. Das zu ändern ist seit Längerem ein Anliegen von Anti-Rassimus-Initiativen – und übrigens auch von der Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch. Falls eine von beiden „nur“ Bildungssenatorin wird, sind sie sich in dem Punkt schon mal einig. Anna Klöpper

Innere Sicherheit: Bodycams sollen her

Besonders viel Platz in dem Programmentwurf nimmt der Teil „Berlin in Sicherheit“ ein. Große Sprünge sind damit aber nicht verbunden: Viele, viele Zeilen werden darauf verwendet, die bisherige, teilweise gegen die SPD durchgesetzte Koalitionspolitik zu loben und fortzuschreiben: von Neueinstellungen bei der Polizei über das Versammlungsfreiheitsgesetz, den Polizeibeauftragten bis hin zur Beschlagnahmung von Immobilien, die mit kriminellem Geld erwirtschaftet wurden.

Zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt und Gewalt im öffentlichen Raum wird ein Landespräventionsgesetz vorgeschlagen; ein Veranstaltungssicherheitsgesetz soll verbindliche Regelungen zum Schutz von Be­su­che­rIn­nen formulieren.

Die SPD tritt für Bodycams und eine engere Verzahnung zwischen Landes- und Bundesverfassungsschutz ein. In einem SPD-geführten Berlin gibt es keinen Platz für „gewalttätige Übergriffe, illegale Autorennen, gewaltorientierte Hausbesetzungen, Drogenhandel und Sperrmüll“, also auch kein Verständnis für Aktionen gegen spekulativen Leerstand oder eine Entkriminalisierung von Rauschmitteln. Erik Peter

U-Bahn-Fahren macht der SPD Spaß: Giffey unterwegs mit ihrem Co-Vorsitzenden Raed Saleh (l.) Foto: picture alliance/dpa | Wolfgang Kumm

Verkehr: Mehr U-Bahn-Kilometer

Die Liberalen freuen sich schon: „Dass die SPD den U-Bahn-Bau zukünftig priorisieren will, ist eine richtige Erkenntnis“, sagt der infrastrukturpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Henner Schmidt. „Die rot-rot-grüne Regierungszeit waren leider fünf verlorene Jahre für den Ausbau.“ Tatsächlich setzt sich der programmatische Entwurf der SPD in Sachen Verkehr hier am schärfsten von der grün geführten Senatsverwaltung ab. Während die zumindest nach außen keine allzu große Begeisterung für den Neubau von U-Bahn-Strecken erkennen lässt und sich zu Machbarkeitsstudien eher drängen ließ, heißt es bei Giffey/Saleh: „Wir beginnen umgehend mit den Planungen von vier Linienverlängerungen bei der U-Bahn.“ Die U2 in Pankow, die U3 in Zehlendorf, die U8 ins Märkische Viertel und die U7 zum BER – überall sollen nach dem Willen der SPD zusätzliche U-Bahn-Kilometer entstehen.

Ungeachtet der Tatsache, dass das Bauen unter Tage nicht nur vergleichsweise teuer und langwierig ist, sondern jetzt auch noch im Verdacht steht, dem Klima mehr zu schaden, als zu nutzen. In Anlehnung an „i2030“, das laufende Ausbauprogramm im regionalen Schienenverkehr, spricht die SPD von „u2030“.

Explizit abgelehnt wird eine City-Maut, um den Autoverkehr in der Innenstadt zu reduzieren. Bei dem vom derzeitigen Regierenden Bürgermeister promoteten „365-Euro-Ticket“, mit dem alle ein Jahr lang ÖPNV fahren können, will die SPD „an der Finanzierbarkeit arbeiten“ – ein „Pflichtticket“ solle es keinesfalls geben. Den privaten Autoverkehr erwähnt das Dokument kaum, was tendenziell auf dessen Schonung hinausläuft. Elektrischer soll er aber werden: „Bis 2030 wollen wir mindestens 20.000 zusätzliche öffentliche Ladepunkte schaffen.“ Das wären ungefähr 18.500 mehr als heute.

Was den Klimaschutz angeht, wundern sich die Grünen über den Programmentwurf: „Ich habe mich bei der Lektüre gefragt, wo die SPD über den Status quo hinausgeht“, so der klimaschutzpolitische Fraktionssprecher Georg Kössler. „Da fehlt es an Ambition. Ich betrachte es als Angebot, künftig auch wieder mit der CDU zusammenzuarbeiten.“

Den Ausstoß von Klimagasen will die SPD „bis 2030 um 65 Prozent reduzieren und Berlin bis spätestens 2050 zu einer klimaneutralen Stadt machen“. Letzteres Ziel gilt bereits, und die Erhöhung der 2030-Marke von 60 auf 65 Prozent bleibt hinter dem zurück, was derzeit in der Koalition als Teil des Pakets zur Bewältigung der „Klimanotlage“ diskutiert wird – aber nicht verabschiedet, weil die SPD auf der Bremse steht. Ähnlich verhält es sich mit der Dekarbonisierung der Wärmeerzeugung, die das SPD-Papier bis 2050 anstrebt (notwendigerweise, sonst gäbe es ja keine Klimaneutralität).

Eine Ansage machen Giffey und Saleh im Klima-Kontext: Berlins Kleingärten seien „unverzichtbare Stadtoasen und Selbstversorgungsmöglichkeiten“. Sie für Wohnungsbau oder Gewerbe zu opfern „schließen wir aus“. Claudius Prösser

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