Chinas neuer 5-Jahres-Plan: Auf zum zweiten Jahrhundertziel

China gibt mit seinem neuen Fünfjahresplan die Stoßrichtung für die Zukunft vor. Er strotzt vor Selbstbewusstsein und Ambition.

Chinesische Führungskräfte sitzen auf einem Podium beim 19 Treffen des Zentralkommittees

Chinas Staatsoperhaupt Xi Jinping und die Führungsspitzen der Kommunistischen Partei in Peking Foto: Wang Ye/ap

PEKING taz | Es ist ein merkwürdig anachronistisches Ritual, das in China jedoch auch im 21. Jahrhundert nach wie vor praktiziert wird: Alle fünf Jahre arbeitet die Staatsführung einen Plan aus, um die Stoßrichtung für die eigene Zukunft vorzugeben. Diese Woche war dies nun zum 14. Mal der Fall.

Bisher hat die Kommunistische Partei der Weltöffentlichkeit zwar nur ein Kommuniqué mit den zentralen Punkten vorgesetzt. Es strotzt jedoch nur so vor Selbstbewusstsein und Optimismus: Zuverlässig wie ein Schweizer Uhrwerk folge man dem Masterplan der Partei, mit Staatschef Xi Jinping an der Spitze werde das Land jede Krise meistern.

Um zu erklären, was genau damit gemeint ist, traten am Freitagmorgen führende Mitglieder des Zentralkomitees vor die Presse. Im autoritären China sind solche Momente der Offenheit selten, doch schlussendlich blieb die Pressekonferenz nach europäischem Verständnis eine reine Inszenierung: Sämtliche Fragen, darunter auch die der ausländischen Journalisten, wurden zuvor schriftlich eingereicht, die Antworten der Parteikader vom Blatt abgelesen. Über Kopfhörer konnten die Anwesenden das Papierrascheln der Simultanübersetzerin beim Umblättern der Seiten hören.

„Mit 2020 haben wir das erste Jahrhundertziel erreicht, eine moderat wohlhabende Gesellschaft aufzubauen“, sagt Xu Lin, Vizeminister der Öffentlichkeitsabteilung vom Zentralkomitees: „Der Fünfjahresplan ist nun der erste Schritt für das zweite Jahrhundertziel: China in eine moderne Gesellschaft zu transformieren“.

Technologische Autarkie

Wie umfassend dieser Wandel sein wird, lässt sich schwarz auf weiß ablesen: Wenig überraschend stellt die Partei technologische Autarkie in den Mittelpunkt ihrer Zukunftsvision. Dies ist vorallem eine Antwort auf den Handelsstreit mit den Amerikanern, auch wenn eine vollständige „Entkopplung“ von den Vereinigten Staaten laut Angaben der chinesischen Regierung weiterhin unrealistisch sei.

Doch die Volksrepublik möchte in Zukunft vor allem die wirtschaftlichen Risiken einer geopolitisch fragilen Weltordnung – etwa Importverbote von Halbleitern aus den USA oder ein möglicher Ausschluss Huaweis aus dem europäischen 5G-Netz – minimieren. Folglich wird China in den folgenden Jahren seine Forschungsausgaben wohl massiv erhöhen.

Doch konkrete Zahlen blieb die Regierung bislang schuldig. Waren die vorigen Fünfjahrespläne von konkreten Zielvorgaben gespickt, etwa das jährliche Wirtschaftswachstum bis auf die prozentuale Kommastelle, hält man sich diesmal bemerkenswert vage – wohl auch, weil China mit all seinen territorialen Grenzkonflikten und Wirtschaftskämpfen vor einmaligen Herausforderungen steht.

Wirtschaftsleistung verdreifachen

Zwischen den Zeilen allerdings lassen sich dennoch einige Vorgaben herauslesen: Bis zum Jahr 2035 möchte man ein Bruttoinlandsprodukt vergleichbar mit „durchschnittlich entwickelten Ländern“ erreichen. Im Klartext würde dies bei etwas unter 30.000 Euro pro Kopf liegen; also ein Niveau, das derzeit beispielsweise das benachbarte Südkorea erreicht hat. Dafür muss sich Chinas ökonomische Leistung in den nächsten 15 Jahren in etwa verdreifachen.

Doch auch im Inneren hat die chinesische Wirtschaft, wenn gleich sie trotz der Krise wieder auf Wachstumskurs ist, mit erheblichen Problemen zu kämpfen. Dem vielleicht wichtigsten Thema, der schleppende Binnenkonsum, wird im Fünfjahresplan ebenfalls eine zentrale Rolle zugewiesen: Die Einkommen der Bevölkerung, vor allem der ländlichen Bevölkerung, sollen massiv gesteigert werden. Nur auf diesem Weg kann das propagierte Modell der „dualen Zirkulation“ aufgehen: Künftig nämlich soll, wie in vielen entwickelten Volkswirtschaften bereits eingetreten, der chinesische Konsument als zunehmender Wachstumsmotor fungieren, der Außenhandel („externe Zirkulation“) hingegen an Wichtigkeit verlieren.

Weniger Wachstum, mehr Ideologie

Jürgen Trittin, Grünen-Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, sieht Chinas 5-Jahres-Plan jedenfalls kritisch. „Unter Xi Jinping schreitet die Reideologisierung und damit auch der Abschied von Deng Xiaoping voran. Das ist keine gute Nachricht für Europa.“

Trittin kritisiert vor allem die klimapolitische Leerstelle im 5-Jahres-Plan. „Xi Jinping versprach, China bis 2060 zu einem klimaneutralen Land umzubauen. Maßnahmen hierzu finden sich in den Beschlüssen nicht wieder.“

Wirtschaftlich müsse man Chinas Orientierung auf die eigene Stärke, eine stärkere Unabhängigkeit von weltweiten Zulieferern und die Konzentration auf die heimischen Märkte im Blick behalten. Das alles weise dem Außenhandel, aber auch ausländischen Investitionen nur noch eine untergeordnete Rolle zu, meint Trittin. „Das ist für den Abschluss eines Investitionsabkommens mit der Europäischen Union ein Warnsignal.“ Zudem scheine China, unabhängig vom Ausgang der US-Wahl, mit einem fortgesetzten Handelskonflikt zu rechnen.

Sicherheit steht für Xi über allem

Chinas Regierung hingegen betont, dass dies nicht heißt, China würde ausländischen Unternehmen künftig den Rücken kehren. Stattdessen soll die Wirtschaft weiter geöffnet und reformiert werden, um reizvoll für internationale Konzerne und Investitionen zu bleiben. „Öffnung ist die grundlegende Bedingung für Fortschritt“, sagt Han Waixiu, stellvertretender Leiter des Zentralkomitees für wirtschaftliche Angelegenheiten.

Und doch lässt das veröffentlichte Kommuniqué des Fünfjahresplans keinen Zweifel daran, dass jene Öffnung für China auf politischer Ebene weiter entfernt denn je erscheint: Für Staatschef Xi Jinping, ein berüchtigter Machtpolitiker und Kontrollfanatiker, genießt die innere Sicherheit im Zweifel immer noch die höchste Priorität.

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