Streit um Recycling von Schutt: Die ewige Baustelle

Mehr Recycling im Bau und trotzdem Böden schützen – nach jahrelangem Gezerre schien eine Einigung möglich. Jetzt wankt der Kompromiss wieder.

Hamburg: Leere Rohre für Stromkabel liegen im Graben einer Baustelle. Mit einem neuen Verfahren soll der Bodenaushub in Hamburg recycelt werden

Alte Rohre für Stromkabel liegen im Graben einer Baustelle. Wohin mit dem Müll? Foto: Sebastian Gollnow/dpa

BERLIN taz | Bekommt die Bundesregierung den größten Abfallstrom – Bau- und Abbruchabfälle – weiterhin nicht in den Griff? Seit mehreren Legislaturperioden versuchen Bund und Länder landesweit einheitliche Regeln zu erlassen, nach denen Bauherren Recyclingbaustoffe verwenden können, ohne Böden oder Grundwasser zu verschmutzen.

Immer wieder sind sie an den gegenläufigen Interessen der beteiligten Branchen und am Zielkonflikt Ressourcenschutz versus Umweltschutz gescheitert. Im Sinne einer Kreislaufwirtschaft müssten Recyclingbaustoffe intensiv eingesetzt werden und Kies- und Sandgruben entlasten; zum Teil sind die Baustoffe aber mit Kohlenwasserstoffen oder Kunststoffen verschmutzt und gefährden dann womöglich Böden und Grundwasser.

Kürzlich schien eine Einigung zum Greifen nahe. Doch nun sieht es so aus, als müsse der Gesetzentwurf noch einmal ganz von vorne diskutiert werden. Die lange Zeit zerstrittenen Länder hatten sich Anfang November im Bundesrat auf gemeinsame Regeln geeinigt; nach langen Verhandlungen unter Koordination des Bundesumweltministeriums (BMU) hatten sie einen von Nordrhein-Westfalen und fünf weiteren Bundesländern erarbeiteten Kompromissvorschlag verabschiedet.

Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth hatte im Vorfeld fast flehentlich um die Zustimmung der Landesumweltminister geworben; die Ersatzbaustoffverordnung werde „die Schonung primärer Baustoffressourcen mit dem Schutz von Boden und Grundwasser verbinden“, das BMU begrüße es, die „mittlerweile 15-jährige Befassung zu diesem Thema nun zu einem für alle bestmöglichen Ende führen zu können“.

Jedes Bundesland hat seine eigenen Regeln

Die Gemengelage ist so kompliziert wie die betroffenen Mengen riesig: Geschätzte 220 Millionen Tonnen Erde, Steine, Ziegel, Asphalt, Fliesen, Keramik, Schlacken und Asche fallen jährlich in Deutschland an, durch den Bau und Abbruch von Bauwerken, aber auch durch industrielle Prozesse, etwa in der Eisen- oder Kupferverhüttung. Dieser Stoffstrom macht etwa die Hälfte des gesamten deutschen Abfallaufkommens aus.

Bislang ist der Umgang damit nicht einheitlich geregelt, jedes Bundesland richtet sich nach eigenen, zum Teil sehr alten technischen Regelwerken und Vollzugshinweisen. Schon lange fordern die Recyclingwirtschaft und die Erzeuger von Schlacken einheitliche und übersichtliche Regelungen.

Zufrieden mit Kompromiss

Mit dem Kompromiss sind nun viele Beteiligte zufrieden: „Wir haben endlich eine gute, pragmatische Regelung gefunden“, sagt etwa der baden-württembergische Umweltminister Franz Untersteller (Grüne). Auch die Interessenverbände der großen Entsorgungsunternehmen, der Ersatzbaustoffbranche und der Aufbereiter von Schlacken begrüßten den „pragmatischen“ Länderkompromiss und lobten, nun bekomme die Branche „ein Regelwerk, das die Akzeptanz von Ersatzbaustoffen und Recyclingrohstoffen stärkt und die Problematik der teilweise regional bestehenden Kapazitätsengpässe bei Deponien nicht weiter verschärft“.

Zwar hätte man sich aufgrund der unterschiedlichen Gegebenheiten in den Ländern Länderöffnungsklauseln gewünscht, sagt Michael Henze vom Bundesverband für Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau. Doch trage man den Kompromiss nun mit, auch weil er nachhaltige Regelungen zum Bodenschutz enthalte, etwa Baustellen mit bodenschonenden Maschinen und wetterabhängig zu befahren, so Henze. Der gefundene Kompromiss vermittele „konstruktiv zwischen verschiedenen Stakeholdern der Bau-, Recycling- und Rohstoffwirtschaft“, befand der Bundesverband mineralische Rohstoffe.

Heftige Kritik von der Bauwirtschaft

Von der Bauwirtschaft hingegen kam heftige Kritik. „Eine sinkende Verwertungsquote bei mineralischen Abfällen und steigendem Deponiebedarf seien vorprogrammiert“, befürchten der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, der Zentralverband Deutsches Baugewerbe und der Deutsche Abbruchverband. Bauen werde nun teurer, vor allem im Straßenbau, Deponiekapazitäten würden knapp.

Damit rücken nun das Verkehrs- und das Innenministerium in den Blickpunkt, denn die Bedenken der Bauwirtschaft wurden bislang vor allem von den CSU-geführten Ministerien Bauen und Verkehr aufgenommen. Beide verweisen auf Nachfrage darauf, dass die Ressortabstimmung noch nicht abgeschlossen sei.

Bedenken können noch aufgegriffen werden

Vorsorglich hatte das Bundeskanzleramt die unionsregierten Länder vor der Bundesratsabstimmung jedoch darüber informiert, dass die Länderkammer den Gesetzentwurf des Bundes so stark verändert habe, dass eine neue Ressortabstimmung notwendig sei. Dabei könnten dann noch Bedenken der Bundesressorts aufgegriffen werden. Nach Befassung des Bundestages würde die überarbeitete Verordnung dann dem Bundesrat zur Beschlussfassung zugeleitet, so das Kanzleramt – das heißt, die Verhandlungen gingen wieder von vorne los, auch in dieser Legislaturperiode stünde eine Einigung infrage. Es dürfe nicht sein, dass die CSU nun einen in mühsamer Arbeit ausgehandelten Kompromiss torpediere, sagt Untersteller.

Problematischer als das Fehlen einheitlicher Regeln für den Einsatz von Ersatzbaustoffen halten Bauexperten allerdings die aktuelle Bau- und Rückbaupraxis. „Es ist zweifelhaft, ob bei einem Hausbau nach der Fertigstellung eine Prüfung erfolgt, ob solche Quoten wirklich eingehalten wurden“, sagt Christine Lemaitre, Geschäftsführender Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen.

Es sei ja richtig, dass die Bundesebene für Klima- und Ressourcenschutz sorgen wolle. Doch vor Ort seien die Kommunen zuständig. Und in deren Verwaltungen sei in den letzten Jahren so viel verschlankt worden, dass sie keinen wirklichen Raum haben um etwaige Sonderlösungen oder pragmatische Ansätze zu prüfen und zu genehmigen, so Lemaitre. „Wenn Sie keine gut ausgebildeten, motivierten Mitarbeiter in den Bauverwaltungen haben, geht es nur um die Erfüllung von Vorgaben und nicht um die Frage, ob diese im Falle des konkreten Bauprojekts auch sinnhaft sind oder ob hier Ausnahmeregelungen genehmigt werden sollten.“

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