Die Wahrheit: Das Blöken der Schlafschafe

Die Coronaleugner hatten allesamt recht. Nach der Pandemie steht mindestens eine Nacht der langen Messer bevor. Ein wahrer Bericht aus dem Jahr 2021.

Illustration: Katharina Greve

Määh, määh“, macht es links und rechts neben mir. Es klingt kläglich. Kein Wunder, denn wir werden alle sterben. Aber nicht an Covid-19, wie wir gedacht hätten, obwohl das ja nur eine Grippe ist, sondern am Bolzenschussgerät.

Ich habe es ja nicht anders gewollt. Nun werden seit dem Frühjahr 2021 jeden Sonntag tausende von uns zuerst geschoren und anschließend geschlachtet, wie man es mit Schafen eben so macht. Mit Schlafschafen, die wir sind. Jetzt endlich haben wir es begriffen. Zu spät. Am Ende ist man immer schlauer.

Der Philosoph Giorgio Agamben hatte schon im vorigen März gewarnt: die Aussetzung der Grundrechte, die Zerstörung des zivilen Lebens, die Entmündigung des Individuums; das alles wird, sobald es erst mal installiert wurde, kein Jota zurückgenommen. Denn er wusste: Regierende sind wie Hütchenspieler; sie warten schlau auf den Moment und schlagen dann zu.

Selbstverständlich hatte ich ihn, wie damals jeder halbwegs normale Mensch, auch nur für einen geltungssüchtigen, alten Fabulierer gehalten, nicht umsonst erschien der Text ja in der NZZ, die ich schon immer für ein formidables Scheißblatt hielt mit ihrem aggressiv antilinken Alarmismus, der dort traditionell mithilfe pseudophilosophischer und -intellektueller Alibiversatzstücke zur Position der höheren Vernunft hochgepimpt wird. Es ist geradezu ein Lehrstück dafür, wie blind einen das eigene Schubladendenken macht.

Und wie schlau, informiert und überlegen ich mir dabei auch noch vorkam. Aber klug ist doof, und doof ist klug – sehr frei nach den Hexen in Shakespeares Macbeth – und Hochmut kommt vor dem Fall. Ich hörte mir die unsäglichen Podcasts von diesem Drosten an, nickte zustimmend „Aha“ und „Oho“, und las den Pandemiequatsch des Meinungsmainstreams, weil ich tatsächlich glaubte, eine Mehrheit obendrein renommierterer Wissenschaftler wäre unter dem Strich zuverlässiger als eine weniger angesehene Minderheit.

Was für ein absoluter Unsinn! Denn diese Teufel waren selbstverständlich längst schon Teil des Plans, eingeweihte aktive Träger der Angstmache und der Desinformation. Sie lullten uns alle ein mit ihren sogenannten Fakten. Dabei hätte uns doch bereits der Gleichklang von Fakt und „Fucked“ stutzig machen können, nein, müssen.

Freiheit am Pfandautomaten

Alles lag klar auf der Hand. Man hätte nur eins und eins zusammenzählen brauchen. Ich sag nur: „Corona“! Hallo, da fängt es doch schon mal an? Kann ja gar nicht sein. Jede echte Krankheit hat doch normalerweise so einen ellenlangen lateinischen Namen, damit ihn keiner versteht und es abstrakt klingt, so dass keiner mehr Angst davor hat. Aber diesmal sollten wir Angst haben. Wir sollten unser Hirn an der Garderobe, unsere Freiheit am Pfandautomaten und unsere Rechte im Recyclinghof abgeben.

Agamben, Hildmann, Jebsen, Bakh­di: Alles sehr, sehr gute Leute, die haben uns gewarnt. Aber wir wollten ja nicht hören. Erst hat man sie monatelang diffamiert. Dann sind sie von einem Tag auf den anderen plötzlich so mir nichts dir nichts „verschwunden“. Der Staat hatte ja irgendwann überhaupt keine Skrupel mehr. Vor Mord schreckten die schon Ende 2020 nicht mehr zurück. Manche Coronakritiker hat man noch dabei beobachtet, wie sie ins Robert-Koch-Institut gestürmt sind, aber beim Verlassen des Gebäudes hat sie keiner mehr gesehen. Und es waren hunderte: kritische Geister, Freiheitskämpfer, Skeptiker, Neinsager – alle spurlos verschwunden. Gegen das RKI ist die saudi-arabische Botschaft in der Türkei ein Hort der Wiedergeburt.

Nicht zu vergessen die tapfere Schar der Demonstranten für die Freiheit. Was haben die nicht alles einstecken müssen? In meinem Koben, in dem ich auf die Hinrichtung warte, werde ich ganz allein für mich rot vor Scham, denke ich an meine unbedachte Beteiligung an der allgemeinen Hexenjagd: Sie wären nicht ganz dicht, durchgeknallt, irre, würden die Wissenschaft ignorieren und Verschwörungstheorien anhängen, wären auf dem rechten Auge blind, rechtsoffen oder rechtsextrem.

Nun, das waren sie ja in der Tat, aber genau das hat sie den großen Schwindel schließlich auch durchschauen lassen. Wer verrückt ist, erkennt nun mal das Verrückte leichter, wer böse ist, das Böse, und wer rechts ist, das Recht. Das ist nur logisch. Unbeirrt haben diese Märtyrer der Wahrheit die Anfeindungen, den Spott und Hohn beiseitegeschoben und sind für uns alle, auch für die Spötter, Unbelehrbaren, Demokratieverächter und Schlafschafe, weiter mutig auf die Straße gegangen.

Schwabe unterm Beil

Denn ihre Vorbilder waren ja nicht nur Charles Manson, Louis de Funès und Idi Amin, sondern auch Martin Luther King, Mahatma Gandhi und das Sandmännchen. Wenn du weißt, dass Wissen, Wahrheit und höhere Gerechtigkeit auf deiner Seite sind, bist du eben nicht so leicht einzuschüchtern. Das gilt auch für Michael Ballweg, den tapferen Gründer von „Querdenken 711“. „Hier stehe ich und kann nicht anders“, soll der stolze Schwabe mit fester Stimme gesagt haben, ehe das Beil herabsauste.

Wir wollten es einfach nicht begreifen. Das Maskentragen wäre doch nicht so schlimm, hielten wir den Mahnern entgegen. Diktatur, Unterdrückung, staatliche Gewalt, das wäre Belarus, aber nie und nimmer dieser Fetzen Stoff. Wie kurzsichtig muss man sein, um das glasklar Evidente nicht zu sehen – die Maske als Symbol: erst nehmen sie dir die Luft, dann nehmen sie dir das Leben. Ganz simpel. Wer das nicht sieht, der will es auch nicht sehen. „Schlafschafe“ ist für jemanden wie uns im Grunde ein viel zu mildes Wort.

Anfangs zapften sie ja noch denjenigen Kindern, die dem Erstickungstod durch Stoffmasken entkamen, das Blut ab, mit dem dann Bezos, ­Gates und Musk ihre Swimmingpools füllen konnten. Wir Erwachsenen wurden so lange verschont. Wir mussten halt desinfiziert, angekettet und mit Mundschutz im Homeoffice sitzen, auch die Arbeitslosen. Alles war verboten. Wer aufs Klo wollte, musste vorher online einen Antrag stellen.

Doch die Kinder wollten bald nicht mehr, auf eine Art auch fast verständlich. Seitdem wird jedes Wochenende unter den Erwachsenen gelost. Das Ergebnis wird am Samstagabend direkt nach „6 aus 49“ verkündet. Im Zentralrechner des Bundesministeriums für Gesundheit wählt ein Zufallsgenerator die Todeskandidaten aus, die über die „Corona-App“ direkt mit dem System verbunden sind und für die Häscher vom Gesundheitsamt mithilfe des eingeimpften Chips kinderleicht zu tracken sind.

Als sie die Coronakritiker abgeholt haben, habe ich noch gelacht. Jetzt ist der Rest dran, und ich sitze hier im weitläufigen Keller des Bundesgesundheitsministeriums. Alle tausend Verschläge sind besetzt, sie riechen noch intensiv nach dem Blut der Unglücklichen aus der Vorwoche. „Mäh, määhh“, schallt es regressiv von allen Seiten – die Leute sind schier verrückt vor Angst. Dieselbe Angst, die sie ein Jahr lang blind machte, wird sie nun tot machen. Diejenigen, die noch nicht völlig den Verstand verloren haben, versuchen es mit Tricks: Sie rufen nach dem Wärter, behaupten, ihrem Vernunftdenken abzuschwören oder winseln: „Ich bin ein enger Freund von Karl Lauterbach!“

Doch es hilft natürlich alles nichts. Ich selbst habe mich längst in mein Schicksal ergeben. Unablässig lasse ich den Rosenkranz durch meine Finger gleiten und warte ruhig auf den Schlächter. Man muss auch mal anerkennen, wenn man unrecht hatte.

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