Die neuen Coronaregeln: Gefährliches Ungleichgewicht

Während private Kontakte weiter beschränkt werden, bleibt am Arbeitsplatz alles beim Alten. Das gefährdet die Akzeptanz der Maßnahmen.

Fahrgäste mit Mund-Nasen-Schutz stehen auf einem U-Bahnhof in Berlin

Alles wie immer: Menschen in Berlin-Mitte auf dem Weg zum Arbeitsplatz Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Die Zahl der Neuinfektionen sinkt bisher nur langsam, und durch die Virus-Mutation aus Großbritannien droht sich die Situtation dramatisch zu verschlechtern. Es ist völlig nachvollziehbar, dass die Regierungen aus Bund und Ländern angesichts dieser Situtation die Coronaregeln verschärfen. Doch die Schwerpunkte, die sie bei ihrem jüngsten Treffen gesetzt haben, sind ziemlich fragwürdig.

Denn die neuen Beschränkungen konzentrieren sich erneut fast komplett auf das Privatleben. Dass Treffen künftig nur noch mit jeweils einer Person erlaubt sind und es offenbar auch keine Ausnahmen für Kinder mehr geben soll, ist eine deutliche Verschärfung, die gerade Familien vor große Herausforderungen stellen dürfte.

Auch die Regel, dass man in Landkreisen mit einer Inzidenz von über 200 ohne triftigen Grund einen 15-Kilometer-Radius nicht verlassen darf, ist eine starke Einschränkung mit zweifelhafter Wirkung. Solange Treffen mit anderen ja ohnehin verboten sind, werden damit im Zweifel vor allem Ausflüge ins Freie unterbunden.

Doch die können im Lockdown eine wichtige Ausgleichsfunktion haben – und ob es für das Infektionsgeschehen wirklich hilfreich ist, wenn man nur im nahe gelegenen Park wandern darf statt in der etwas weiter entfernten Natur, kann man durchaus bezweifeln – zumal ja inzwischen klar ist, dass Infektionen zum ganz überwiegenden Teil nicht im Freien passieren, sondern in geschlossenen Räumen.

Nicht nur Regeln, sondern auch deren Kontrolle

Keinerlei Veränderungen sehen die neuen Beschlüsse dagegen für die Arbeitswelt vor. Lediglich Geschäfte, Gaststätten und Kultureinrichtungen sind weitgehend geschlossen. Doch eine Pflicht, Homeoffice als Regelfall zu ermöglichen, gibt es für Arbeitgeber weiterhin nicht, obwohl das zumindest für jene Hälfte der Beschäftigten, die vorwiegend am Schreibtisch arbeitet, möglich und effektiv wäre. Und für jene Wirtschaftsbereiche, in denen eine Anwesenheit am Arbeitsplatz unvermeidlich ist, braucht es nicht nur Vorgaben zum Infektionsschutz – sondern auch Kontrollen, ob diese eingehalten werden.

Dass sich die Bekämpfung der Epidemie weitgehend auf den Privatbereich konzentriert, ist dabei doppelt gefährlich: Zum einen wird es vermutlich nicht gelingen, die Infektionsketten im nötigen Ausmaß zu unterbrechen, solange sich am Arbeitsplatz nichts ändert. Vor allem aber gefährdet dieses Ungleichgewicht auch die Akzeptanz der Regeln insgesamt.

Denn wenn Menschen durchaus zu Recht den Eindruck bekommen, dass die Regeln im Privaten immer weiter verschärft werden, weil die Politik sich an die Arbeitswelt nicht herantraut, nehmen viele die Vorgaben möglicherweise nicht mehr ernst – und zwar auch jene, die wirklich notwendig sind. Die Regierung sollte ihre Maßnahmen also daran orientieren, was am meisten bringt – und nicht daran, wo es am einfachsten erscheint, Handlungsfähigkeit zu beweisen.

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Jahrgang 1971, war bis September 2022 Korrespondent für Wirtschaft und Umwelt im Parlamentsbüro der taz. Er hat in Göttingen und Berkeley Biologie, Politik und Englisch studiert, sich dabei umweltpolitisch und globalisierungskritisch engagiert und später bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen in Kassel volontiert.   Für seine Aufdeckung der Rechenfehler von Lungenarzt Dr. Dieter Köhler wurde er 2019 vom Medium Magazin als Journalist des Jahres in der Kategorie Wissenschaft ausgezeichnet. Zudem erhielt er 2019 den Umwelt-Medienpreis der DUH in der Kategorie Print.

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