Suche nach neuer Küche: Apfelschnitz und Träubchen

Küchenkataloge sind gruselig: Weiße Mittdreißigerinnen mit Seitenscheitel-Mann und maximal einem Kind – aber weit und breit kein Krümel zu sehen.

Skizze

Vielleicht belassen wir es einfach bei einer neuen Massivholzarbeitsplatte Foto: Blickwinkel/imago images

Richtig lange hat es gedauert, aber jetzt haben der Mann und ich die Entscheidung getroffen: Wir brauchen eine neue Küche. Unsere jetzige ist uralt, an einigen Stellen müffelt sie ungut, und hier und da biegen sich die Regalbretter aus Pressspan. Schon unsere Vormieter hatten diese Küche gebraucht gekauft und mit silberner Möbelfolie aufgehübscht. Noch heute erinnern die Kratzspuren an der Tür unter der Spüle an die Nagelapplikationen unserer modebewussten Vorbewohnerin.

„Eine Küche kaufen“ ist ja in Preisintensität und Komplexität vergleichbar der Anschaffung einer anständigen Matratze oder eines passablen Gebrauchtwagens. Früher haben wir uns Omas altes Büffet und ein Kellerregal in die Küche gestellt. Nun, da die Kinder aus dem Haus sind, muss wohl doch noch der fünfflammige Herd ins Haus. Außerdem ein Bratrohr, in dem ein halbes Reh Platz fände, Schubladen, die sich mit leisem Seufzen selbst schließen, oder Keramikspülbecken, die ausschauen, als könne man darin einen Zentner Runkelrüben raspeln. Das komplette Biobiedermeier auf zwölf Quadratmetern also.

Der Mann und ich besorgen uns Küchenkataloge. Wir sind von gestern und vom Dorf und möchten deshalb mal wissen, was eine moderne Küche kann und wie sie auszusehen hat. Beim Blättern wird uns dann leider schlecht. Küchenkataloge sind im Prinzip anthrazitfarben gestaltete Einblicke in Schlachthaus-Interieurs.

Mehrkindfamilie außerhalb des Möglichen

In riesigen Lofts verlieren sich weiße Mittdreißigerinnen mit einem perfekten Body-Mass-Index, denen das Marketing alle zehn Seiten einen genormten Seitenscheitel-Mann zur Seite stellt. Sie lächeln einander verhalten zu und halten Kaffeebecher in ihren manikürten Händen. Alle zwanzig Seiten sitzt die blonde Frau dann mit einem noch blonderen Kind allein an einer Edelstahltheke und reicht dem Nachwuchs einen Apfelschnitz oder Träubchen. Die Mehrkindfamilie scheint in der Küchenwelt außerhalb des Möglichen zu liegen.

Das nimmt nicht wunder. In einer Wohnung, in der alles aus Sichtbeton, Edelstahl und Schleiflack besteht, könnte ich auch keine Pläne für die Zukunft schmieden. Wo Stühle von geflochtenen Hockern dargestellt werden und der einzige erlaubte Rumsteher ein japanischer Messerblock ist, muss man ja aggressiv werden und kann sich wie nebenbei auf Modelmaße runterhungern. Kochen, kleckern, krümeln gar möchte man hier nicht. Zumal die Kochdünste die überall im Saal hängenden und stehenden wertigen Kunstobjekte schädigen könnten.

Der Mann und ich sind ratlos. Es ist Zeit für die neue Küche – aber wo finden wir eine, in der wir tatsächlich wohnen möchten? Im Schlachthaus des Neobiedermeiers jedenfalls nicht. Vielleicht belassen wir es einfach bei den knallenden Schubladen und den Kratzspuren in der silbernen Möbelfolie unter der Spüle und begnügen uns mit einer neuen Massivholzarbeitsplatte.

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1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

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