ZDF-Korrespondent über Gewalt am Kapitol: „Einer sagte ‚You are next‘“

Elmar Theveßen stand mit seinem ZDF-Team hinter dem Kapitol, als hunderte Trump-Anhänger in den Pressebereich drängten. Auf die Polizei vertraute er lieber nicht.

Die Überreste von zerstörtem Kameraequipment liegen auf einem Haufen in der Nähe des Kapitols

Trauriger Anblick von dem, was von der Pressefreiheit in den USA übrig geblieben zu sein scheint Foto: José Luís Magana/ap

taz: Herr Theveßen, am Mittwoch wurden Sie und Ihr Kamerateam am Kapitol in Washington von Rechtsextremen angegriffen. Sie waren dort, um für das ZDF über die Demonstrationen zu berichten. Wann wurde Ihnen klar, dass die Lage eskaliert?

Elmar Theveßen: Wir standen an der Rückseite des Kapitols, dort ist eine asphaltierte Fläche mit Strom- und Videoanschlüssen für die TV-Berichterstattung. Wir standen dort mit Kollegen von Associated Press und einigen asiatischen Medien. Wir hatten bereits den Tag über berichtet und die Menschenmassen kommen sehen. Wir hatten jedoch zunächst entschieden, dass wir dort, wo wir stehen, erst mal sicher sind.

Dann hat die Polizei auf der anderen Seite begonnen zu räumen. Man hörte Blendgranaten und sah Tränengasschwaden. Das hat offenbar einige Hundert oder auch einige Tausend auf unsere Seite herübergedrängt. Und wir waren die Ersten, die ihnen sozusagen im Weg standen. Ich merkte, wie auf einmal eine große Schar von Protestlern auf uns zukam, einige vermummt. Die waren anscheinend alkoholisiert und haben ihre Wut sofort an uns ausgelassen.

Konnten Sie diese Angreifer bestimmten Gruppen zuordnen?

Jahrgang 1967, leitet seit März 2019 das ZDF-Studio in Washington, D.C.

Ich glaube das Abzeichen der Proud Boys gesehen zu haben, eindeutig waren darunter aber Abzeichen von Milizengruppen. Nach der Aufforderung des Präsidenten, auf der Pennsylvania Avenue aufzumarschieren, waren ja bereits große Gruppen von Milizen zu sehen gewesen.

Was passierte dann?

Sie schrien Dinge wie „Feinde des Volkes“, „Volksverräter“, „Fake News“. Sie haben die Metallbarrieren um uns herum umgeworfen, Equipment an sich gerissen, Stative auf den Boden geworfen und uns bedrängt. Wir haben dann begonnen, zusammenzupacken. „You are next“, sagte einer. Wir haben das ernst genommen, unsere Rucksäcke geschnappt und sind gegangen. Wir wurden allerdings nicht verfolgt und mussten auch nicht rennen. Mein Kameramann ist geschubst worden, ich selbst wurde nicht körperlich angegangen.

Haben Sie etwas Ähnliches schon mal erlebt?

Ich selbst nur in Deutschland Anfang der 90er, als ich etwa über die FAP berichtet habe, also Neonazis, die sich auch manchmal gegen die Medien richteten. Als stellvertretender ZDF-Chefredakteur habe ich mitbekommen, wenn Kollegen zum Beispiel in Sachsen oder Nordrhein-Westfalen angegriffen wurden.

Wie kam es, dass Sie und die anderen Teams am Kapitol ungeschützt waren?

Mich hat das gewundert, aber am Ende dann auch nicht überrascht. Im Sommer haben wir bei den „Black Lives Matter“-Protesten schon gesehen, dass die Polizei in aller Rücksichtlosigkeit auch gegen Medienvertreter vorgegangen ist. Da macht es keinen Unterschied, ob man als Presse zu erkennen ist. Allerdings kamen wir am Mittwoch in der Annahme, dass unser Standort innerhalb des Sicherheitsbereichs liege, dass wir also von den Demonstranten getrennt seien.

Als wir ankamen, stellte sich heraus: Die Trennlinie der Polizei war viel dichter ums Kapitol gezogen als gedacht. Da war mir schon klar, dass wir angesichts der Mengen von Menschen auf die Hilfe der Polizei nicht vertrauen konnten. Das sieht die Polizei hier übrigens auch nicht als ihre Aufgabe an, sondern als die der Journalisten. Wir haben hier beim ZDF-Studio deshalb immer eine Schutzausrüstung dabei. Schlagsichere Westen mit der Aufschrift „Press“, Schutzbrillen, verstärkte Baseballmützen und Helme. Allerdings werden wir unser Sicherheitskonzept mit Blick auf den Inauguration Day auch noch mal nachjustieren.

Wie haben Sie selbst die Entwicklung der Stimmung gegenüber der Presse in den letzten zwei Jahren in den USA wahrgenommen?

Als massiv verschlechtert. Ich war in den 90ern schon mal hier, damals gab es so gut wie keine Angriffe, weder verbal noch physisch. Jetzt bemerke ich, dass die Verachtung gegenüber den Medien, vor allem CNN, MSNBC, aber auch anderen sehr groß ist. Teilweise ist es schlicht Hass. Wir haben bei Trump-Veranstaltungen erlebt, wie Trump die Stimmung so aufheizte, dass man, wenn man dort stand, stark beschimpft wurde oder ausgepfiffen. Das Gefühl, dass die Stimmung auch mal handgreiflich werden würde, war also schon dagewesen.

Sie finden also ebenfalls, die Ereignisse vom Mittwoch hätten vorausgesehen werden müssen.

Absolut. Ich habe über Extremismus in jeder Form und Farbe berichtet und ich finde es hanebüchen, wie naiv die Sicherheitsbeamten hier vorgegangen sind. Man kannte die Klientel, die kommen würde. Ist es Gleichgültigkeit, Nachlässigkeit – oder sogar Absicht? Dafür gibt es keinen Beweis. Der Polizeichef sagt, dass man auf Deeskalation habe setzen wollen. Das könnte natürlich eine Reaktion auf die unverhältnismäßige Härte bei BLM gewesen sein – aber es war in jedem Falle falsch, naiv und unprofessionell.

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