Hamburger Heldengedenken: About Schmidt

Vor fast genau fünf Jahren ist Altkanzler Helmut Schmidt gestorben. Wie erinnern sie sich in der ach so nüchternen Hansestadt an ihren Helden?

Helmut Schmidt beim Rasenmähen in den frühen 1960er-Jahren

Eigentlich einer von uns: Helmut Schmidt, Neu-Hauseigentümer, mäht Langenhorner Rasen Foto: Helmut-Schmidt-Archiv

HELMUT-SCHMIDT-STADT taz | Zu dem, was sie gerne über sich sagen, gehört: Hamburgerinnen und Hamburger lehnen Orden ab; sie beugen, ferner, nie auch nur das Knie für fremde Potentaten, ja: Jede Heldenverehrung ist ihnen grundsätzlich suspekt, schon wegen ihrer naturgemäß kühl-pragmatischen Art. Klingt gut – und wie bestellt bei einer Markenberatungsagentur.

Dass solchen Mythen kaum zu trauen ist: banal. Umso interessanter aber, sich anzusehen: Was ist, wenn es doch mal einen Anlass gibt für Hamburgerinnen und Hamburger, einen Helden zu verehren, sein Andenken hübsch aufpoliert in Szene zu setzen? Und dann auch noch einen, der selbst so sehr das Rationale und kaum Leidenschaftliche verkörpert hat?

Vor knapp zwei Wochen, am 10. November, war es genau fünf Jahre her, dass Helmut Schmidt gestorben ist im eigenen Haus in Hamburg-Langenhorn. Wichtiger ist aber ein anderes, weniger privates Datum, oder noch genauer: zwei Daten, die sich nun jähren: Am 24. November 2015 wurde der vormalige Hamburger Senator und Bundestagsabgeordnete, Bundesminister und -kanzler in Hamburg-Ohlsdorf beerdigt.

Am Tag davor schon war die große weite Welt an die Elbe gekommen, um dem Verstorbenen Respekt zu zollen: Die Kanzlerin sprach, der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger, Damals-noch-Bürgermeister Olaf Scholz. Unter den Anwesenden im Hamburger „Michel“, der Hauptkirche St. Michaelis, waren ein paar – zumeist allerdings deutsche – Ex-Präsidenten, -Minister, draußen stand eine Bundeswehr-Ehrenformation, Sie erinnern sich: Es war ja ein vormaliger Verteidigungsminister zu verabschieden.

Zuhause bei Loki und Helmut Schmidt. Das Kanzlerhaus in Hamburg-Langenhorn. Hg.: Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung, Fotos: Michael Zapf. Edel Books 2020, 224 S., 22 Euro

Kanzlers Kunst. Die Sammlung Helmut und Loki Schmidt: Hamburg, Ernst-Barlach-Haus, Baron-Voght-Straße 50a (Jenischpark); geplant bis 31. 1. 2021 (derzeit geschlossen). Begleitbuch: Dölling und Galitz 2020, 216 S., 34 Euro

Schmidt! Demokratie leben: Helmut-Schmidt-Forum, Hamburg, Kattrepel 10; Eröffnungstermin derzeit unklar

Bald danach nannte man Hamburgs Flughafen nach dem großen Sohn der Stadt, und der Stammsitz der Zeit, deren Herausgeber er lange gewesen war, wurde zum „Helmut-Schmidt-Haus“. Weitere Orte und Institutionen hatten seinen Namen schon zu Lebzeiten erhalten: 2003 die örtliche Universität der Bundeswehr, 2012 ein Gymnasium im wenig hanseatischen Stadtteil Wilhelmsburg, aber wie sehr Schmidt nun „Hanseat“ war oder gerade keiner: Das ist kompliziert.

Dass seit den späten 1970er-Jahren auch eine Rosensorte nach Helmut heißt – nicht etwa nach Ehefrau Loki (1919–2010), passionierte Gärtnerin, Naturschützerin und Blume-des-Jahres-Stifterin: Das ist Stoff, über den sich rauchende Herren damals beim Weinbrand beömmelt haben mögen, in der Schmidt’schen Keller-, nein, Erdgeschossbar.

Dorthin eingeladen zu werden (und, ganz nebenbei, die inzwischen doch arg aus der Zeit gefallen wirkende Figur eines „singenden Louis Armstrong“ vorgeführt zu bekommen): Als „Ritterschlag“ beschreibt das im Vorwort zu einem neuen Buch über das Langenhorner Wohnhaus der Sozialdemokrat Peer Steinbrück, selbst ehemaliger Minister im Bund und in Schleswig-Holstein sowie in Nordrhein-Westfalen, dessen Ministerpräsident er von 2002 bis 2005 war. Seit 2017 ist Steinbrück – nach mehreren Jahren in der gleichen Funktion bei der privaten Helmut und Loki Schmidt-Stiftung – Kuratoriumsvorsitzender der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung des Bundes.

Die wacht heute wesentlich da­rüber, welches Schmidt-Bild sich der Nachwelt zeigt: Sie betreibt neben einer Dauerausstellung im Schatten des Zeit-Sitzes auch das quasi zum Museum gewordene Wohnhaus der Schmidts am Neuberger Weg in Hamburg-Langenhorn, ganz oben auf dem Stadtplan. In diesem Stadtteil, hat Schmidt einmal gesagt, könne „der vornehme Hamburger“ nicht wohnen, und das war nicht rein geografisch zu verstehen. Gerne als „Reihenhaus“ bezeichnet, kauften Helmut und Loki Schmidt dort 1961 ein Doppelhaus des gehobenen Standards – „gehoben“ freilich nur innerhalb dessen, was der später havarierte gewerkschaftseigene Baukonzern „Neue Heimat“ im Angebot hatte.

Umso größer die Aufregung, wenn nun wirklich mal die große weite, die politische Welt zu Besuch kam in den grünen, unspektakulären Stadtteil: Leonid Breschnjew etwa, oder Valéry Giscard d’Estaing. Aber die besseren Lagen der Stadt, die präsentableren wie die Elbchaussee, hat Schmidt nie als seine begriffen.

Wenn es nicht wie derzeit die Pandemiebekämpfung verhindert, werden in Langenhorn Führungen angeboten, zumindest durch Teile des mehrfach umgebauten und erweiterten Klinkerbaus; in Kleingruppen nur, denn es ist eben immer noch ein Wohnhaus mit engen Durchgängen und herumstehendem Möbeln, Nippes auch, und dann die vielen Bilder an den Wänden.

Als die Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung Ende September zur Buchvorstellung von „Zuhause bei Loki und Helmut Schmidt“ bat – sie ist auch Herausgeberin –, waren die Wände allerdings ziemlich kahl: Die Noldes und Heisigs und viele andere normalerweise dort Hängende waren ans andere, ans westliche Ende der Stadt verbracht worden: Im Ernst-Barlach-Haus wird seit Anfang Oktober „Kanzlers Kunst“ gezeigt – ironischerweise, könnte man sagen. Denn am großbürgerlichen Jenischpark, in dem das kleine Museum steht, führt südlich ausgerechnet die Elbchaussee vorbei.

Dennoch: Hier, in diesem modernistischen Flachdachbau war Schmidt gerne zu Gast, bei Ausstellungseröffnungen oder auch mal mit hohem Besuch, als er längst nicht mehr in Amt und Würden war, aber immer noch bestens vernetzt. Zumal Ernst Barlach zu den Künstlern gezählt hat, die Schmidt am wichtigsten waren.

Auf etwa 100 Gemälde und Grafiken, dazu 50 Kleinplastiken soll sich die Schmidt’sche Sammlung insgesamt belaufen, zusammengetragen über Jahrzehnte, mal als bewusstes Geschenk entsprechend begüterter Freunde, mal erworben aus dem Bauch heraus – maritime Motive etwa, mal von großen, dann wieder ziemlich unbekannten Namen. Neben Nolde und Barlach bilden einen wichtigen Fixpunkt in Schmidts Kunstgeschmack die Worpsweder Maler*innen. Nicht alles wird nun auch ausgestellt, aber doch das meiste: rund 150 Gemälde, Plastiken und daneben gleich wieder kuratorisch herausfordernd Kunstgewerbliches – „große Kaliber und kleine Köstlichkeiten“, so sagen es die Ausstellungsmacher*innen.

Derzeit ruht auch im Barlach-Haus der Publikumsbetrieb, und eine für Anfang November geplante Ausstellung „Schmidt! Demokratie leben!“ in der Innenstadt hat die Bundeskanzler-Stiftung auf unbestimmte Zeit verschoben.

Wie aber das Wohnhausbuch den Hausbesuch in Langenhorn ersetzen können soll – auch vor Corona war dort schwer hineinzukommen, überstieg die Nachfrage die wenigen Plätze deutlich –, so lässt sich auch die ambitionierte private Kunstsammlung durchblättern: Es gibt selbstverständlich ein schmuckes Begleitbuch – und sei es für demnächst unter den Weihnachtsbaum.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.