Pressefreiheit bei Räumung der Liebig 34: „Pressearbeit massiv behindert“

Gewerkschafter Jörg Reichel kritisiert die Polizei für körperliche Angriffe auf Journalisten, die Rote Zone und die voyeuristische Hausführung.

Polizisten schauen, wie ihre Kollegen vor der Tür der Liebig 34 stehen

Blickwinkel aus dem Pressebereich auf die Polizeiarbeit an der Liebig 34 Foto: dpa

taz: Jörg Reichel, hat die Polizei die freie Berichterstattung über die Räumung der Liebig 34 am vergangenen Freitag gewährleistet?

Jörg Reichel: Nein.

Wieso?

51, Sozialarbeiter und seit 13 Jahren Gewerkschaftssekretär im Medienbereich. Betreut als Landesgeschäftsführer der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union in Verdi Journalisten und Kinos.

Im Zusammenhang mit der sogenannte Roten Zone hat sie die Pressearbeit massiv behindert. Durch die Sperrzone rings um die Liebig 34 hat sie keinen freien Zugang gewährleistet, und zwar in Bereichen, die nicht unmittelbar von der Räumung betroffen waren. Ich war zwei Tage vor Ort und musste immer wieder intervenieren, damit Journalist*innen auch hinter den Polizeiketten berichten können – was ihr Recht ist. Vielfach wurde der Status als Journalist*in nicht anerkannt, auch aus Unkenntnis darüber, wie ein Presseausweis aussieht.

Sie haben dokumentiert, wie Journalist*innen Opfer von Polizeigewalt wurden.

Ich bin mehrfach Augenzeuge von Übergriffen gewesen und habe mit insgesamt 20 Kolleg*innen Kontakt gehabt, die von Polizist*innen körperlich angegangen wurden, obwohl sie durch einen Presseausweis oder auch Kameras offensichtlich zu erkennen waren. Dabei sind Beleidigungen oder Schubser gar nicht mitgezählt. Zwar gibt sich die Pressestelle der Polizei pressefreundlich, aber die Polizeihundertschaften im Einsatz prügeln und knüppeln und machen dabei keinen Unterschied zwischen Demonstrant*innen und Journalist*innen.

Von welchen Vorfällen sprechen wir?

Einem Fotografen wurde am späten Freitagmorgen so ins Gesicht geschlagen, dass danach noch der Abdruck des Handschuhs sichtbar war. Andere Fotografen haben Schlagstöcke gegen die Schienbeine bekommen. Auch habe ich ein Video veröffentlicht, in dem ein Kollege über sich selbst gestolpert ist und dabei seine Brille verloren hat. Ein Polizist kam dann dazu und ist mit einem offensichtlichen Ausfallsschritt auf die Brille getreten. Dabei hat er den Fuß noch so gedreht, als wolle er eine Zigarette austreten. Die Polizei hat Ermittlungen mit dem Hinweis eingestellt, dass es sich um ein Versehen gehandelt habe.

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Warum passiert das?

Das ist eine Frage unzureichender Ausbildung und der Polizeikultur. Das Gegenüber wird nur als Bedrohung und nicht als Pressevertreter*in angesehen. Durch fehlende Schulungen gibt es kein Bewusstsein für die Rechte von Journalist*innen. Für die Kolleg*innen, die über soziale und Straßenproteste Bericht erstatten, bedeutet das eine Gefahr. Ich kenne Journalist*innen, die aufgrund negativer Erfahrungen nicht mehr in die erste Reihe gehen.

Was raten sie betroffenen Journalist*innen?

Sie sollen sich bei ihrer Gewerkschaft melden. Dann kann ein Vorfall aufgearbeitet werden, auch mit der Pressestelle der Polizei. Wenn man sich selbst beschwert oder Anzeige erstattet, gibt es die Gefahr von Gegenanzeigen, etwa wegen Behinderung der Polizeiarbeit. Vor dem Hintergrund des Rassismus- und Rechtsextremismusproblems innerhalb der Polizei sollte man sich zudem gut überlegen, welche Daten man von sich preisgibt.

Die Polizei hat nach der Räumung Journalist*innen durch das Haus geführt. Was halten Sie davon?

Aus meiner Sicht ist das ein Verstoß gegen den Pressekodex und zwar sowohl von der Polizei, die diesen redaktionellen Inhalt angeboten hat, als auch von den Redaktionen, die das veröffentlichen. Die Polizei hat die Berichterstattung aus dem Haus wesentlich geprägt, in dem sie festgelegt hat, durch welche Räume es geht, während der Moderator – Pressesprecher – live übers Internet kommentiert hat. Sie hat aber nicht nur den Eingang und den Hof gezeigt, was in Ordnung gewesen wäre, sondern Wohnräume, die wenige Stunden zuvor noch grundgesetzlich geschützt waren. In diesen Räumen, in denen aus Polizeisicht Täter*innen, aus Sicht der Liebig34 Opfer gewohnt haben, sind Persönlichkeitsrechte zu wahren. Das ist nicht passiert. Stattdessen gab es eine voyeuristische Darstellung, eine Sensationsberichterstattung, die mit dem eigentlichen Thema der Zwangsräumung nichts zu tun hat.

Und die dann für viele zum eigentlichen Thema wurde.

Ja, Rechtsextreme und zum Teil auch das bürgerliche Milieu haben diesen Rundgang und die dabei entstandenen Bilder zum Anlass genommen, ihre Verachtung über soziale Bewegungen und linke Proteste zu äußern.

Der SPD-Abgeordnete Tom Schreiber hat Sie auf Twitter für ihre „Aktivitäten“, also Ihre Begleitung der Tage, gerügt und den Verdi-Vorstand informiert.

Ich bewerte das als einen Angriff eines SPDlers gegen die Gewerkschaft und gegen den Versuch, Pressefreiheit und Pressearbeit zu schützen. Dadurch soll ein Rechtfertigungsdruck entstehen. Die Verdi-Pressestelle hat dieses Doxing oder diese Denunziation des Abgeordneten gelesen. Man hat das geprüft – und sich bei mir für meine Arbeit bedankt. Wenn man sich Schreibers Twitter-Account anschaut, nimmt er sich – mit wenig Erfolg – immer wieder Leute vor und reiht sich damit in eine Reihe mit Hetzaccounts wie die des Welt-Kolumnisten Don Alphonso ein.

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