Die Wahrheit: Augenbrauenstift und Faxgerät

Mit einer ausgefeilten Digitaloffensive wollen christdemokratische Technik-Aficionados unbotmäßigen Influencern künftig die Stirn bieten.

EIne Person tippt auf ihr Handy

Der Befehl zum digitalen Angriff auf Rezo und seine Spießgesellen kam von ganz oben Foto: reuters

Unter den vielen CDU-nahen Vereinigungen und Vereinen wie Werte-Union, Frauen-Union und dem Bundesverband Lesben und Schwule in der Union ist er vielleicht der exotischste: der Verein cnetz, der aus CDU-Politikern mit Internet­anschluss besteht.

Diese christdemokratischen Technik-Nerds sind die Trendtrüffelschweine der Partei, und immer, wenn es ihnen gelungen ist, sich über ihren AOL-Anschluss ins Internet einzuwählen, stellen sie dort Bedenkliches fest: dass nämlich die dort agierenden Personen „eine Vorliebe für grüne und linke Sichtweisen“ haben.

Deshalb hat cnetz jetzt in einem Arbeitspapier für CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer gefordert: „Die CDU muss offenkundig andere, eigene Influencer aufbauen, die weniger vorgeprägt denken.“ Wie das gehen soll? Ganz einfach: „Bei #Rezo kann man die Machart lernen: schnelle, prägnante Argumente, Schnitte, Quotes, Charts, Musik, Webkommunikation.“

Das klingt aufregend, finden wir und wollen deshalb einen Termin mit cnetz vereinbaren. Aber wer ist der hipsterige Haufen der CDU eigentlich? Ein Blick auf die Website zeugt von den beachtlichen Ambitionen der Gruppe. Man ist hier sehr progressiv, denn im Beirat sind tatsächlich Männer und Frauen vertreten. Und damit das der ungläubige Betrachter auch wirklich sieht, steht es auf der Seite genauso aufgelistet: Fettdruck „Frauen“, Doppelpunkt, darunter die Namen der Frauen. Dann Fettdruck „Männer“, Doppelpunkt, darunter die Namen der Männer. Hier herrscht Ordnung und Progressivität in einem!

Ordentlich progressiv

Besonders wichtig ist im schnelllebigen Netz-Zeitalter, immer am Puls der Zeit zu sein und rasch auf aktuelle Diskussionen zu reagieren. Umso interessierter betrachten wir die Rubrik „Aktuelles“, die bis 2018 fast jeden zweiten Monat einen neuen Eintrag aufweist – doch gegenwärtig überschlagen sich die Posts. Schon zwei Einträge im Juni! Eine beeindruckende Schlagzahl! Wie mögen die smarten Köpfe hinter dieser Kommunikationssupermacht aussehen? Ein Klick auf die Seite „Der Vorstand“ bringt nur partiell Aufklärung, denn offenbar ist etwa die Hälfte eben­dieses Vorstands daran gescheitert, seine Passbilder einzuscannen oder den Umschlag damit in die Post zu geben, weshalb große graue Kästen neben den Namen prangen. Da werden wir uns wohl selbst ein Bild machen müssen, um mehr über die von cnetz angekündigte „Digital­offensive der CDU“ zu erfahren.

Bald schon rattert eine Einladung aus dem Faxgerät, das wir zur Kontaktanbahnung eigens noch einmal aus dem Keller geholt haben, und kurz darauf stehen wir im zukünftigen CDU-Internet-Newsroom im Hauptstadt-Trendbezirk Nikolassee, denn man legt bei cnetz Wert auf die Nähe zur hippen Jugend. Nikolassee? „Wir hätten natürlich auch in die ganz angesagten Szenebezirke gehen können“, begrüßt uns Thomas Jarzombek, der Vorstand von cnetz, „nach Prenzlauer Berg, Steglitz oder Hoppegarten, aber das wäre dann vielleicht auch etwas zu anbiedernd rübergekommen“, erklärt er listig. Denn weitere Peinlichkeiten im Umgang mit den Digital Natives wollen die CDU-Politiker nach der suboptimalen Kommunikation ihrer Parteichefin unbedingt vermeiden.

Stattdessen ist man hier schon mitten in den Vorbereitungen, um die kommende Influencer-Generation ins Netz zu entsenden. Cnetz-Sprecher Prof.Dr. Jörg Müller-Lietzkow etwa experimentiert gerade damit, sich die Glatze mit Bodypainting-Farbe blau anzumalen. „Es sieht ein bisschen ungewohnt aus“, gibt der rüstige Kommunikationsexperte zu, „aber man muss sich im Umgang mit den jungen Leuten auch mal ein bisschen locker machen.“

Mit dem Rouge-Döschen abholen

Gleich neben ihm sitzt Britta Rottbeck, hält ihr Gesicht in eine surrende Super-8-Kamera und zieht sich die Augenbrauen nach. „Schminkvideos sind jetzt ja das ganz heiße Zeug im Internet“, erklärt die stellvertretende cnetz-Sprecherin, „und das geht völlig konform mit dem christdemokratischen Werteverständnis. Dass die Frauen sich mal ein bisschen hübsch machen sollen, können unsere traditionellen Wähler vollen Herzens unterstützen. Da müssen wir die Jugendlichen eigentlich nur noch abholen!“, erläutert sie und greift nach dem Rouge-Döschen.

Gegenüber bereitet Thomas Schauf seine neue Influencer-Karriere akribisch vor. „Zielgruppengerechte Ansprache ist ganz entscheidend in diesem Netz“, verrät er uns und demonstriert, was sein Thinktank sich Keckes ausgedacht hat. Konzentriert liest er einen Text vom Teleprompter ab: „Sehr geehrte junge Menschen da draußen im Lande, was geht ab? Sicherlich feiert ihr gerade hart, wie unnormal mega krass eure Heroes von der good old CDU jetzt auf euren Telekommunikationsbildschirmen rüberkommen. Fuck, ist das heftig! Ganz schön nice aber auch! Dagegen können die Grünen mit ihrem fucking langweiligen Moral-Gelaber nur ultra heftig ablosen, denkt ihr euch. Und wisst ihr was: word!“

Schauf ist sichtlich stolz, die vielen schwierigen Fremdwörter einigermaßen fehlerfrei über die Lippen gebracht zu haben. „Wir müssen den jungen Menschen eben auf Augenhöhe begegnen und dürfen nicht immer herablassend rüberkommen“, erklärt er, „Deshalb müssen wir auch die Sprache dieser verblödeten Minderleister sprechen, so sind halt die Regeln, äh, die rules! Wissen Sie, wie mein Video heißen wird? Die Zerstörung der linksgrünversifften Gutmenschen. Gut, oder?“

Schnelle Schnitte im Küchenmixer

Schwer beeindruckt gehen wir weiter. Nebenan sitzt Isabelle Fischer. In der Hand hält sie etwas kleines Hautfarbenes. Ein Mäuse-Baby! „Sieht doch fast aus wie ein menschlicher Embryo, oder?“, verkündet sie stolz, „das sieht man auf den kleinen Handybildschirmen ja sowieso nicht so genau.“ Im nächsten Moment legt sie das fiepende Tierchen in einen bereitstehenden Mixer und drückt den Knopf. „Schnelle Schnitte und Aufmerksamkeit erzeugen, das ist die Zauberformel“, strahlt sie uns an, während die roten Schlieren am Auffangbehälter entlanglaufen, „ich bereite ein YouTube-Video zur Familienpolitik vor. Man muss den Kids so trockene Themen wie Abtreibung einfach nur etwas, nun ja, spritziger vermitteln! Es ist ja nicht so, dass wir als CDU keine Themen hätten, die die Jugend betreffen. Ich meine, viele von denen werden irgendwann auch mal über Beischlaf nachdenken. Habe ich jedenfalls gelesen.“

Wir haben indes genug gesehen und wollen schnell wieder raus aus dem cnetz-Headquarter. Thomas Jarzombek will uns noch in eine Musik­videoproduktion einbinden, mit der die CDU die Herzen der jungen Leute erobern will, aber die Klänge der Marschmusik-Kapelle im Nebenraum sind uns einfach zu „crazy“. So zitiert Jarzombek bloß aus dem Arbeitspapier, das er der Parteiführung gerade übergeben hat: „Wenn die CDU die Chancen des Internets nutzt, dann wird sie auch in Zukunft stark sein: Offline wie Online. So müssen auch moderne Politikerinnen und Politiker zu den aktuellen Themen kommunizieren – frischer, offener, positiv kritisch und mit Humor. Das #cnetz bietet hierzu Kompetenz in den Sachfragen und Hilfestellung in der Kommunikation an.“ Wir nicken verstört und treten vor die Tür, hinaus in das Großstadtgewusel von Nikolassee.

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