Diese jungen Leute und die Europawahl: Weg mit der Deutungshoheit

Als Linker mit langer Paper-Credibility muss man das Rezo-Video erst mal gut finden, findet Helmut Höge. Anders als konservative Chefkommentatoren.

Ein kleines Kind streichelt einen Hasen

Ist Politik vielleicht doch kein Streichelzoo? Foto: imago images/Westend61

Als alter Mann mit langer Paper-Credibility wurde ich gefragt, ob das Rezo-Video „Die Zerstörung der CDU“ nicht Ausdruck einer „staatstragenden Jugendrevolte“ sei? Man muß es ja als Linker erst mal gut finden, weil noch nie ein Vortrag eines angry young man, in dem Klartext geredet wird (über die Klimaerwärmung und einige ihrer Hintermänner, die Kriegsverbrechen der USA von Ramstein aus, das Auseinanderklaffen der Einkommen von Armen und Reichen und die Unwissenheit der deutschen Drogenbeauftragten) so viele Male angeklickt wurde: Fast 10 Millionen Mal bis jetzt.

Dem folgte ein weiterer Clip, als „Statement“, in dem der aufklärerische „Youtuber“ Unterstützung von über 90 weiteren deutschen „Internetstars aus der Influencer-Scene“ bekam – jeweils mit ein, zwei eindrücklichen Sätzen, die noch mehr reinhauten, wie man so sagt, also noch häufiger aufgerufen wurden.

Der Chefkommentator der FAZ, Jasper von Altenbockum, schätzte nach dem Hype des Rezo-Videos die soziale Lage hinter diesem Medienphänomen so ein: „Jedes Like ist ein Armutszeugnis.“ Aber beim Hype des zweiten Videos sah er trotz aller Intelligenzmängel doch auch das Staatsgefährdende – in den Zugriffszahlen – und meint nun: Nach dem kurzen Gastspiel der „Piraten“ auf der Oberfläche der Parlamente und Parteitage wäre die Jugendbewegung mit ihrer „digitalen Willensbildung“ jetzt „von außen“ da „eingebrochen“. Und das zusammen mit der analogen Willensbildung in der „Fridays for Future“-Schülerbewegung.

Die „Jugendrevolte“, vor allem die 90 Influencer, die sich laut der FAZ „als Jugendliche von nebenan, als authentische Stimme des digitalen Volkes präsentieren“, wurden dann auch prompt von den alten und neuen Generalsekretären der CDU mit „Du“ angekumpelt. Die FAZ stellte klar: Dieser Eindruck hat „wenig mit der Wirklichkeit zu tun“.

In Wahrheit ist Rezo ein 26-jähriger „Unternehmer“ und er habe nicht selbst „mehrere hundert Stunden über Armutssatistiken und Klimaberichten“ gebrütet, sondern seine dafür bezahlten Mitarbeiter. Er beschäftige einen Produktionsleiter, einen Manager, einen Fanshop und werde von „Tube One“, einer Kölner Werbeagentur ,„betreut“, die zum „Stöer“-Konzern gehört, dem Marktführer für Außenwerbung.

„Es war ein unternehmerisches Risiko. Würde er die Kosten eines solchen politischen Videos anderswo wieder erwirtschaften können?“, muss Rezo sich folglich laut FAZ genau überlegt haben. Aber die FAZ hat sich auch was überlegt: Für den Aachener Rezo sei quasi die Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalens zuständig, mit einem ganzen Arsenal an Gesetzen und Verordnungen, und die habe schon mal Youtuber (auf Betreiben der FAZ) abgemahnt, die mit „moralischen Themen Geld verdienen“ wollten. Wenn ihnen nachgewiesen wird, dass sie für ihren Clip bezahlt wurden, droht eine Geldbuße von bis zu 500.000 Euro.

Demokratie war eine Farce

Das mag man noch hinnehmen, aber es kommt noch dicker: Auch die „Nennnung irreführender oder falscher Statistiken ist ein solcher Verstoß“ gegen den Rundfunkstaatsvertrag. Laut einem anderen Staatsvertrag veröffentlicht aber die Agentur für Arbeit sogar regelmäßig irreführende und völlig falsche Arbeitslosenstatistiken. Rezo ist insofern staatstragend, als er den Parteienstaat bis rauf zur EU nicht infrage stellt, er will nur, dass die Politiker wie er selbst „im Einklang mit Logik und Wissenschaft“ stehen.

Wie oft ist es aber doch vorgekommen, dass eine kleine soziale Bewegung, zum Beispiel die der Milchbauern, in Brüssel demonstrierte und dort gesagt bekam: „Wir setzen nur um, was eure Regierungen beschlossen haben,“ und wenn sie sich dann an ihre Regierungen wandten, bekamen sie zu hören: „Das haben die in Brüssel so beschlossen, da können wir leider nichts machen.“

Ein demokratischer Doppelstaat quasi, man könnte und müßte jedoch noch etwas weiter greifen: Bis zur Einführung der „Demokratie“ in Griechenland. Schon drei Generationen später wußten die Athener: Die Demokratie, die Gleichheit aller vor dem Gesetz (isonomia), ist ohne eine Gleichheit des Besitzes (isomoiria) eine Farce. Hinzu kommt: Ein wirklicher Stop der Klimaerwärmung würde einen derartigen „Umbau“ der Gesellschaften, der Staaten erfordern, dass so ziemlich alle sozialen und ökonomischen Bereiche davon betroffen wären.

Schon allein der Widerstand der FAZ gegen die zunehmende „Wirkung“ solcher Rezo-Videos zeigt, wie die vom Verschwinden erfasste professionelle Journalistik sich mit allen Mitteln selbst gegen eine Veränderung wehrt, die bloß ihre Deutungshoheit infrage stellt.

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