Rätseln um Verbleib von Alibaba-Gründer: Wo ist Jack Ma?

Seit Oktober ist Chinas mächtigster Unternehmer nicht öffentlich aufgetreten. Viele mediale Spekulationen entbehren jedoch jeder Grundlage.

Jack Ma sitzt in einem Sessel auf einer Bühne

Alibaba-Gründer Jack Ma bei der Weltkonferenz für Künstliche Intelligenz im September 2018 Foto: Aly Song/reuters

PEKING taz | Mehr als ungewöhnlich ist es schon: Chinas reichster Unternehmer Jack Ma ist auf keiner der angekündigten Pflichtveranstaltungen zu sehen – weder bei der Jahreskonferenz der Handelskammer von Zhejiang, noch beim Finale seiner höchstpersönlich ins Leben gerufenen Talentshow „Africa's Business Heroes“. Dabei hatte der 56-Jährige noch auf Twitter hinausposaunt, wie stark er sich auf den Fernsehdreh freuen würde. Apropos Twitter: Mas letzter Post liegt dort bereits knapp drei Monate zurück.

Seit vergangenem Oktober ist der Gründer des Alibaba-Imperiums nicht mehr öffentlich aufgetreten. Dabei liebt der exzentrische Entertainer durchaus seine pompöse Selbstinszenierung, die von Karaoke-Konzerten bis hin zu „Michael Jackson“-artigen Tanzeinlagen reicht. Viele Medien spekulieren seither mehr oder weniger offen über den Verbleib Jack Mas. Das spektakulärste Narrativ lautet, er sei von der kommunistischen Staatsführung „aus dem Verkehr“ gezogen worden.

Fakt ist: Jack Ma, der mit seinem e-commerce-Konglomerat Alibaba und dem Mikrobezahldienst Alipay die chinesische Gesellschaft nachhaltig verändert hat, befindet sich derzeit unter strenger Beobachtung der Regierung. Dabei stand er noch vor wenigen Monaten vor dem Coup seiner Karriere: Der in Hongkong und Shanghai geplante Aktiengang seines Fintech-Unternehmens Ant Group sollte mit 34 Milliarden US-Dollar der größte in der Geschichte werden. Im letzten Moment jedoch haben die Behörden die Börsennotierung auf unbestimmte Zeit verschoben.

Der Auslöser liegt höchstwahrscheinlich in einer überaus beachtenswerten Brandrede Jack Mas begründet, die dieser Ende Oktober während einer Wirtschaftsmesse in Shanghai hielt: Dabei sprach der Chinese von der „Pfandleihmentalität“ der traditionellen Großbanken des Landes und griff die Finanzaufsichtsbehörden ganz direkt an. „Wir können die Zukunft nicht mit den Mitteln von gestern regulieren“, sagte Ma – während die Vorstände ebenjener Finanzaufsichtsbehörden in der ersten Reihe des Publikums saßen. Jener Affront sollte nicht ohne Folgen bleiben.

Ant Group bekam Privilegien entzogen

Seither ermittelt die chinesische Regierung gegen Alibaba, es geht unter anderem um die Monopolstellung, die das Internetunternehmen aufgrund seiner riesigen Sammlung an Konsumentendaten verfügt. Zudem bekam die zum Firmenimperium gehörende Ant Group einige Privilegien entzogen: Über einer halben Milliarde Kunden hat Ant in der Vergangenheit bereits auf Grundlage seiner Konsumentendaten Mikrokredite gegeben, wobei der Fintech-Konzern trotz hoher Profite nur als Mittelsmann agierte. Die tatsächlichen Kreditrisiken wurden an traditionelle Banken weitergegeben. Damit soll jetzt Schluss sein: Ant wird künftig als gewöhnliche Bank reguliert und nicht mehr als Tech-Unternehmen. Am Mittwoch kam von den USA aus noch hinzu, dass dort Präsident Trump ein Dekret zum Verbot von acht chinesischen Apps – darunter Alipay – erließ, was Peking wiederum prompt „Schikane“ nannte.

Der Fall Jack Ma jedenfalls wird fast ausschließlich durch das Prisma des rebellischen Unternehmers betrachtet, der letztendlich zu mächtig für den politischen Paranoiker Xi Jinping geworden ist. Dabei liegt die Angelegenheit durchaus diffiziler. Nicht wenige Politiker oder Leitartikler – ganz gleich ob in Europa oder den Vereinigten Staaten -, die Jack Ma als reines Opfer seines politischen Systems darstellen, wären gleichzeitig heilfroh, wenn die umfassende Wirkungsmacht der Tech-Gurus aus dem Silicon Valley á la Mark Zuckerberg eingeschränkt würde.

Das nun angeworfene Spekulations-Orakel erinnert zudem auffällig an jene zwei Wochen im September 2012, als Xi Jinping „von der Bildfläche verschwunden“ sei, wie etliche Medien einstimmig berichteten. Von einer „Rückenverletzung beim nächtlichen Schwimmen“ kolportierte die Nachrichtenagentur Reuters. Unseriöse Kollegen griffen die Gerüchte einer chinesischsprachigen Homepage aus den USA auf, demnach der damals 59-Jährige Opfer eines „absichtlich herbeigeführten Autounfalls“ wurde. Nur etwa zwei Monate vor Xis erwarteter Wahl zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas schien ein Machtkampf hinter den Kulissen durchaus plausibel.

Und natürlich begünstigt ein solch intransparentes System wie das chinesische massiv Verschwörungstheorien. Von der Geschichtsschreibung in den Schulbüchern über wissenschaftliche Publikationen zu „sensiblen“ Themen bis hin zu Kleinstmeldungen der Tageszeitungen wird praktisch alles von den Zensurbehörden der Kommunistischen Partei kontrolliert.

Kontrollwut hinterlässt Vakuum

Zwar gibt es durchaus gewisse Freiheiten, doch der Rahmen dafür wird immer enger abgesteckt. Jene Kontrollwut des Informationsflusses hinterlässt ein Vakuum, das meist mit Misstrauen gefüllt wird: Stimmen die hervorragenden Corona-Infektionszahlen Chinas wirklich, oder frisiert der Staat seine Statistiken, wie er es schon etliche Male bei seinen Wirtschaftsdaten tat? Ist Jack Ma von der Partei hopsgenommen worden, oder hält er sich nur bedeckt?

Tatsächlich ist es Chinas Staatsführung zuzutrauen, dass sie mächtige Männer verschwinden lässt – meist wegen Korruptionsvorwürfen, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen. Erst vor wenigen Tagen wurde Lai Xiaomin, ehemaliger Vorstand eines der größten Staatsunternehmen, zum Tode verurteilt.

Bei Jack Ma hingegen scheint eine ganz plausible Erklärung einleuchtender: Wer derart drastische Niederlagen einstecken musste, darunter das Scheitern des größten Börsengangs in der Geschichte, ist vielleicht gut darin beraten, sich erst einmal aus der Öffentlichkeit zurückzuhalten. Auch menschlich wäre es allzu verständlich, dass Ma derzeit nicht gerade der Sinn nach Auftritten in Fernsehshows oder Jahreskonferenzen steht.

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