Taiji gegen Rassismus: Ein Affenkampf

Warum betonen Rassisten so oft, kein Rassist zu sein? Weil sie alles abwehren, das von außen kommt. Unsere Autorin hat einen gymnastischen Vorschlag.

Eine Frau stößt mit der Hand etwas Imaginäres von sich weg

Ein Schub löst den nächsten ab, Bewegung und Gegenbewegung Foto: Mint/imago images

In letzter Zeit muss ich oft an eine Taiji-Übung denken, also die einzige Taiji-Übung, deren Namen und Bewegungsfolge ich kenne. Sie heißt „Affen abwehren“.

Dafür braucht man einen stabilen Stand – Füße schulterbreit auseinander, Knie leicht gebeugt. Man schiebt die eine Hand nach vorne, als würde man etwas wegdrücken (Affen), während die andere zu einer kleinen Schale geformt auf Höhe der Hüfte schwebt. Und dann andersherum, ein Schub löst den nächsten ab, eine Schale die andere, Bewegung und Gegenbewegung, wegdrücken und ranziehen.

Als Kind fand ich solche Übungen peinlich, heute kann ich ihren alltagspraktischen Nutzen erkennen. Neulich hätte ich zum Beispiel gern im Supermarkt einen Maskenverweigerungsaffen abgewehrt, der mir seinen Einkaufskorb in die Kniekehlen drückte. Leider habe ich mich nicht getraut, also blieb ich bei: „Es ist ja schon noch Maskenpflicht und Abstand wär auch super“, woraufhin er mir was von Maulkörben erzählte.

Nun muss man wissen, gegen welche Affen es sich zu kämpfen lohnt. Bei Menschen, die einen Mundschutz für ein staatliches Zensurwerkzeug halten, ist aus meiner Sicht nicht viel zu holen.

Etwas anders ist es mit diskursiven Affen. Ich verwende schon länger viel Energie darauf, die stets gleichen diskursiven Affen abzuwehren: „Rassismus gegen Weiße“, „Ambiguitätstoleranz“, „Cancel Culture“, „Identitätspolitik“. Die sind oft penetranter als der Maskenverweigerungstyp.

Die Welt durch weiße Augen sehen

Ich frage mich, ob ihre Absender:innen nicht auch das Gefühl haben, wir drehten uns im Kreis. Ob ihnen nicht auch schwindelig ist, ob sie nicht auch gern mal das Karussell anhalten würden, damit wir uns nebeneinander leerkotzen können und überlegen, ob wir nicht besser den Schießstand beaufsichtigen sollten.

Aber nein: actio/reactio, abwehren/auffangen. Nur, was fangen wir auf voneinander? Ich habe wegen schlechter Angebotslage gelernt, mich in Figuren hineinzuversetzen, die auf den ersten Blick wenig mit mir gemeinsam haben. Ich habe mir früher fast versessen Mühe gegeben, das Gemeinsame hinter der Oberfläche freizukratzen, um die blonde Tanja König aus Großstadtrevier und Madita von Gut Birkenlund sein zu können.

Ich habe geübt, die Welt durch weiße Augen zu sehen. Und jetzt habe ich fast bei jeder Abwehrbewegung eine zweite Hand, die etwas von der Gegenseite zu mir heranzieht.

Wenn sie Identitätspolitik beklagen, machen sie sich dann Sorgen, dass sie etwas abgeben müssen? Wenn sie betonen, kein Rassist zu sein, haben sie Angst, dass sie kein ausschließlich guter Mensch sind? Und wenn sie Ambiguitätstoleranz fordern, sind sie es vielleicht nur nicht gewohnt, dass ihre Sicht der Dinge in Frage gestellt wird?

Füllt sich ihre Hand auch mit Fragezeichen, wenn ich sage: „Wir müssen Deutungshoheiten umverteilen“, oder haben sie längst alle Antworten? Falls ja, machen sie die Übung falsch und Bewegung ohne Gegenbewegung ist auf Dauer schlecht für die Haltung.

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Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Ihr erster Roman 'Wovon wir träumen' erschien 2022 bei Piper. Zuletzt wurden ihre Kurzgeschichten in Das Wetter Buch für Text und Musik und Delfi Zeitschrift für Neue Literatur veröffentlicht.

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